BONN. Bundespräsident Joachim Gauck hat den amerikanischen Informanten Edward Snowden als Verräter bezeichnet. In einem Fernsehinterview sagte er: „Für Verrat habe ich kein Verständnis.“ Im Netz brach daraufhin ein Sturm der Entrüstung los.
Die ZDF-Journalistin Bettina Schausten kam nach neun Minuten im ZDF-Sommerinterview auf das Thema Überwachungsstaat zu sprechen. Der frühere Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde entgegnete ihr: „Ich habe mir jetzt zur Angewohnheit gemacht, bevor ich mich empöre, schau ich nochmal genau hin. Ich schaue mir die wirkliche Wirklichkeit an – und nicht nur die der Schlagzeilen.“
Weiter führte er aus: „Wir wissen zum Beispiel, daß es nicht so ist wie bei der Stasi und dem KGB, daß es dicke Aktenbände gibt, wo unsere Gesprächsinhalte alle aufgeschrieben und schön abgeheftet sind.“ Die Deutschen müßten uns keine Sorgen machen, so der ehemalige Bürgerrechtler. Die Balance zwischen Bürgerrechten und Sicherheitsmaßnahmen sei „in Ordnung“. Gauck berichtet von einem Gespräch mit Präsident Barak Obama, der ihm zugesichert habe, daß alles rechtstaatlich ablaufe. Im übrigen durchsuchten auch deutsche Sicherheitsbehörden Handys und andere Kommunikationsformen nach Schlagwörtern.
Neue Berichte über Abhörmaßnahmen
Auf die Frage, ob er Verständnis oder Sympathie für Edward Snowden habe, antwortete der Bundespräsident: „Für puren Verrat oder die Überschreitung von Verpflichtungen, die man selber eingegangen ist, die man mit seiner Unterschrift besiegelt hat, dafür habe ich kein Verständnis. Denn der öffentliche Dienst muß auf Vertrauenswürdigkeit setzen.“ Snowden, ein Computerspezialist und ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter, hat die Öffentlichkeit über die Arbeitsweise der US-Behörde NSA aufgeklärt.
Das Interview wurde geführt, bevor die jüngste Geschichte vom Guardian veröffentlicht wurde. Die britische Zeitung und der Spiegel berichten von massiven Abhörmaßnahmen gegen deutsche und europäische Institutionen. Diese jüngsten Enthüllungen sind nun auch ein Fall für die Bundesanwaltschaft, die prüfen soll, ob es sich dabei um staatsschutzrelevante Delikte handelt, so der Spiegel.
Im Netz kassierte Gauck für seine Äußerung massenhaft spöttische Kommentare. Der Medienjournalist Michael Ziesmann etwa twitterte: „Der frühere Chef der Stasi-Unterlagenbehörde verteidigt die amerikanische Unterlagenbehörde. Finde den Fehler.“ Die Bloggerin Sina Trinkwalder kommentierte: „Bürgerrechte sind für Gauck Neuland.“ Der Politikberater Michael Spreng schrieb, er habe „vom Freiheitsredner Gauck mehr erwartet“. Die neuen Technologien hätten das Potential unsere Freiheit so zu bedrohen wie früher die Stasi. Und weiter: „Gauck reihte sich damit ein in eine merkwürdige Sprachlosigkeit der Bundesregierung.“ Der FDP-Abgeordnete Jimmy Schulz forderte die sofortige Aufklärung des gesamten Überwachungsskandals.
Die Auseinandersetzung um totale staatliche Überwachung der Kommunikation der Bürger erreichte am Montag einen neuen Höhepunkt. An diesem Tag tritt das Gesetz über die Bestandsdatenauskunft in Kraft. Es ermächtigt staatliche Stellen, sämtliche geheimen Paßwörter der Deutschen bei Telefonfimen und Internetanbietern abzufragen. Die großen Konzerne sind verpflichtet, diese Daten auf eigene Kosten über eine Schnittstelle automatisch Geheimdiensten, Polizei, Justizdienststellen und so weiter zur Verfügung zu stellen. (rg)