KARLSRUHE. Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstagvormittag über die Klage gegen den Lissabon-Vertrag entschieden. Nach Auffassung der Richter verstößt das Gesetz, mit dem die Mitbestimmung von Bundestag und Bundesrat geregelt wird, gegen das Grundgesetz, da dem deutschen Parlament „im Rahmen von europäischen Rechtssetzungs- und Vertragsänderungsverfahren keine hinreichenden Beteiligungsrechte eingeräumt wurden“.
Das Zustimmungsgesetz zum Lissabon-Vertrag an sich bewertete der Zweite Senat dagegen als verfassungskonform. Die „kontrollierte und verantwortbare Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union“ werde durch einzelne Vorschriften des Reformvertrags nicht in Frage gestellt. Die Bundesrepublik Deutschland bleibt nach Meinung der höchsten deutschen Richter auch bei Inkrafttreten des Vertrags ein souveräner Staat: „Insbesondere bleibt die deutsche Staatsgewalt in ihrer Substanz geschützt.“
Ratifizierung vorerst gestoppt
Dennoch ist mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags vorerst gestoppt. Die Fraktionen im Bundestag haben sich bereits geeinigt, noch in der Sommerpause eine Neufassung des von den Richtern verworfenen Begleitgesetzes zu beschließen.
Besonders deutlich kritisierte das Bundesverfassungsgericht den mangelnden demokratischen Einfluß auf die Brüsseler Gesetzgebung. Auch durch den „Ausbau der Kompetenzen des Europäischen Parlaments“ werde die Lücke zwischen dem Umfang der Entscheidungsmacht von Europäischer Kommission und Europäischem Rat einerseits sowie „der demokratischen Wirkmacht der Bürger in den Mitgliedstaaten“ andererseits zwar verringert, aber nicht geschlossen. Das Europäische Parlament sei nicht „hinreichend dafür gerüstet, repräsentative und zurechenbare Mehrheitsentscheidungen als einheitliche politische Leitentscheidungen zu treffen“, heißt es in der Begründung der Karlsruher Richter. (vo)
> Interview mit Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg, einem der Kläger gegen den Lissabon-Vertrag