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Effizienz durch Vertrauen

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Nachdem im Libanon der Waffenstillstand vereinbart worden war, zeigten die Nachrichtensender in den von Israel geräumten Gebieten Hisbollah-Aktivisten an Tischen mit Stapeln von Geldbündeln und davor in langen Schlangen wartende Libanesen. Je nach Beschädigung oder Verlust von Eigentum und Gesundheit sowie nach Anzahl getöteter Angehörigen zahlten sie nicht unerhebliche „Entschädigungssummen“ aus. Davon abgesehen, daß sich hier eine Terrororganisation vor den Augen der Weltöffentlichkeit bei der libanesischen Bevölkerung noch beliebter machte, stellt sich die Frage, wie es möglich war, daß die Hisbollah offensichtlich unbemerkt zunächst ihre militärische Aufrüstung und nun auch die umfangreichen Hilfszahlungen finanzieren konnte. Das Geld hat keine verwertbaren Spuren hinterlassen, so daß die Nennung der „üblichen Verdächtigen“ (Syrien, Iran) als Financiers plausibel, gleichwohl spekulativ ist. Dabei versuchen die westlichen Geheimdienste spätestens seit den Anschlägen des 11. September 2001 intensiv, die Finanzströme zwischen Terrorzellen und ihren Auftraggebern auszutrocknen. Trotz umfangreicher internationaler Anstrengungen, trotz schärferer Gesetze, trotz geheimdienstlichen Einsatzes unter Verwendung der neuesten verfügbaren Hochtechnologie bei der Überwachung der Telekommunikation und von Zahlungswegen ist der Erfolg bislang ausgeblieben. Da sich die Terrororganisationen nach dem 11. September nicht mehr des üblichen, durchorganisierten internationalen Bankensystems bedienen, steht zu erwarten, daß das auch so bleibt, von Zufallserfolgen einmal abgesehen. Für Finanztransaktionen ist im orientalen Kulturraum seit dem frühen Mittelalter ein Zahlungssystem vor allem unter Kaufleuten gebräuchlich, das allenfalls schwer zu entdeckende Spuren hinterläßt: das Hawala-System. Hawala bedeutet im Arabischen „Vertrauen“, womit die Geschäftsbasis bereits vollständig umrissen ist. Finanztransaktionen in allen Größenordnungen ohne schriftlichen Vertrag, ohne Rechtsanwalt, nur mittels Handschlag – das klingt in westlichen Ohren anachronistisch, so daß man geneigt ist, anzunehmen, daß sich der „Kampf der Kulturen“, der auf kultureller, psychologischer und soziologischer Ebene stattfindet, durchaus auch auf einer monetären abspielen kann. Betrachtet man die technische Seite des Systems, so handelt es sich ebenfalls um eine geradezu archaische, gleichwohl verblüffend einfache Möglichkeit des Geldtransfers, die neben der heute üblichen Interbankenverrechnung existiert und die im Mittelalter auch zwischen Kaufleuten in Europa üblich war.Denn wenn ein Nürnberger Kaufmann Gewürze in Venedig einkaufen wollte, hätte er sein Geld körperlich nach Italien transportieren müssen, was natürlich die Gefahr des Gesamtverlustes des Geldes oder Goldes durch Raub barg. Deshalb ging er zu einer Handelsniederlassung – Stichwort Fugger -, zahlte eine bestimmte Summe Geldes ein und erhielt dafür einen Beleg, der die Niederlassung in Venedig anwies, eben diese Summe auszuzahlen. Der Vorgang wurde dem Kontor in Venedig per Kurierpost avisiert. Die deutsche Handelsniederlassung buchte den Eingang des Geldes, die venezianische die Auszahlung, womit die Konzernbilanz wieder ausgeglichen war. Grundsätzlich funktioniert das Hawala-System genauso: A, in einem europäischen Land lebend, möchte an B, in einem fernen Land, Geld überweisen. Er geht zu einem Kaufmann C, der mit dem Kaufmann D in jenem fernen Land in Handelsbeziehung steht und übergibt ihm eine Summe Geldes, die für B bestimmt ist. Kaufmann C kommuniziert mit Kaufmann D (Telefon, Fax, E-Mail), der B die Summe – gegen Nennung eines zu vereinbarten Codewortes – auszahlt. Der Zahlungsausgleich zwischen den Kaufleuten C und D wird dann im Zuge eines späteren Geschäftes vorgenommen. Da Muslimen die Zinsnahme verboten ist, spielt die mit der Zahlung verbundene Fristenverschiebung de dicto keine Rolle, de re wird lediglich eine geringe Gebühr, die sich auf 0,5 bis 1,25 Prozent der Transfersumme beläuft, als übliches Substitut fällig. Das Prinzip ist einfacher und schneller sowie wegen der niedrigeren Gebühren auch deutlich kostengünstiger als eine „moderne“ Banküberweisung, die überdies die Eröffnung eines Kontos notwendig macht. Eine unschlagbare Konkurrenz für Banken! Die Effizienz dieses Systems speist sich vorwiegend aus dem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Kaufleuten, die die Funktion der Bankiers, der „Hawaladar“, ausüben, und dem Kunden. Bei den Hawaladar handelt es sich um bekannte, besonders vertrauenswürdige Personen, die zudem einem strengen Ehrenkodex unterliegen. Denn die Hawaladar sind dem Koran verpflichtet und unterliegen der Scharia, die für Fehlverhalten entsprechende Sanktionen vorsieht, die sich mindestens im Verlust des guten Rufs und des (legalen) Geschäfts niederschlagen. Ließe sich ein Hawaladar zum Beispiel dauerhaft mit Kriminellen ein und würde dies unter seinen Kollegen bekannt, würden diese künftig weder Aufträge von ihm annehmen noch an ihn vergeben. Analoge Verrechnungsmethoden unter anderen Bezeichnungen werden ebenso von anderen orientalen und asiatischen Kaufleuten praktiziert. Im Gegensatz zu den Systemen der südamerikanischen oder russischen Drogenmafia, die ähnlich arbeiten, ist den genannten asiatischen Vertrauenssystemen mit dem „Hawala-System“ gemein, daß sie fast ausschließlich innerhalb einer ethnischen Bevölkerungsgruppe Anwendung finden. Die Weltbank schätzt, daß etwa 300 Millionen Menschen rund 90 Milliarden Dollar über Vertrauenssysteme umsetzen. Das Commonwealth benennt die Summen auf 100 bis 300 Milliarden Dollar. Im arabischen Raum erfüllt dieses Zahlungssystem mithin ganz offiziell eine wichtige ökonomische Rolle. So werden dort von Zentralbanken Lizenzen für Hawala-Geschäfte vergeben. In anderen Ländern wie in Indien ist Hawala wegen der fließenden Grenzen zwischen Legalität und Illegalität verboten. Denn im Gegensatz zu den Fuggern, die im ökonomischen Eigeninteresse die Bilanzierung des Vorgangs vornahmen, spielt die buchmäßige Erfassung der Ein- wie der Auszahlungen für die eigentliche Hawala-Zahlung keine Rolle. Sie muß nicht vorgenommen werden, so daß sich natürlich „Schlupflöcher“ eröffnen, die neben der Steuerhinterziehung und der Geldwäsche auch zur Finanzierung von Terroristennetzwerken genutzt werden könnten. Namen, Konten, Buchungsbelege oder die elektronische Speicherung von Zahlungsverkehrsdaten sind für die eigentliche Zahlungsabwicklung nicht notwendig. Mißbrauchsmöglichkeiten ergeben sich daher auf den verschiedenen Ebenen. Natürlich kann das „Mißbrauchsargument“ von Banken, die sich einer unliebsamen Konkurrenz ausgesetzt sehen, von Finanzbehörden, die den Verlust an Steuern befürchten, und von Zentralbanken, die ihre Devisenpolitik unterlaufen sehen, aus Eigeninteresse in die Welt gesetzt worden sein. Jedoch steht fest, daß selbst bei offiziellen Hawala-Geschäften schon eine Grauzone beginnt, die sich in der Tat jeglicher Kontrolle zu entziehen vermag: Ein muslimischer Gastarbeiter überweist beispielsweise per Hawala-System jeden Monat einen Teil seines Lohnes an seine Familie, die in der Heimat geblieben ist. Die beiden Hawaladar C und D könnten durchaus mit den Gesetzen des Landes ihres jeweiligen Firmensitzes in Konflikt geraten, nämlich dann, wenn der auftragnehmende C und/oder der auszahlende D den Ein- und Ausgang der Zahlung nicht oder nur unvollständig in den Büchern vermerken würden. Wichtig für den Transfer selbst ist eine nachvollziehbare Buchführung wie gesagt nicht, sondern allein die vereinbarungsgemäße Auszahlung des Betrages an den Empfänger sowie der spätere Ausgleich der Salden, eben das Vertrauen in die korrekte Abwicklung der Transaktion. Der Zahlungsausgleich zwischen den Hawaladar kann im Rahmen eines ganz legalen Warengeschäftes erfolgen, wobei D zum Beispiel Waren an C liefert und – im Falle der Umgehung der Steuergesetze – eine um die Zahlungssumme erhöhte Rechnung stellt. Hätte C die Einzahlung des Gastarbeiters nicht gebucht, so würde er nunmehr über Schwarzgeld verfügen und zudem über eine Rechnung, die seine auf Basis der offiziellen Buchhaltung errechnete Steuerschuld mindern würde. Aber auch vermittels Devisen-, Gold- oder Kunstschmuggels kann der Ausgleich erfolgen. Zwar bewegen wir uns damit bereits vom Tatbestand des „einfachen“ Steuerbetrugs in die Sphäre krimineller Machenschaften, aber das Motiv der persönlichen Bereicherung steht dabei immer noch im Vordergrund. Allein diese Motivlage, nicht aber das Transferprinzip selbst, unterscheidet die gerade dargestellten Fälle von der möglichen finanziellen Unterstützung von Terrorzellen. Hierbei verbietet sich a priori für die Zahlungen aus dem Orient ins Abendland jegliche buchhalterische Erfassung der Zahlungsströme. Um so wichtiger erscheint in diesem Zusammenhang die unbedingte Loyalität der natürlich nicht lizenzierten Hawaladar mit den Zahlenden und den Zahlungsempfängern und die absolute Verschwiegenheit aller Beteiligten. Der Phantasie des Lesers bleibt es an dieser Stelle überlassen, sich auszumalen, welches Schicksal ein Hawaladar zu erwarten hätte, der seinen Verpflichtungen nicht nachkäme oder die ihm anvertrauten Transaktionen den Strafverfolgungsbehörden zugänglich machen würde. In diesem Zusammenhang stellt sich die interessante Frage, ob ein Hawaladar, der als (nicht lizenzierter) Bankier für die al-Qaida tätig ist, sein Wissen eher aus Angst vor Strafen oder als Islamist aus Überzeugung für sich behält. Im letzteren Fall dürfte es nämlich unwahrscheinlich sein, daß er etwa aus „moralischen Bedenken“ von den im Westen üblichen Kronzeugenregelungen und -programmen Gebrauch macht und die Hintermänner preisgibt. So er sie überhaupt kennt! Denn fest steht, daß das Hawala-System aufgrund der wenigen notwendigen Informationen natürlich eine Fülle von Varianten zuläßt, in die Strohmänner, Scheinfirmen und auch legale Geschäfte einbezogen werden können. Wenn dann noch die beiden Hawaladar in einem vertraulichen Vieraugengespräch beim Tee Auszahlungscodes und Verschlüsselungen für Beträge vereinbaren, dürfte selbst die intensive geheimdienstliche Überwachung ihres Telefon-, Fax- und E-Mail-Verkehrs den jeweiligen Ermittlern kaum Anhaltspunkte für einen bevorstehenden Geldtransfer geben. Und wenn doch, dann wohl zu spät; denn die Abwicklung kann innerhalb weniger Stunden erfolgen und der Zahlungsempfänger bereits untergetaucht sein. Der Kampf der westlichen Geheimdienste gegen die illegalen Hawaladar und ihre Geldtransfers gleicht einem vergeblichen Kampf gegen Windmühlen. Die technische Überlegenheit des Westens verraucht in der Asymmetrie der (Nicht-)Informationen, zumal sich ein illegaler Hawaladar hinter der Fassade eines jeden beliebigen legalen Geschäftes verbergen kann. Stichwort: Hawala-System Hawala – arabisch für „Vertrauen“ – ist die Bezeichnung für ein alternatives Geldüberweisungssystem außerhalb des geregelten Bankwesens, das seit dem Mittelalter im arabischen Raum genutzt wird. Doch nicht allein im arabisch-islamischen Kulturraum, auch in Asien ist das Verfahren unter den Bezeichnungen „Hundi“, „Fei ch’ein“, „Huikuan“, „Chop“, „Chit“ oder auch einfach „Flying Money“ gebräuchlich. In Lateinamerika wird das „Banksystem der Armen“ als „kolumbianisches System“ bezeichnet. Foto: Geldgeschäfte in Kabul: 300 Millionen Menschen setzen 90 Milliarden Dollar über Vertrauenssysteme um

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