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Marc Jongen, ESN Fraktion

Arrivederci, Silvio

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Am Tag, als Armani, Versace und Prada der „Milano Moda Donna“ – der diesjährigen Mailänder Modewoche – ihren neuen Stil der Sachlichkeit und Schlichtheit bei der Vorführung der Frühjahrskollektionen 2006 aufdrückten, krachte und rauchte es auf den Bahnhöfen der Stadt und draußen auf dem Flughafen Linate. Kaum hatte sich der Troß der internationalen Designer und ihrer verschnupften Groupies in der Stadt niedergelassen, wurde über die immer jünger werdenden bleichgesichtigen „Puppen“ aus dem Osten getuschelt, was der Zwirn zu halten versprach. Doch Nervosität im Reich der tapferen Schneiderlein breitete sich aus, als es nicht nur in der Stazione Centrale nach angeblichen Explosionen mächtig rumorte. Tausende von Feuerwehr- und Katastrophenhelfern hetzten durch die Stadt und demonstrierten volle Einsatzbereitschaft. Gespielter Ausnahmezustand, der die Stammkunden in Alfredos Trattoria oder bei Stefano in der Galeria nicht erreichte. „Wahlkampf“, sagen die einen, die anderen ergänzen: „Silvio will uns zeigen, wie er um unsere Sicherheit besorgt ist.“ Da Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi seine Soldaten noch immer nicht aus dem Irak zurückziehen will, zählt das Land zu den Top- Terrorzielen. In der Redaktion des Corriere della Sera in der Via Solferino titeln sie indes: „Der Cavaliere hat Italien den schlechtesten Dienst erwiesen“. Gemeint sind dessen Bemühungen, das Wahlrecht unter allen Umständen zu ändern, um mit der Polit-Arithmetik von vorgestern die Parlamentswahlen von morgen trotz miserabelster Umfragewerte doch noch zu gewinnen. Domenico Siniscalco, sein Wirtschaftsminister, steigt entnervt ein halbes Jahr vor den Wahlen aus, protestiert zugleich gegen den schwelenden Skandal um den Notenbankchef Antonio Fazio, der mehr Zeit bei der Staatsanwaltschaft als in seinem Büro verbringt. „Ich bin gewöhnt an Stürme und Finsternisse“ Hier in Mailand, wo das Geld verdient wird, das sie in Rom ausgeben, schlagen die mächtigen Bosse der Wirtschaftsverbände Alarm: „Wenn wir das ausufernde Haushaltsdefizit nicht unter Kontrolle bringen, ist es ein Unding, weiterhin in die Staatskasse zu greifen, um möglichst viele Geschenke für die Wählerklientel zu finanzieren. Der Staat ist ruiniert.“ Der „Cavaliere“ reagiert ungerührt, indem er wohlgelittenen Journalisten aus seinem Medienreich auf seinem sardischen Latifundium ökonomischen Nachhilfeunterricht erteilt: „Solange da draußen vor der Küste immer mehr große Yachten ankern und die Zahl der Damen, die sich einer Schönheitsoperation unterziehen, die wir Männer bezahlen müssen, steigt, geht’s uns gut.“ Gute Nachrichten kann Berlusconi gebrauchen. So auch die aus seiner Heimatstadt Mailand: Wieder einmal mußte ein Gericht gegen ihn den Vorwurf der Bilanzfälschung fallen lassen. Der „Heilige Silvio“ soll 1991 über die Firma All Iberian ein paar Millionen an die Sozialistische Partei gezahlt und die Buchführung manipuliert haben, um die Transfers zu verdecken. Sein vigilanter Anwalt, Nicolo Ghedini: „Verjährt ist verjährt.“ Und dennoch. Dem gelifteten „Cavaliere“, der das Skalpell des Schön-heitschirurgen auch mit 68 nicht scheut, entglitten am Ende einer eilig einberufenen Verlautbarungskonferenz im überfüllten Pressesaal des römischen Chigi-Palastes die Gesichtszüge. Er machte plötzlich keine gute Figur vor jenem pompösen Fresko mit schwebenden Engeln, das er zu Beginn seiner Amtszeit im Juni 2001 an die Stirnseite des engen Saales hatte pinseln lassen. Stand da nicht pure Panik in seinen Augen? Wohl kaum jemand weiß besser als er um die Niedertracht der Akteure in der römischen Politik, ist er doch selbst ein Maestro der Intrige und der faulen Tricks – immer in ungewollt enger Tuchfühlung mit der Staatsanwaltschaft. „Ich bin gewöhnt an Stürme und Finsternisse“, seufzte er ganz gegen seine Gewohnheit am Ende seines Monologs im Palazzo an der Piazza Colonna. Silvio Berlusconi, nach eigenem Bekunden ein überaus eitler Milanese, italienischer Premier mit monarchischer Attitüde und zugleich fideler Realitätsverweigerung, dem derzeit nicht nur seine Gegner das Ende seines politischen Höhenfluges prophezeien, wurde an diesem Tag im Palazzo Chigi von der ebenso überraschend wie leidenschaftslos vorgebrachten Anmerkung seines Koalitionspartners Marco Follini, des Generalsekretärs der Christdemokraten (UDC), kalt erwischt: „Wir gehören nicht zu jenen, die glauben, daß Berlusconi bei den kommenden Parlamentswahlen der geeignete Spitzenkandidat sein kann“, trug der in seiner bedächtigen Art vor und taxierte dabei aufmerksam die Reaktion seines Tischnachbarn. Und das zum Auftakt eines bis dahin ziemlich skurrilen Wahlkampfes, bei dem sich immer deutlicher abzuzeichnen beginnt, daß die innenpolitischen Fronten von heute längst nicht die Schützengräben von morgen sein müssen. Bereit, sich noch einmal für fünf Jahre zu „opfern“ So etwas läßt sich ein Cavaliere nicht noch einmal sagen. Zwar räumt er ein, ebenso gerne mit einer „schönen Yacht vor einer noch schöneren Südsee-Insel“ kreuzen zu wollen, wenn man ihn partout nicht mehr wolle, aber andererseits sei er auch bereit, sich noch einmal „für fünf Jahre“ zu „opfern“ – um dann noch längst nicht ins sardische Refugium zu wechseln, sondern am liebsten im Quirinalspalast als italienischer Staatspräsident auf seine Seligsprechung zu warten. Was sich in den römischen Regierungspalästen derzeit genau abspielt, vermögen selbst langjährige, erfahrene italienische Auguren kaum noch richtig zu entschlüsseln. Und so tröstet Stefano Folli, ehemaliger Chefredakteur des Mailänder Corriere della Sera, in der Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore seine Leser mit der fast 300 Jahre alten Weisheit des großen venezianischen Bühnendichters Carlo Goldoni – eines unübertroffenen Meisters der italienischen Commedia: „Nur in diesem seltsamen Land Italien kann die Komödie der Mißverständnisse und der Possenreißerei zu Hause sein.“ Was sich da auf den Tag genau eine Woche vor Berlusconis 69. Geburtstag im Palazzo Chigi abspielt hatte, ließ den Corriere della Sera zu der Überzeugung kommen, der „Cavaliere“ habe mit diesem „Augenblick seiner Fassungslosigkeit das Ende der Monarchie eingeläutet“. Und schon wenige Stunden später konnte man in einem ermüdenden abendlichen TV-Geschnatter auf fast allen Kanälen die Namen neuer Kandidaten vernehmen. Der reichste und zugleich umstrittenste Mann Italiens, der sich auf der „Forbes“-Liste der bekanntesten 50 Milliardäre unserer globalen Gesellschaft wiederfindet, war offensichtlich an seine Grenzen gestoßen. Doch war er es wirklich? Eher war es UDC-Chef Follini, der als kleinster der drei Koalitionspartner Berlusconis neben der Lega Nord und Gianfranco Finis Alleanza Nazionale bald darauf seinen Rücktritt erklärte. Auch er konnte und wollte nicht mehr. Unbeschadet des latenten Krachs in der Casa delle libertà – unter dem Dach des „Hauses der Freiheiten“, in dem sich die Mitte-Rechts-Koalition des „Cavaliere“ eingerichtet hat, setzt er mit allen Mitteln seinen Willen durch, ein halbes Jahr vor den geplanten Parlamentswahlen das Wahlrecht zurück in die alten Zeiten zu manipulieren. Nur so glaubt er seine politische Macht gerettet. Bei den Regionalwahlen im vergangenen April zeichnete sich bereits ab, daß im Lande nichts mehr gehen wird. Sechs von acht konservativ verwalteten Regionen gingen an die Linke. Hartnäckig hielten sich Neuwahlgerüchte. Und tatsächlich trat ein paar Wochen später der „Heilige Silvio“ zurück – um gleich darauf eine neue Regierung zu bilden. Seitdem unterbietet nun schon im fünften Jahr der disparate Koalitionsklüngel Rekord um Rekord auf der nach unten offenen italienischen Politfarcen-Skala. Berlusconi: „Wir sind kein zivilisiertes Land“ Mit der Drohung, selbst zurücktreten zu wollen, disziplinierte inzwischen der Premier seine Koalitionspartner für den Fall, daß sie seine angestrebte Wahlrechtsreform nicht unterstützen und seine Kandidatur weiter in Frage stellen wollen. Seinem Gegenspieler Romano Prodi, eher farbloser Wirtschaftswissenschaftler, EU-Chef mit internationaler Reputation und zuvor bereits italienischer Ministerpräsident, Führer des Mitte-Links-Bündnisses unter der „Olive“, dessen Glaubwürdigkeit und Unbestechlichkeit nie angezweifelt wurde, sicherte er einen „Kampf bis zu seinem bitteren Ende“ zu. „Wenn der Prodi glaubt, er habe den Sieg schon in der Tasche, dann täuscht er sich gründlich.“ Ein Mann wie der kühle Wirtschaftsprofessor, der zwei Bombenattentate im Dezember 2003 unverletzt überstand, geht indes mit mathematischer Grundsätzlichkeit vor. Um seinen Führungsanspruch innerhalb der längst nicht monolithischen Opposition nach Art US-amerikanischer Kandidatenkür für Präsidentschaftswahlen zu sichern, rief er unter seinen Bündnispartnern zu einer geheimen Personenwahl auf. Das Resultat: 73 Prozent der über 4 Millionen abgegebenen Stimmen für den „ehrlichen Romano“. Wie ein kalifornischer Waldbrand hat sich quasi über Nacht der italienische Wahlkampf ausgebreitet, der bis dahin – gewürzt von seltsamen Äußerungen des Premiers und von hinterfotzig eingefädelten kleineren Gesetzesänderungen zu seinen Gunsten – weniger ernst genommen wurde. Weder die Ministerrücktritte noch der endlose Skandal um Notenbankchef Fazio, dem das Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) auf fünf Seiten dokumentiert zum Teil unglaubliche Verstöße gegen Pflichten der Bankenaufsicht und krumme Geschäfte ankreidet, konnten bislang dem Premier nachhaltig schaden. Schlagzeilen machte eher sein „Käsekrieg“ gegen die noch staatliche Luftlinie Alitalia, die dringend auf eine Geldspritze der Deutschen Bank wartet. Geht es beim Käse um die „Mißachtung nationaler Interessen“ – um eine Art „Landesverrat“ in den VIP-Lounges des Staatsflieger , wo der Cavaliere und sein Landwirtschaftsminister Gianni Alemanno nur französische Käsesorten serviert bekamen, aber keine „der über 500 typisch italienischen“, so sieht er bei seinem Versuch, Lauschangriffe auf Mafia- und Terrorismus-Verdächtige per Gesetz zu beschränken, die geschundene italienische Männerseele gerettet. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein abgehörtes Telefonat aus der Welt der politischen und der halbseidenen Promi-Welt oder des Schmuddel-Business in der Presse publiziert wird. Daß dabei die ausgebreitete Privatsphäre der Betroffenen zur Auflagensteigerung vor allem der bunten Blätter im Medien-Imperium des Wunderknaben Silvio beiträgt, weiß keiner besser als er. Er gebietet über große Teile der italienischen Fernsehlandschaft und hält den Staatsfunk RAI an kurzer Leine. Außerdem gehören Werbeagenturen, Kaufhäuser und Baugesellschaften zu seinem verschachtelten Firmenreich, das angeblich Ende der Achtziger mit reingewaschenen Mafia-Geldern saniert wurde. „Wir sind kein zivilisiertes Land“, gab sich Ministerpräsident Berlusconi leutselig und besorgt zugleich. „Es ist doch ein Unding, wenn wir in einer Zeitung lesen können, was eine Dame ihrem Liebhaber oder ihrem gehörnten Ehemann erzählt oder was ein Mann seiner Geliebten ins Ohr flüstert.“ Nicht nur seine Mailänder Gegenspieler in Medien und Justiz haben keinen Zweifel daran, daß Silvio Berlusconi mit der Gesetzesänderung wieder einmal hauptsächlich seine eigene Geschäfte schützen will und vor allem nicht Gefahr laufen möchte, daß römische Pikanterien aus der seit Jahren „offenen“ Ehe mit Frau Veronica publik werden. Es geht um mehr als die Frage, wer die Wahlen gewinnt Auf der Piazza di Popolo tobte inzwischen der Bär. Die Opposition rief zur Generalprobe. Zigtausende protestierten, demonstrierten gegen Berlusconi. Transparante mit „Gesetz der Schande“, „Silvio: Einmal Betrüger – immer Betrüger“ oder „Stimmenklau“ bestimmten das Bild. Als dann im Abgeordnetenhaus die erste Lesung der Wahlrechtsänderung begann, war die Spannung mit Händen zu greifen. Rund 550 Änderungsanträge hatte die Opposition eingebracht. Ein römischer Rekord. „Unsere Mehrheit steht“, läßt der Cavaliere seinen Außenminister Gianfranco Fini erklären. Dabei hatte genau der vor noch nicht langer Zeit die Führungsfrage des Premier negativ beantwortet. Doch es gilt das gebrochene Wort: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“. Sobald ein Abgeordneter der Berlusconi-Fraktion ans Rednerpult treten wollte, setzte ein ohrenbetäubender Lärm ein. Danach sieht man die lautstarken Kontrahenten Arm in Arm auf den Wandelgängen Geschäfte besprechen. Schließlich stimmten am 13.Oktober stimmten 335 Abgeordnete für die Wiedereinführung der Verhältniswahl, 224 votierten dagegen. Wahlrechtsexperten und Juristen haben längst bestätigt, daß die Pläne der Regierung dazu führen könnten, selbst bei massiven Stimmenverlusten die Mehrheit ihrer Sitze zu verteidigen. Wieder einmal eine „Lex Berlusconi“? Die Abschaffung des Mehrheitswahlrechtes und die Wiedereinführung der Verhältniswahl „ist der schlechteste Dienst an unserem Land“, schreibt der Corriere della Sera. „Das größte Experiment der italienischen Politik würde damit ein unrühmliches Ende finden.“ Tatsächlich geht es um weit mehr als nur um die Frage, wer diese Parlamentswahlen gewinnt. Unter den jahrzehntelang regierenden Christdemokraten bis zum Zusammenbruch der Partei war das Land mit Hilfe des alten Verhältniswahlrechts völlig korrumpiert worden. 1993 wurde es durch ein Referendum abgeschafft und durch ein Mehrheitswahlrecht ersetzt. Ein historischer Schritt auf dem Weg zu einer neuen innerstaatlichen Stabilität. Vorbei die Zeiten, daß in Rom in aller Regel die Dauer eine Regierungsperiode nach der Monatszahl einer Schwangerschaft bemessen wurde. Dann muß schon ein Wunder geschehen Derzeit werden 75 Prozent der Abgeordnetenmandate nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben und nur 25 Prozent an Parteilisten nach dem Proporzsystem. „Das hat sich nicht bewährt“, diktiert der Cavaliere, die miserablen Umfrageergebnisse im Auge, die seiner Forza Italia kaum eine Chance einräumen. Sollte die Mitte-Rechts-Gruppierung mit ihrem Koalitionär Lega Nord unter Führung des ehemaligen Separatisten Umberto Bossi, der vor Jahren Norditalien bereits als „Republik Padanien“ ausgerufen und eigene Pässe gedruckt hatte, im nächsten Frühjahr die Parlamentswahlen gewinnen, stehen die ersten Verlierer schon jetzt fest: die ausländischen Kinder. Bossi: „Wir werden sie in separaten Schulen mit eigenen Unterrichtsplänen unterbringen, islamische Schulen wie in Mailand schließen und eine Föderalismusreform durchführen, die den Regionen auch in Ausländerfragen mehr Entscheidungsgewalt einräumt.“ Und schließlich müsse darüber abgestimmt werden, wie schnell das Land seine Lira zurückbekomme. Wenn der Cavaliere nicht zustimme – arrivederci, Silvio. Dann muß schon ein Wunder geschehen. Foto: Auf in den Kampf: Der „Cavaliere“ wappnet sich, um dem schon oft prophezeiten Ende seines politischen Höhenflugs nochmals zu begegnen Stichwort: Silvio Berlusconi Nach Abschluß des Studiums der Rechtswissenschaften machte sich der Sohn eines Bankangestellten mit 24 selbständig und gründete eine Bau-Holding. 1969 errichtete der 1936 in Mailand geborene Jungunternehmer in seiner Heimatstadt eine „Satellitenstadt“ und verdiente ein Vermögen. Die Millionen investierte er in der Medienbranche und lehrte die staatlichen Sender damit in den achtziger und neunziger Jahren findige Marktwirtschaft. 1982 gründete Berlusconi das Unternehmen Fininvest und avancierte mittels Aufbaus eines Buch- und Zeitschriftenimperiums und Kauf einer Warenhauskette zum reichsten Mann Italiens. 1993 gründete er die Forza Italia und wurde 1994 Ministerpräsident. Infolge von Querelen mit seinem Koalitionspartner Umberto Bossi trat er nach sieben Monaten zurück. Im Jahr 2001 gewann sein Wahlbündnis „Haus der Freiheiten“ die Parlamentswahl.

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