Hindenburg hat keine Konjunktur mehr. Einst war er des deutschen Volkes liebster Feldmarschall, im Kriege populärer und mächtiger als der Kaiser, als Reichpräsident sich in den ersten Jahren seiner Amtszeit einer Akzeptanz bis weit in das linksliberal-sozialdemokratische Spektrum erfreuend.
Sein, wenn man so will, Nachfolger Theodor Heuss lobte ihn in einem Gedenkbuch der Reichsregierung zum zehnjährigen Jubiläum der Reichsverfassung. In Hindenburg vereinigten sich „die besten Eigenschaften der preußischen Offizierstradition“, nämlich „Schlichtheit und Ritterlichkeit“, er zeichne sich durch „großgeartete Sachlichkeit des Charakters“ aus.
Gegen die Intention seiner Unterstützer wurde Hindenburg mit seiner streng verfassungskonformen Amtsführung zunächst zu einem Stabilisator der Weimarer Republik. Er war auch bereit, Verantwortung zu tragen, unterzeichnete etwa „schweren, aber festen Herzens“ die Ausführungsgesetze zum Young-Plan, was ihm von Rechts übelgenommen wurde. Daß er 1931 Präsidentschaftskandidat auch der SPD war, behagte ihm nicht.
Kein Bundespräsident hat sich auf Hindenburg berufen
Auch der SPD und den Parteien links von ihr behagt Hindenburg schon länger nicht mehr. Man kann freilich von der Bundesrepublik, zu deren Trägern die SPD gehört, schlecht erwarten, daß sie sich auf Hindenburg beruft. Im Konsens der fünfziger Jahre galt die starke Stellung des Reichspräsidenten in Verbindung mit dem nicht unbedingt als Herzensrepublikaner zu bezeichnenden Feldmarschall als eine Ursache des Scheiterns der Republik, die Väter des Grundgesetzes hatten ihre Konsequenzen gezogen.
Theodor Heuss tat mit seiner zurückhaltenden Interpretation des Amtes ein übriges; kein Bundespräsident, der sich auf Hindenburg berufen hätte. Teilweise wurde nach 1945 bereits ein radikaler Bruch versucht. Zahlreiche Hindenburgstraßen, die teilweise noch zu Lebzeiten und vor 1933 den Namen erhalten hatten, wurden getilgt, vornehmlich in der sowjetischen, aber auch der amerikanischen Zone.
Doch viele Straßen und Kasernen tragen bis in die Gegenwart seinen Namen. Mittlerweile ist die Forschung von den Diskussionen der fünfziger Jahre entfernt, die Weimarer Republik wird positiver gesehen; unverdächtige Publizisten wie Sebastian Haffner schrieben auch Positives über den letzten Reichspräsidenten.
Kommunalpolitisches Possenspiel
Fast könnte man also denken, die nicht so zahlreichen Hindenburgstraßen und -schulen würden weiter überleben, vielleicht nicht so sehr als eine Huldigung an den Reichspräsidenten, doch als eine Form des postmodernen „Anything goes“ im Schilderwald. In letzter Zeit allerdings wird Hindenburg zunehmend in Frage gestellt.
In Münster soll der Hindenburgplatz umbenannt werden, in Darmstadt sollte aus der „Hindenburgstraße“ eine „Marion-Gräfin-Dönhoff-Straße“ werden. In Trier ist die Umbenennung des Hindenburg-Gymnasiums beschlossen, in Marburg steht etwas besonders an: auf Antrag der Linkspartei soll das Hindenburggrab in der Elisabethkirche aus einer von der Städtischen Sparkasse herausgegebenen Liste der Sehenswürdigkeiten der Lahnmetropole gestrichen werden.
Letzteres ist natürlich ein kommunalpolitisches Possenspiel, denn eine Stadtverordnetenversammlung kann allenfalls in Diktaturen dekretieren, was sehenswert ist oder nicht. Auch andere Initiativen zur Ächtung Hindenburgs sind bekannt; in Berlin sollte er 2001 aus der Liste der Ehrenbürger gestrichen werden. Der sozialdemokratische Präsident des Abgeordnetenhauses Walter Momper, selbst kein Freund Hindenburgs, aber ausgebildeter Historiker, konnte dies noch einmal verhindern. Die Begründungen sind zumeist stereotyp.
Ohne politische Lobby
Hindenburg sei ein Monarchist gewesen, immer wieder wird seine Rolle bei der Machtergreifung Hitlers erwähnt. Nun ist Hindenburg, das wurde bereits betont, eine historische Figur, die – anders als etwa Rosa Luxemburg oder Olof Palme – keine politische Lobby besitzt. Eine Partei, die sich auf ihn in irgendeiner Weise beruft, gibt es selbst im rechten Sektierertum nicht, Monarchisten waren in der Bundesrepublik immer bedeutungslos. Und Ostpreußen, wo man Hindenburg die Rettung vor der russischen Invasion anrechnete, ist verlorengegangen.
Es besteht auch kein Grund, den alten Herrn kritiklos zu verehren; das hat freilich nie jemand getan. Doch selbst ein Historiker wie der in Cambridge lehrende Australier Christopher Clark, der ein sehr positives Bild von Preußen vermittelt, sieht in Hindenburg eine der negativsten Figuren der deutschen Geschichte.
Und das konservative Lager, es muß sich die Frage gefallen lassen: Mit welchen positiven Inhalten hat es in den vergangenen Jahrzehnten Hindenburg gefüllt? Mehr als ein Schützenfestkonservatismus, der in den Begründungen irgendwo zwischen „War einmal Reichspräsident“, „Schneidiger Feldherr“ und „Die Straße hieß doch immer so“ schwankt, dürfte nicht herauskommen.
Versuch, die Geschichte umzuschreiben
Es mag tatsächlich Gründe geben, eine Hindenburgstraße umzubenennen. Man mag seine Ernennung Hitlers anführen, aber wie steht es dann mit Theodor Heuss, der dem Ermächtigungsgesetz zustimmte? Man muß es einfach klar sagen: Der neue Bildersturm auf Hindenburg ist ein Akt des billigsten Antifaschismus; diesmal ohne Faschisten.
Hindenburg hat, wie gesagt, keine Lobby; daß er in weiten Teilen der Bevölkerung einmal als über den Parteien stehender Repräsentant gesehen wurde, davon zeugen die Hindenburgstraßen. Sie umzubenennen, wäre ein Versuch, die Geschichte nachträglich umzuschreiben.
In Berlin gibt es noch einen Hindenburgdamm, der so schnell nicht umbenannt werden dürfte; die Umbenennung der Hauptstraße im Stadtteil Lichterfelde wäre mit immensen Kosten verbunden. Umbenannt wurde 1989 das benachbarte Tannenberg-Gymnasium.
Zielscheibe rechtsradikaler Angriffe
Der Historiker Hagen Schulze hatte sich gegen diese Umbenennung ausgesprochen; diese Form der Vergangenheitspolitik reduziere die Geschichte „auf eine Abfolge gegenwartsbezogener kategorischer Imperative, ein moralisches Panoptikum, das von jeder Generation nach deren jeweiligen Bedürfnissen umgebaut wird“.
Die Bundesrepublik sieht sich gerne in der Nachfolge der Weimarer Republik. Kann deren Geschichte ohne Hindenburg geschrieben werden? Sicherlich nicht. Wer Hindenburg für das Scheitern der Weimarer Republik verantwortlich macht, liegt auf der Höhe einer veralteten Fünfziger-Jahre-Geschichtsschreibung; die Umbenennungskeule müßte auch die Hugo-Preuß-Brücke in Berlin treffen, denn auf den jüdischen Juristen geht die Weimarer Reichsverfassung zurück, und für eine starke Stellung des Staatsoberhauptes bis hin zu Diktaturkompetenzen hatte er sich immer ausgesprochen.
Und nicht vergessen werden darf, daß Hindenburg nach seinem Amtsantritt immer mehr zur Zielscheibe rechtsradikaler Angriffe wurde. Die Angriffe waren geschmacklos. Noch billiger ist es freilich, die Angriffe gegen das Grab des toten Reichspräsidenten zu richten. „Der Widerstand gegen Hitler nimmt
täglich zu“, schrieb 1984 Johannes Gross. Kommt jetzt der Widerstand gegen Hindenburg?