Anzeige
Anzeige

„Hart aber fair“: Und plötzlich lieben sich Ampel und Union

„Hart aber fair“: Und plötzlich lieben sich Ampel und Union

„Hart aber fair“: Und plötzlich lieben sich Ampel und Union

Louis Klamroth, Moderator von „Hart aber fair“ und seine Gäste: Nicht der erwartet harte Konflikt zwischen Union und Ampel.
Louis Klamroth, Moderator von „Hart aber fair“ und seine Gäste: Nicht der erwartet harte Konflikt zwischen Union und Ampel.
Louis Klamroth, Moderator von „Hart aber fair“, und seine Gäste: Nicht der erwartet harte Konflikt zwischen Union und Ampel Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Thomas Bartilla/Geisler-Fotopres
„Hart aber fair“
 

Und plötzlich lieben sich Ampel und Union

Der Wutwinter ist abgesagt. Bei „Hart aber fair“ schließt die Union mit der Ampel die Reihen fest. Bloß keine Neuwahlen, lautet plötzlich die gemeinsame Parole, aus Furcht vor „den Rechtspopulisten“. Notlage hin, Notlage her.
Anzeige

Das Bier stand kalt, die Popcorntüte gleich daneben. Das kann ja heiter werden, mag sich mancher schon gefreut haben. Am Vorabend des lang erwarteten Kanzlerauftritts im Bundestag prallen Ampel und Union in der ARD bei „Hart aber fair“ aufeinander. Thema: „Aus Haushaltsloch wird Regierungs-Krise – Ampel vor der Zerreißprobe?“

Im Studio SPD-Vize und Linksaußenstürmer Ralf Stegner, ein Mann der jede Forderung nach Sozialkürzungen allein durch Absenken seiner Mundwinkel einfrieren lassen kann. Ex-CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus, schon qua Physiognomie eine gestaltgewordene Kampfansage. Und dann noch als Schuldenbremsen-Stoiker Konstantin Kuhle, FDP-Fraktionsvize, aalglatt gestylt mit jungliberaler Drei-Tage-Bart-Verwegenheit. Und so guckten sie auch alle drei am Anfang ziemlich entschieden. Das könnte eine richtige Keilerei werden, konnte man da noch denken.

Die Kampflinien waren seit Tagen befestigt. Jedes Haushaltszucken der Ampel wollte die Union vors höchste Gericht zerren. Die SPD hatte Minengürtel um die Sozialtransfers gelegt, die FDP die Schuldenbremse zum „Alleinstellungsmerkmal“ erklärt. Und noch am Montagmittag war Markus Söder (CSU) für die Union – so schien es jedenfalls – mit der Forderung nach einem Urnengang auf Bundesebene in den Ring gestiegen.

Wirtschaftsvertreter zeigt sich hochgradig besorgt

Kein Korridor der Vereinbarkeit, nirgends. Zu dieser schon seit Tagen festgefressenen Ausgangslage hatten sich außerdem die SZ-Wirtschaftsjournalistin Henrike Roßbach und Stefan Wolf, Präsident des Gesamtverbands der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie, im Studio eingefunden.

Letzteren ließ Moderator Louis Klamroth ausführlich Klage führen – in mehreren Etappen. Was nur jetzt aus den Milliarden schweren Subventionszusagen werden solle, nachdem die Ampel mit ihren Haushaltskapriolen vor dem Verfassungsgericht gescheitert war und überhaupt nicht absehbar sei, wo das Geld für diese Zusagen herkommen könnte. „Die Verunsicherung ist schon da“, berichtete Arbeitgeberpräsident Wolf aus der globalen Tech-Unternehmerwelt.

Es ginge um „etwas viel Größeres“ als den Berliner Haushaltsstreit. „Wie schafft dieses Land diese Transformation, die Resilienz zu stärken? Die Industrie erwartet, daß was öffentlich zugesagt wurde, auch eingehalten wird.“ Zweifel am Wirtschaftsstandort Deutschland seien in ihren Folgen gar nicht auszudenken.

Stegner holt weit aus

Betretene Gesichter in der Runde. Treiben wir es alle zusammen zu weit? Die Frage stand im Raum und den Parteileuten ins Gesicht geschrieben. Verging man sich hier um des schnöden parteipolitischen Vorteils willen an etwas, das viel größer ist als man selbst, gar an der nationalen Sache? Es sollte noch dicker kommen. Aber erstmal wurde der Rückfall ins gereizte Geplänkel geübt.

Wer was wann gesagt oder nicht getan habe, haushalterisch oder nicht und Merkel hat doch auch und die vernachlässigte Infrastruktur – und so weiter und so fort. CDU-Brinkhaus und SPD-Stegner kabbelten sich inständig um den ewig schweigenden Kanzler, SPD-Stegner und FDP-Kuhle grantelten sich über Sinn und Unsinn der Schuldenbremse an. Wobei Ralf Stegner dabei zur Hochform auflief, jedes Argument für die Schuldenbremse wegen der allgegenwärtigen Notlageninflation in diesen und allen kommenden Zeiten grundsätzlich zu bestreiten. Der Russenkrieg, der Nahe Osten, Corona, die Inflation, die Ahrtal-Katastrophe und die Energiekrise, dann noch die Lieferkrisen – der Exkurs nahm kein Ende.

Dreimal setzte er dazu in der Sendung an, so daß man, sollte er es zum vierten Mal tun, auch noch Suez- und die Kubakrise sowie den Zweiten Weltkrieg in seiner Litanei erwartete. Wenn jemals die Regierung, egal welche, einen Bundessonderbeauftragten für die Begründung außerordentlicher Haushaltsnotlagen nach Grundgesetz Artikel 109a sucht, der Mann gehört definitiv zu den Topkandidaten.

Brinkhaus will „jetzt einmal ein bißchen Frieden stiften“

Dann kam die Wende. Es begann damit, daß Christdemokrat Brinkhaus mit einem Anflug von Laienpredigerton, den er sich von Parteifreund Norbert Lammert abgehört haben könnte, völlig unvermittelt davon zu erzählen begann, daß man jetzt doch bald das 75jährige Jubiläum des Grundgesetzes feiern würde. Stutzen in der Runde. Was hat der jetzt vor? Ein Trick? Die Kamera fängt ein entgeistertes Gesicht von Moderator Klammroth ein. „Und seit 75 Jahren haben wir diesen Staat nicht mehr grundlegend reformiert.“

Er wolle für einen „dritten Weg“ werben, wobei völlig unklar blieb, was die beiden anderen Wege denn gewesen sein könnten. Das fiel aber niemandem auf. „Das ist ein Weg der Zuversicht. Das ist ein Weg des Optimismus. Da können wir wahnsinnig viel machen.“

„Fesseln ablegen“ sei angesagt, da sei „so viel Mehltau“. Ohne Weiteres könnten zum Beispiel allein 30 Milliarden Euro im öffentlichen Dienst durch Digitalisierung eingespart werden, „und und und…“. Und überhaupt, er wolle „jetzt einmal ein bißchen Frieden stiften.“ Dieser  Brinkhaus’sche Ausbruch ins völlig Ungefähre sollte sich noch als Langzeitzünder erweisen.

Der „Kampf gegen Rechts“ steht über Allem

Erstmal versuchte Arbeitgeberpräsident Wolf mit einer Schleife über das Lieferkettengesetz doch noch Konkretes, eben den Bürokratieabbau, anzuschließen. Und Klamroth hatte noch das Thema Abbau „umweltschädlicher Subventionen“ auf dem Zettel, der durchgearbeitet werden mußte. Dann gings ans Thema Neuwahlen, per Einspieler und Vox Populi. 41 Prozent der deutschen Wahlbevölkerung will sie tatsächlich, so konfrontierte Klamroth seine Runde mit einer frischen Statistik. Das war es, das Stichwort zum großen Friedensfinale, das Brinkhaus zuvor schon angetextet hatte.

„Wenn wir einen Funken Verstand und Verantwortungsgefühl haben, dann gehen wir unserer Arbeit nach und geben die nicht nach zwei Jahren zurück“, lehnte Stegner das Ansinnen ab. „Und in einer Situation, wo wir merken, daß Rechtsradikale in westdeutschen Parlamenten zweitstärkste Kraft werden, wo wir Krisen in der ganzen Welt haben, da soll dieses Deutschland, drittstärkste Wirtschaftsmacht der Welt, sagen: Jetzt gehen wir da mal raus und machen Wahlkampf?“ Keiner von „uns“ – nicht einmal die Union – würde davon profitieren, „weil nur die Demokratiefeinde zunehmen in Deutschland“.

Da stand sie nicht mehr nur im Raum, da war sie endlich explizit angesprochen, die nationale Sache, die gemeinsame: der „Kampf gegen rechts“. Brinkhaus begreift sofort, nickt Stegner zu, da war er endlich, der „Frieden“ den er zuvor schon stiften wollte. Einen Burgfrieden, über alle Gräben des aktuellen Streits hinweg, im Kampf gegen die „Demokratiefeinde“. Als „demokratische Parteien insgesamt“ müsse man „Leistungsfähigkeit“ zeigen, stimmte Brinkhaus begeistert ein.

Die Union zeigt kein Interesse, die Ampel zu attackieren

Jetzt nickt Stegner Brinkhaus zu. FDP-Kuhle lächelt friedlich. Brinkhaus beschwört weiter die Einheitsfront: „Bei wichtigen Fragen haben Ampelparteien und Union immer zusammengehalten.“ Ja, er sagt kumpelig „gehalten“. Man sehe ja, wie die „Rechtsradikalen und Rechtspopulisten“ gerade in den Niederlanden Erfolg hätten, wie in auch in Italien, Frankreich, Skandinavien, Ungarn, raunt Stegner zustimmend. Brinkhaus schließt: „Kanzlerschaft der Union gern, aber nicht jetzt.“

Damit ist klar, wie es weitergeht mit dem Ampel-Bankrott. Er wird verschleppt. So klar äußert sich ein Brinkhaus nicht ohne Abstimmung mit der Parteiführung. Die Union will und wird ganz offenbar die Ampel im Haushaltsstreit nicht ernsthaft stellen. Die Bereitstellung der im Feuer stehenden Klima-Milliarden wird einvernehmlich geregelt, die Ampel also gestützt. Der ein oder andere Schaukampf in den nächsten Wochen und Monaten ist eingepreist. Söder war bei seiner Neuwahlattacke entweder schlecht informiert oder einfach nur chaotisch unterwegs und Scholz muß sich weiterhin keine ernsten Sorgen machen. Zumindest nicht wegen dieser Unions-Opposition.

Man muß es Moderator Klamroth nachsehen, daß er ohne den Abstand häuslicher Fernzeugenschaft den politischen Nachrichtenwert dieser bizarren Wendung nicht realisierte, geschweige denn aufnahm. Da verbrüdern sich mitten im schwersten Grundsatzstreit seit Jahren wie aus dem Nichts Regierung und größte Oppositionsfraktion und ziehen in Reih und Glied gemeinsam in völlig anderer Sache ins Feld – gegen „den Populismus“. Soweit zum Thema Opposition in der parlamentarischen Praxis. Die Show ist zu Ende. Das war’s mit dem Popcorn-Fernsehabend.

Louis Klamroth, Moderator von „Hart aber fair“, und seine Gäste: Nicht der erwartet harte Konflikt zwischen Union und Ampel Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Thomas Bartilla/Geisler-Fotopres
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag