Russische Drohnen drangen in polnischen Luftraum ein und wurden von Nato-Truppen abgeschossen. Trümmerteile schlugen ein, mehrere Häuser wurden beschädigt. Warschau sprach von einer klaren Verletzung des Bündnisgebietes, Kanzler Friedrich Merz verurteilte den Angriff scharf. Die Nato wertete ihn als Provokation. Doch während Europa über die Eskalation berät, bleibt im Berliner Regierungsviertel ein anderes Detail unverändert: Im Reichstagsgebäude sind bis heute Graffiti der Roten Armee sichtbar – konserviert, gerahmt, in die Architektur integriert.
Die Inschriften stammen aus den Maitagen 1945. Soldaten der Roten Armee schrieben ihre Namen, Herkunftsorte, Daten und Parolen an die Innenwände des Reichstags, nachdem sie das Gebäude erobert hatten. Zu lesen sind Ortsangaben wie „Rjasan“ oder „Berlin“, militärische Einheiten wie „3. Kompanie“, persönliche Namen und Vornamen wie „Iwan“ oder „Danilow“ sowie Parolen wie „Tod Hitler“. Es sind typische Siegeszeichen der Eroberer, hastig auf den Putz geschrieben, um Präsenz und Triumph zu dokumentieren.

In den fünfziger und sechziger Jahren ließ Architekt Paul Baumgarten die Kritzeleien teilweise überputzen. Erst beim Umbau durch Norman Foster in den neunziger Jahren wurden viele Schriftzüge wieder freigelegt. Unter der Betreuung des Landeskonservators, in Abstimmung mit Baukommission und Kunstbeirat sowie nach Konsultationen mit der russischen Botschaft wurden sie gereinigt und konserviert. Foster band sie bewußt in sein Konzept ein: Alt und Neu sollten nebeneinander bestehen, die Schattenfugen markieren die Bruchlinien.
Bundestag spricht von „zeithistorischem Dokument“
Die Bundestagsverwaltung hält daran fest. Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT erklärt sie, die Graffiti seien ein „zeithistorisches Dokument“ und gehörten zur Architektur des Reichstagsgebäudes. Sie regten „zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit an“. Für weitere Bewertungen oder Kommentare stehe die Pressestelle nicht zur Verfügung.
Ändern will das nun der AfD-Abgeordnete Gereon Bollmann. „Das Bundestagsgebäude ist das Herz unserer Demokratie. Es darf nicht zur Bühne für Parolen und Symbole einer früheren Besatzungsmacht werden“, sagt er der JUNGEN FREIHEIT. Aus seiner Sicht handelt es sich um „antideutsche Schmierereien“. Bollmann verweist darauf, daß kein anderes europäisches Parlament vergleichbare Inschriften einer Besatzungsmacht in seinen Gebäuden dulde. Er schlägt vor, einzelne Schriftzüge zu archivieren oder, falls gewünscht, an Rußland zu übergeben.

Auch in seiner eigenen Partei bewegt sich die Linie. AfD-Chefin Alice Weidel warnte den Kreml jüngst, die Nato-Luftabwehr nicht weiter „auf die Probe“ zu stellen, und forderte Rußland zur Deeskalation auf.
Bollmann reicht der Union die Hand
Bollmanns Forderung erinnert an eine Debatte, die der Bundestag bereits vor über zwanzig Jahren geführt hatte. Im Jahr 2001 legte die CDU/CSU-Fraktion einen Antrag vor, die Graffiti nur noch „in historisch gerechtfertigtem Umfang“ zu zeigen. Johannes Singhammer erklärte damals im Plenum, der dokumentarische Wert von mehr als 95 Prozent reiner Namenszüge sei gering. Statt dutzende Meter Namenswiederholungen sichtbar zu lassen, sei eine konzentrierte Darstellung ausreichend. Nach dem Schlagabtausch im Plenum wurde der Antrag in den Kulturausschuß überwiesen, dort aber von der rot-grünen Mehrheit nicht mehr aufgegriffen.
SPD, Grüne und PDS – heute als Linkspartei bekannt – verteidigten seinerzeit den Verbleib der Graffiti. Sie betonten den Wert als „authentisches Zeitzeugnis“ und als Bestandteil von Fosters Baukonzept. Für die Grünen war es entscheidend, Spuren der Vergangenheit sichtbar zu lassen. Die PDS sprach von einem Dokument der Befreiung. Auch die FDP zeigte sich mehrheitlich offen für den Erhalt, verwies aber auf den Kompromiß, Obszönitäten zu entfernen.
Bollmann nimmt darauf heute Bezug. „Schon vor 23 Jahren wurde gefordert, diese Schmierereien zu entfernen“, sagt der frühere Verwaltungsrichter. Damals scheiterte die Union an Rot-Grün. „Heute strecken wir die Hand aus, um gemeinsam ein Zeichen zu setzen.“