Der Fall schien eindeutig. Das Opfer: ein couragierter Polizeichef, der stets entschlossen gegen die rechtsextreme Szene vorgegangen war. Der Täter: ein etwa 1,90 Meter großer glatzköpfiger Neonazi, der dem zweifachen Familienvater aus Rache für dessen Engagement nach dem Leben trachtete. Es war der 13. Dezember 2008, später Nachmittag, als der Passauer Polizeidirektor Alois Mannichl von einem Unbekannten vor seinem Wohnhaus in Fürstenzell mit den Worten „Viele Grüße vom Nationalen Widerstand. Du linkes Bullenschwein“ niedergestochen wurde. So schildert es Mannichl – der einzige Zeuge der Tat.
Die Nachricht vom angeblich rechtsextremen Mordanschlag auf den Passauer Polizeichef sorgt deutschlandweit für Schlagzeilen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) spricht von einer neuen Dimension rechter Verbrechen im Freistaat. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) versichert, es würden alle Hebel in Bewegung gesetzt, den oder die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Das Landeskriminalamt übernimmt die Ermittlungen. Die eingesetzte Sonderkommission umfaßt zeitweise bis zu 50 Mann. Es wird eine Belohnung von rund 20.000 Euro ausgesetzt.
Doch der Täter bleibt verschwunden. Alle Spuren führen ins Nichts. Statt dessen mehren sich die Ungereimtheiten. So stammte die Tatwaffe – ein Küchenmesser – aus Mannichls Haushalt. Der Polizeichef hatte es einige Tage zuvor während eines Nachbarschafts-Adventfests geholt, um Lebkuchen zu schneiden und dann auf dem Fensterbrett vergessen. Nur warum verwendete der Täter, der mutmaßlich in der Absicht gekommen war, Mannichl zu töten, keine eigene Waffe, sondern griff zu einem Messer, das er zufällig fand? Mit was hätte er Mannichl ermorden wollen, wenn dieser nicht sein Messer vor dem Haus vergessen hätte? Und warum warf er die Tatwaffe nach der Attacke achtlos in Mannichls Garten? Es sind solche Fragen, die zu Spekulationen führen, es könnte sich bei der ganzen Geschichte gar nicht um ein rechtsextremes Attentat, sondern um eine Tat mit familiärem Hintergrund gehandelt haben. Doch auch hierfür finden sich keine Beweise.
Streit mit dem Oberstaatsanwalt
Die Polizei kommt bei ihren Ermittlungen nicht weiter, Täterbeschreibungen müssen aufgrund unglaubwürdiger Zeugenaussagen wieder fallengelassen werden, es wird ruhiger um den Fall. Ein Jahr nach der Tat meldet sich Mannichl – mittlerweile zum Leiter der Abteilung Verbrechensbekämpfung im niederbayerischen Polizeipräsidium in Straubing befördert – in der Bild-Zeitung zu Wort und macht den Ermittlern Vorwürfe. Sie hätten es seinerzeit versäumt, unter seinen Fingernägeln nach DNS-Spuren des Täters zu suchen. Dabei habe er diesen noch am Arm festgehalten. Mannichls Kritik sorgt bei den Betroffenen für Empörung. Im Stern macht sich der Passauer Oberstaatsanwalt Helmut Walch Luft: Es sei Zeit, sich gegen die Vorwürfe des Polizeidirektors zu wehren. „Es muß auch mal gesagt werden, daß sich Herr Mannichl bei seinen Vernehmungen nicht widerspruchsfrei verhalten hat.“ So habe er beispielsweise unterschiedliche Versionen geschildert, warum er das Messer aus dem Haus geholt habe. Zudem habe er in seinen ersten Vernehmungen angegeben, bei dem Angriff keinen unmittelbaren Kontakt, insbesondere keinen Hautkontakt, mit dem Täter gehabt zu haben. Später beschrieb er die Auseinandersetzung dagegen als wesentlich intensiver.
Und auch die Kollegenschelte wegen der nicht vorgenommenen DNS-Untersuchung sei völlig unangebracht. Schließlich sei Mannichl der einzige, der den Ablauf beobachtet habe und als hoher Polizeibeamter um die Brisanz und den Beweiswert von Fingernägeln wisse. Warum habe er dann nicht die Polizisten, die ihn fast täglich im Krankenhaus besuchten, aufgefordert, DNS-Proben von seinen Fingernägeln zu nehmen? Und noch ein weiteres Detail gibt Walch preis: Der Messerstich sei weder sehr tief gewesen, noch heftig ausgeführt worden. „Der Blutverlust war äußerst gering.“ Lebensgefahr habe nicht bestanden. Bislang hatte es immer geheißen, die Ärzte hätten Mannichls Leben nur durch eine Notoperation retten können. Daß Mannichl sich den Stich selbst zugefügt habe, schließen die Ermittler allerdings aus.
Gleiches gilt für die Vermutung, die mutmaßliche rechtsextreme Terrorzelle NSU könne etwas mit dem Attentat zu tun gehabt haben. Das bayerische LKA fand hierfür keine Hinweise. Die Prüfung einer möglichen Verbindung zum NSU gehörte zu den letzten konkreten Ermittlungen des LKA in dem Fall, wie eine Sprecherin auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mitteilt. Dennoch seien die Akten noch nicht geschlossen. Zwar existiere die Soko nicht mehr, mit dem Fall betraute Sacharbeiter würden aber auch in Zukunft neuen Hinweisen intensiv nachgehen.
JF 51/13