Ronald Reagan wurde 1980 mit dem Versprechen US-Präsident, Franklin D. Roosevelts New Deal nach fast einem halben Jahrhundert durch eine konservative Revolution rückgängig zu machen. Er wollte die Steuern senken, den Regierungsapparat verschlanken, erhebliche Einschnitte im Sozialwesen vornehmen und gesellschaftspolitische Anliegen wie ein Abtreibungsverbot vorantreiben. In der Außenpolitik kündigte er eine aggressive Haltung gegenüber der Sowjetunion und anderen Gegnern im Kalten Krieg an. Tatsächlich führte er in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit Steuersenkungen sowie Kürzungen im Sozialwesen durch und erhöhte die Militärausgaben. Doch die Rezession von 1982 und steigende Haushaltsdefizite nötigten ihn, der umfassendsten Steuererhöhung seit dem Zweiten Weltkrieg zuzustimmen. Er erhöhte die Unternehmenssteuer und rettete den staatlichen Rentenfonds. Weder reduzierte er die Bundesregierung, noch schlug er ernsthaft den strengen gesellschaftspolitischen Kurs ein, den christliche Konservative erwarteten. Er sprang hart mit den Sowjets um, verfolgte aber zugleich eine Politik der Entspannung und Rüstungskontrolle. Als einziger Präsident in der Geschichte der USA forderte er die Abschaffung aller Atomwaffen und hätte 1987 in Reykjavik mit Michail Gorbatschow fast einen Vertrag unterzeichnet, der dieses Ziel ein gutes Stück näherrücken lassen hätte. Reagans Revolution war mehr Rhetorik als Realität Weil Reagans konservative Revolution mehr Rhetorik als Realität war, haben ihm konservative Kritiker Verrat an den Kernprinzipien der Bewegung vorgeworfen. Solche Stimmen verkennen, daß Reagan ein pragmatischer Realist war, der klar erkannte, wie kontraproduktiv starres Festhalten an einer politischen Ideologie für eine effektive Führung der Staatsgeschäfte wäre. Er mißtraute jeder Art von Radikalismus, einschließlich des konservativen. Seine gemäßigte politische Philosophie steht in grellem Kontrast zu der des jetzigen Amtsinhabers. George W. Bush nahm sich seine Vision einer Reagan-Revolution in Reinform zum Vorbild für seine eigene Präsidentschaft, statt wie sein Vater Kompromisse einzugehen. George Herbert W. Bush brach bekanntlich 1991 seinen Schwur, niemals Steuern zu erhöhen, und scheiterte womöglich deshalb 1992 an der Wiederwahl. Bush senior war ein pragmatischer Politiker, der Zugeständnisse an die Demokraten machte, um Gesetzesentwürfe durchzusetzen. Er biß in den sauren Apfel und erhöhte mitten in einer schweren, aber kurzlebigen wirtschaftlichen Rezession die Steuern. Er brachte eine internationale Koalition zustande, um Saddam Husseins Absichten zu durchkreuzen, Irak durch die Eroberung Kuwaits und eine mögliche Invasion Saudi-Arabiens zur stärksten Regionalmacht im Mittleren Osten zu machen. Nach dem Sieg über Saddams Armee lehnte er es ab, den Irak zu besetzen, weil er einen Bürgerkrieg und ein Auseinanderfallen des Landes entlang ethnischen Trennlinien befürchtete. Im Gegensatz dazu hat sein Sohn kaum Zugeständnisse oder Kompromisse in irgendeinem Punkt gemacht. Er hat angekündigt, an seinen beträchtlichen Steuersenkungen festzuhalten, obwohl aus dem Überschuß des Bundeshaushalts bei seinem Amtsantritt mittlerweile Schulden in Höhe von acht Billionen Dollar geworden sind. Trotz der schwerwiegenden Fehler, die allen Informationen zufolge nach dem Sturz Saddam Husseins im April 2003 gemacht wurden, weigert er sich beständig, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zu entlassen oder einzugestehen, daß seine Irak-Politik – abgesehen vielleicht von einem anfänglichen rhetorischen Überschwang – irgendwelche Mängel aufweist. Er hat bis vor kurzem keinen einzigen Gesetzesentwurf aus dem Kongreß abgelehnt, nicht einmal wenn es um die großzügige Vergabe von Regierungsgeldern für kommunale Projekte ging, über die sich konservativ denkende Finanzpolitiker gewöhnlich aufregen. In gesellschaftspolitischen Fragen hat er scharf nach rechts umgesteuert, etwa indem er sich für Einschränkungen in der Stammzellenforschung einsetzt, Abtreibungsgegner als Richter für den Supreme Court nominiert und ein Verfassungsverbot für gleichgeschlechtliche Ehen unterstützt. Letzteres hat keinerlei Chancen auf Erfolg, ist jedoch geeignet, ihm Zustimmung seitens der religiösen Rechten zu verschaffen. All dies hat dazu geführt, daß seine Zustimmungsrate von etwa 35 Prozent zur Hälfte seiner zweiten Amtsperiode in jüngerer Vergangenheit einzig von Richard Nixons 26 Prozent unterboten wurde. Er hat endlich einige Kabinettsänderungen vorgenommen und einen neuen Stabschef ernannt, doch erwartet niemand eine radikale Umstellung wie unter Reagan in der Folge des Iran-Contra-Skandals von 1986. Als sein innenpolitisches Vermächtnis will Bush offenbar permanente Steuersenkungen hinterlassen. Ebenso gibt er die Absicht zu erkennen, die US-Truppen so lange im Irak zu belassen, bis eine handlungsfähige Regierung samt Streit- und Polizeikräften eingesetzt ist. Für den Fall, daß die Lage zum Bürgerkrieg eskaliert und das Land auseinanderbricht, scheint Bush keinen Plan B parat zu halten. Er hat öffentlich erklärt, der vollständige Abzug der amerikanischen Truppen werde wohl seinem Nachfolger anheimfallen. Bei alledem verhält sich Bush absolut konsequent in seiner Weigerung, sich Umfragewerten oder dem Druck der Kritik inner- und außerhalb seiner Partei zu beugen. So stellt sich die Frage, ob er ein „echter“ Konservativer oder überhaupt ein Konservativer ist. Auf den ersten Blick spricht einiges dagegen. Konservative sind traditionell mißtrauisch gegenüber der Macht des Staates, die Gesellschaft umzugestalten. Die Störung der natürlichen Ordnung, so meinen sie, führt in der Regel eher zu einem unguten Ergebnis. Liberalen, die glauben, es sei Aufgabe des Staates, soziale Probleme zu beheben, bringen sie Argwohn entgegen. Dennoch ist die US-Armee derzeit auf der anderen Seite des Erdballs in ein social engineering-Projekt verwickelt, wie man es sich umfassender kaum vorstellen könnte. Konservative glauben an finanzpolitische Disziplin und Sozialabbau. Auch daran hat sich Bush nicht gehalten. Konservative möchten jeglicher Macht wohlüberlegte Schranken setzen, und die Privilegien der Zentralregierung sind ihnen ein besonderer Dorn im Auge. Um dagegenzuwirken, wollen sie die Rechte der Bundesstaaten stärken. Bush hat sich um eine Ausweitung der exekutiven Gewalt in Washington und um eine Schwächung der Einzelstaaten bemüht. So brachte er Regierungsmaßnahmen wie die „No Child Left Behind“-Offensive auf den Weg, die den staatlichen Schulen unter Mißachtung der Bildungshoheit strikte Standards auferlegt. In den Fragen der Tötung auf Verlangen in Oregon sowie der Freigabe von Marihuana zu medizinischen Zwecken mischte sich sein Justizministerium – letztlich erfolglos – in die Gesetzgebung der Bundesstaaten ein. Insbesondere in Belangen der nationalen Sicherheit hat er die Macht der Exekutive stetig ausgeweitet und womöglich gegen die Verfassung verstoßen, indem er die geheime Überwachung von Telefongesprächen durch die National Security Agency zuließ. Von Edmund Burke bis hin zu zeitgenössischen amerikanischen Denkern wie Russell Kirk und William F. Buckley halten Konservative die Wirklichkeit für zu komplex, als daß sie auf der Basis fehlbarer menschlicher Vorstellungen gesteuert oder umgestaltet werden könnte. Indem er diese Grundannahme ignoriert, zeigt Bush eher geistige Nähe zu radikalen Weltverbesserern, die glauben, jedes Problem ließe sich mit der Macht des Willens und ein paar einfachen Grundregeln lösen. Deswegen bevorzugt er Ratschläge, die auf den einfachsten Nenner gebracht sind, und scheinbar unzweideutige politische Maßnahmen. Man könnte also zu dem Schluß kommen, daß Bush alles andere als ein „echter“ Konservativer sei. Auf den zweiten Blick erschließt sich allerdings, daß tiefere Kräfte am Werk sind, nämlich die Dynamik, die zwangsläufig entsteht, wenn eine Bewegung allzu erfolgreich wird. 1994 übernahmen die Republikaner erstmals seit 1954 die Mehrheit im Kongreß. Der amerikanische Konservatismus, wie er sich heute präsentiert, begann in den fünfziger und sechziger Jahren als intellektuelle Randerscheinung, die von den Liberalen als substanzlos verlacht wurde. Wieviel Gewicht man ihr heute beimißt, zeigt die jüngst veröffentlichte 935seitige „Encyclopedia of American Conservatism“. Bodenhaftung im Volk verschaffte der Konservatismus sich bei den Präsidentschaftswahlen 1968, als der republikanische Kandidat Richard Nixon in den Südstaaten demokratische Wählerschichten abwarb. 1980 verfestigte Ronald Reagan diese „Southern stra-tegy“ in seinem Wahlkampf. Der populistische Konservatismus sprach gerade Wähler auf dem Land und in den „exurbanen“ Schlafstädten rund um die Ballungszentren an, wie der Aufstieg der evangelikalen Bewegungen in den siebziger Jahren sowie des christlich geprägten Nationalismus und des rechten talk radio in den achtziger Jahren zeigte. Mit der jetzigen Spaltung Amerikas in „rote“ (konservativ-ländliche) und „blaue“ (demokratisch-urbane) Staaten erreicht diese Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt. Jimmy Carter und Bill Clinton, die einzigen Demokraten, denen seit Nixon der Einzug ins Weiße Haus gelang, waren Südstaatler. Mit Ausnahme des Küstenstaats Kalifornien, der regelmäßig an die Demokraten geht, und des „Wackelkandidaten“ Florida tut sich die Partei im gesamten Süden der USA sehr schwer, bei Präsidentschaftswahlen die notwendigen Mehrheiten zu erzielen. Bushs Politik zeugt vom Fluch der Herrschaft Inzwischen haben die Republikaner jedoch den revolutionären Sturm und Drang eingebüßt, der sie 1994 befeuerte, als der zukünftige Sprecher des Repräsentantenhauses Newt Gingrich mit seinem „Contract with America“ Washington aufmischen wollte. Heute sind alle drei Regierungsgewalten in republikanischen Händen, und im Kongreß sorgt die Fraktionsspitze für strikte Parteidisziplin. Vorbei die Zeiten, als Ausschußvorsitzende eigene Entscheidungen treffen durften und einzelne Kongreßmitglieder aus der Reihe scherten, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Die Republikaner sind an allen Schaltstellen der Macht angekommen, und damit einher gingen Selbstzufriedenheit, Korruption und Skandale, allesamt Insignien einer etablierten Ordnung. Verheißen sie Stabilität oder aber Fäulnis und baldige Zersetzung? Bushs Politik zeugt von dem Fluch der Herrschaft: Je mehr Macht ihm zuwächst, desto schwächer wird die Reformfähigkeit, bestehen bleiben nur die Struktur der Macht und die Amtsträger selber. Die Bush-Regierung gefällt sich in der Vorstellung eines Amerika, das stark genug ist, jedes Problem anzugehen, jede Plage zu bekriegen und allerorten Ideale und Werte zu verbreiten. In Wirklichkeit ist die amerikanische Außenpolitik jedoch selbst für die weltweit größte Armee und den größten Verteidigungshaushalt bei weitem zu ehrgeizig, wie der Patt im Irak, die Mißerfolge in der Iran-Politik, die Paralyse gegenüber Nordkorea und das unsichere Verhalten in der jüngsten Libanon-Krise gezeigt haben. In der Innenpolitik ist die Reform des Rentenwesens fehlgeschlagen. Die Reform der Einwanderungspolitik kommt nicht voran. Die Haushaltsdefizite wachsen weiter. Die Wähler sind äußerst unzufrieden mit beiden Parteien, am meisten jedoch mit den Republikanern, so daß sich bei den Kongreßwahlen am 7. November für die Demokraten die Chance auftut, die Mehrheit der Sitze zurückzuerobern. Vielleicht werden sie diesmal nicht die Gelegenheit nutzen, eine weitere Gelegenheit zu vertun. Auch für eine dritte Partei wäre der Moment günstig, das Protestpotential aufzufangen. Die Wählergunst wird dabei wesentlich von der Nachrichtenlage aus dem Irak abhängen. Die Republikaner werden einmal mehr eine „Keiltaktik“ verfolgen, indem sie den Demokraten vorwerfen, sich im Irak aus der Verantwortung ziehen zu wollen, und spaltende Themen wie die gleichgeschlechtliche Ehe oder das Verbrennen der amerikanischen Flagge auf die politische Tagesordnung setzen. Sollten derartige Schachzüge keinen Erfolg haben, könnte die republikanische Herrschaft bald nach relativ kurzer Zeit wieder zu Ende sein, wenn die Wähler der Mitte abwarten, bis „echte“ Konservative auftauchen. Sicher ist jedoch noch gar nichts. Wer weiß, was Bushs Wahlkampfstratege Karl Rove noch alles aus seinem Zauberhut zieht, um die Demokraten erneut mit einem Bannfluch zu belegen. Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco. Stichwort: US-Kongreß Die Legislative mit Sitz im Wa-shingtoner Kapitol setzt sich aus Senat und Repräsentantenhaus zusammen. Der Kongreß besitzt die Budgethoheit und das Recht zur Gesetzesinitiative. Er besteht aus 535 Abgeordneten (100 Senatoren und 435 Abgeordnete im Repräsentantenhaus). Zur 110. Kongreßwahl am 7. November stehen alle Sitze im Repräsentantenhaus und 33 Senatsitze zur Wahl. Im Repräsentantenhaus haben die Republikaner derzeit mit 231 Sitzen einen Vorsprung von 29 Sitzen vor den Demokraten, im Senat mit 55 Sitzen einen Vorsprung von fünf Sitzen. Foto: US-Vizepräsident Cheney (l.), die Minister Rumsfeld und Rice sowie Präsident Bush: Forsch und nachdenklich in die Zukunft blicken