Fast kein Mensch kann mit dieser Materie etwas anfangen. „Föderalismusreform“ ist ein ungefähr so erotischer Begriff wie „Einkommensteuererklärung“. Wer versteht etwas von der abstrakten Frage der Bund-Länderbeziehung, „Kompetenzentflechtung“ und „Finanzverfassung“? Herumgesprochen hat sich in jedem Fall, daß das Land nicht mehr vorankommt. Irgendwie ist der Karren Deutschland buchstäblich festgefahren. Dem Motor geht der Sprit aus, die Reifen drehen im Schlamm durch, und auf dem Anhänger sitzt eine wachsende Schar von Bürgern, die mittels Transferzahlungenvon der zusehends in die Jahre gekommenen Staatskarosse gezogen werden will. Daß nun Deutschland handlungsunfähig geworden ist, dafür machen Kritiker auch die seit der Wiedervereinigung von elf auf 16 gewachsene Zahl an Bundesländern verantwortlich. Immer kürzere Abstände zwischen in irgendeinem Land stattfindenden Wahlen versetzen Deutschland in einen Dauerwahlkampf. Obendrein sind die Kompetenzen für die Gesetzgebung und die Erhebung von Steuern für den Bürger so intransparent, daß er nie weiß, wen er für verfehlte Politik eigentlich mit dem Stimmzettel zur Verantwortung ziehen soll. Die Reform soll diese Transparenz deshalb herstellen und die Eigenständigkeit der Institutionen stärken. Am vergangenen Montag begann nun der Bundestag mit Anhörungen zur Föderalismusreform. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag und mehrere Länder im Bundesrat haben dazu Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes und eines Föderalismusreformgesetzes eingebracht, die jetzt zur Debatte stehen. Aus diesem Anlaß riefen Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel und Altbundespräsident Roman Herzog, die sich als ehrenamtliche „Netzwerker“ der „Mutter aller Reformen“ (Henkel) verschrieben haben, zu einem Journalisten-Salon ihres „Konvent für Deutschland“, um dem Thema neuen Schub zu geben. Beim Gespräch mit führenden Hauptstadtjournalisten will der Funken aber nicht richtig überspringen. Einige Reporter witzeln darüber, daß der Aufmacher der soeben gesendeten ARD-Nachrichten die Meldung über Klins-manns endgültigen WM-Kader ist und die Anhörung zur Reform der Reformen an neunter Stelle rangiert. Bislang fehlt eine überzeugende Antwort auf das „Warum“ dieser Reformpolitik. Alle aktuellen Debatten, ob in der Familienpolitik, Bildungspolitik oder eben der Staatsreform appellieren an den Geldbeutel oder den Individualismus (nach dem Motto der mißglückten Kampagne „Du bist Deutschland“). Solange das Ziel nicht klar ist, wofür Anstrengungen unternommen werden sollen, entsteht keine Motivation zur Veränderung. Das ist in jeder kleinen Firma so, das ist auch beim Staat nicht anders. Solange nicht über eine explizit deutsche Zukunft gesprochen wird, das heißt, daß es um eine politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche Renaissance Deutschlands geht, eine patriotische Vision, so lange bleibt jede Reformpolitik abstrakt und seelenlos. Informationen: Konvent für Deutschland e. V., Dorotheenstraße 35, 10117 Berlin, Internet: www.konvent-fuer-deutschland.de
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