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ESN-Fraktion, Europa der souveränen Nationen

Venohr, Dutschke und die Nation

Venohr, Dutschke und die Nation

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Die Studentenrevolte und ihre Umwandlung in eine Außerparlamentarische Opposition wurden von den unterschiedlichen Medien begleitet. Dabei wurde Rudi Dutschke sicherlich deshalb von den meisten Medien in den Vordergrund gerückt, weil er eine Persönlichkeit darstellte, die nicht nur theoretische Aussagen machte und Ereignisse interpretierte, sondern in seinem Aussehen die Journalisten an einen Revolutionär des 19. Jahrhunderts oder an einen Popstar erinnerte, der diese „Rolle“ spielte. Dutschke wurde sehr schnell zu einer „Figur“ dämonisiert, die das „Böse“ oder den „guten Menschen“ verkörpern sollte. Zwei Journalisten waren bemüht, sich aus diesem Selbstlauf von Bild und Wort zu lösen und diese Mediengestalt in einen lebendigen, jungen Mann aufzulösen: Günter Gauß und Wolfgang Venohr. Gauß hinterfragte in seinem langen Interview Leben und Denken von Dutschke und entzauberte ihn. Aus dem „Dämon“ schälte sich ein durch und durch reflektierter Student heraus. Das Publikum staunte. Wolfgang Venohr drehte einen Film über Dutschke. Die Dreharbeiten zogen sich über Monate von Januar bis zum April 1968 hin. Kurz nach dem Attentat flimmerte der Film über den Bildschirm. Venohr hatte ihn zu den verschiedenen Unterkünften und Fluchtburgen in Berlin begleitet. Er hatte ihn während des Vietnamkongresses zu den unterschiedlichen Treffen mit seinem alten Diesel kutschiert, und er hatte Szenen mit Dutschke auf diesem Treffen der „europäischen Revolution“ festgehalten. Es wird in dem Film deutlich, der „Held“ war ein zerrissener Mann, der in seine Rolle als Organisator und „Charaktermaske“ von Revolte nicht hineinfand. Einige Szenen bleiben im Gedächtnis. Dutschke hielt in einem Hörsaal der Technischen Universität eine Abschiedsrede. Er sprach von den „temporären Führern“ und davon, daß für ihn die Zeit gekommen sei, aus seiner Funktion und Rolle zurückzutreten. Er wollte als „einfacher Kämpfer“ nach Lateinamerika gehen. In einer anderen Szene wurde deutlich, daß er mit seiner jungen Frau und seinem gerade geborenem Sohn in die USA reisen wollte, um seine Familie zu festigen und herauszukommen aus der Hektik der Aktionen. In dem Film wird sichtbar, daß diese APO keinerlei Organisationskraft hatte und keine Arbeitsteilung bestand. Wolfgang Venohr fragte Dutschke nach der Verbindung zur kulturellen Tradition eines besiegten und gespaltenen Volkes. Er wollte wissen, inwieweit die „Nachkriegskinder“ sich von der Kriegergeneration gelöst hatten und den neuen Prinzipien einer „westlichen Zivilisation“ genügten und inwieweit ihr Denken doch anschloß an die kulturellen Leistungen einer Nation. Dutschkes Antworten belegten sein Interesse an der Wiedergeburt einer einheitlichen Nation, die sich in den demokratischen Kämpfen aus dem Kolonialstatus der Okkupation neu bilden würde. Die APO war nach seiner Überzeugung der Beginn einer derartigen Selbstbesinnung. Dutschke wurde von Venohr auch nach der Bereitschaft zur Gewalt befragt. Er antwortete ausweichend. Gewalt wurde bisher von den Staatsorganen in die Opposition hineingetragen. Aber es hatte keinen Sinn, gegen eine hochgerüstete Exekutive mit gleichen Mitteln Widerstand leisten zu wollen. Die Bundesrepublik war nicht Algerien oder Vietnam. Die rechtsstaatlichen Möglichkeiten mußten ausgenutzt werden. Auf die Frage im Auto, unter den Yorckbrücken, ob Dutschke nicht Angst hätte vor einer Lynchjustiz oder vor einem Attentat, lachte dieser gequält. „Genossen“ würden ihn schützen. Aber es gab keinen Schutz für den Medienstar. Niemand begleitete Dutschke auf seinen Reisen oder Einkäufen. Er hastete allein durch die Straßen. Dieses Filmdokument sollten alle anschauen, die heute Dutschke zum heimlichen Gründer der RAF erheben oder ihm die nationale Identität absprechen wollen und daran festhalten, einen Medienstar zu verehren, der mißbrauchbar wäre für aktuelle ideologische Ziele. Venohrs Methode, mit dem Interviewpartner in den Alltag abzutauchen und teilzuhaben an den „kleinen Sorgen“, belegt dessen Qualifikation als Künstler und Filmemacher. Prof. Dr. Bernd Rabehl war einer der engsten Weggefährten Rudi Dutschkes und lehrte später an der Freien Universität Berlin.

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