BRÜSSEL. Der Großmufti der rund zwei Millionen Moslems in Bosnien-Herzegowina, Mustafa Cerić, hat in der Zeitschrift European View einen Aufsatz über die „Herausforderung einer gemeinsamen moslemischen Instanz in Europa“ („The challenge of a single Muslim authority in Europe“) veröffentlicht. Darin stellt er seine Version einer zukünftigen europäischen Sozialordnung vor und redet der Scharia das Wort, auf die Moslems „immerwährend“ verpflichtet seien.
Die seit Frühling 2005 erscheinende Halbjahreszeitschrift wird vom Centre for European Studies (CES) herausgegeben und teilweise vom Europäischen Parlament finanziert. Pikant: Das Zentrum für Europäische Studien ist offizielle Denkfabrik der Europäischen Volkspartei (EVP), in der auch die CDU/CSU organisiert sind.
Auf sechs Seiten eines englischsprachigen Textes legt der in Sarajewo arbeitende Großmufti seine Sicht der Dinge dar. Es gebe Bestrebungen hin zur Schaffung einer gemeinsamen moslemischen Instanz im heutigen Europa. Deren drei theologische Fundamente müßten sein: Aqidah (Glaube), Scharia (islamische Rechtsordnung) und Imamat (die Führung von Menschen im Sinne Mohammeds durch eine „göttlich inspirierte“ Person, zum Beispiel einen Imam).
Konsequenz: ein europäisches Kalifat
„Demzufolge ist die islamische Verpflichtung auf die Scharia immerwährend, nicht verhandelbar und unbefristet“, argumentiert Mustafa Cerić. Sie sei die Grundlage, von der aus „alle Moslems in allen Generationen das Recht und die Pflicht haben, über Gut und Böse, Richtig und Falsch zu urteilen, im Kontext von Zeit und Raum und in Übereinstimmung mit den eigenen Erfahrungen“. Schon früher, so während der Auseinandersetzungen um die Mohammed-Karikaturen, war Cerić durch Forderungen nach einer einheitlichen europäischen Repräsentanz für alle Moslems aufgefallen.
Nach einem Bericht der Welt ist man bei der CDU inzwischen aufmerksam geworden. Im European View würden auch Beiträge erscheinen, die von den politischen Anschauungen der EVP abwichen. Sofern aber Beiträge veröffentlicht werden, in denen Rechtsstaat und Demokratie offenkundig in Frage gestellt werden, „müßte sich die Redaktion in einem Kommentar klar davon absetzen“, forderte EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering. Der CDU-Politiker, der zu den Herausgebern des European View gehört, erwarte, „daß sich die Redaktion derartige Aufsätze in Zukunft sorgfältiger anschaut“.
Die Expertin der CDU-Bundestagsfraktion für Islam, Integration und Extremismus, Kristina Köhler, sagte gegenüber der Welt, die Forderungen Cerić’ liefen darauf hinaus, „daß alle Muslime in Europa unter einem gemeinsamen politischen und geistigen Führer und unter der Herrschaft der Scharia leben – und der Staat soll diese Parallelwelt auch noch per Vertrag garantieren“. In der Konsequenz führe das „zu einem europäischen Kalifat“, sagte Köhler.