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„Wir haben noch fünf Jahre“: Wie Polen kriegstüchtig werden will

„Wir haben noch fünf Jahre“: Wie Polen kriegstüchtig werden will

„Wir haben noch fünf Jahre“: Wie Polen kriegstüchtig werden will

Soldaten bereiten sich auf die jährliche Militärparade zum Tag der polnischen Armee vor: Mehr als 216.000 Personen dienen in Polens Streitkräften. (Themenbild)
Soldaten bereiten sich auf die jährliche Militärparade zum Tag der polnischen Armee vor: Mehr als 216.000 Personen dienen in Polens Streitkräften. (Themenbild)
Soldaten bereiten sich auf die jährliche Militärparade zum Tag der polnischen Armee vor: Mehr als 216.000 Personen dienen in Polens Streitkräften. Foto: IMAGO / SOPA Images
„Wir haben noch fünf Jahre“
 

Wie Polen kriegstüchtig werden will

Kaum ein Nato-Land investiert so stark in sein Militär wie Polen – zumal mit der russischen Bedrohung direkt an der Grenze. Doch wie abwehrbereit ist das Land wirklich? Teil 5 der Serie über Europas Armeen.
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Gott, Ehre, Vaterland. Unter diesem Motto haben mehrere Generationen von Polen für ihre Staatlichkeit gekämpft. Für sie gilt diese als der einzige Überlebensgarant ihres Volkes. Kein Wunder: Die Teilungen Polens gegen Ende des 18. Jahrhunderts und die demütigende Niederlage von 1939 zeigten eindrücklich, was ohne eigenen Nationalstaat droht. Die Angst, bald wieder von der Landkarte zu verschwinden und die eigene Zukunft wieder von feindlichen Großmächten abhängig zu machen, war selten so allgegenwärtig wie nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Aufrüsten ist das Gebot der Stunde in Warschau – um jeden Preis. Und die Uhr tickt.

„Wir haben noch fünf Jahre, um uns auf mögliche Kriegshandlungen vorzubereiten. Dann könnte Rußland angreifen. Vielleicht nicht uns, sondern die baltischen Staaten, die die Achillesferse unseres Verteidigungssystems sind“, mahnte der General a.D. Leon Komornicki im Februar gegenüber dem Nachrichtenportal Onet. Dennoch sei jeder Krieg mit Rußland eine Katastrophe für Polen, da sich beide Länder eine gemeinsame Grenze über den Oblast Königsberg teilten. „Rußland hat eine Dschingis-Khan-Mentalität.“

Viele Soldaten, aber wenig Reserve

Deshalb steigen die Verteidigungsausgaben seit Jahren. Schon zum Nato-Beitritt 1999 hatte das Land das Zwei-Prozent-Ziel nur knapp verfehlt. Gab es damals allerdings nur drei Milliarden US-Dollar für die Verteidigung aus, flossen ein Vierteljahrhundert später 35 Milliarden Dollar ins Budget der Streitkräfte – nahezu eine Verzehnfachung. Das entspricht 4,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Kein anderes Nato-Land gibt prozentual mehr für das Militär aus. Und dieses Jahr plant Polen dafür 4,7 Prozent des BIP ein.

Auch die Mannstärke gehört zu den höchsten im Bündnis, nur die USA und die Türkei zählen mehr Soldaten. Als die Wehrpflicht 2009 ausgesetzt wurde, dienten knapp 100.000 Personen in den Streitkräften der Republik. 15 Jahre später waren es 216.100, mehr als zwei Drittel davon Berufssoldaten. Erklärtes Ziel der Regierung ist eine Mannstärke von 300.000. Doch nicht mal das könnte im Verteidigungsfall reichen.

„Auf dem Papier haben wir bis zu 350.000 Reservisten, doch nur ein kleiner Teil davon ist einsatzbereit“, bemängelte Militärhistoriker Dariusz Kozerawski von der Jagiellonen-Universität gegenüber Radio Kraków. Polen brauche bis zu 900.000 geschulte Reservisten wie die Ukraine am Anfang des Krieges. Laut Kozerawski könne die Rückkehr zur Wehrpflicht helfen. Auch General Komornicki teilt diese Einschätzung im Gespräch mit dem Militärportal Sektor Obronny. „Ohne die Gesellschaft auf eine gesamtstaatliche und -gesellschaftliche Mobilisierung vorzubereiten, zumal ohne Reserve, bleiben die polnischen Streitkräfte geschwächt. Und das läßt sich nicht ohne die Wiedereinführung der Wehrpflicht tun. Sämtliche bisherige Lösungen sind nur ergänzende Maßnahmen.“

Polens Industrie bleibt hinter dem Bedarf zurück

Ergänzungsbedarf gibt es auch bei der Ausrüstung. Allein für die Beschaffung fließen 51 Prozent des polnischen Wehretats ein – ebenfalls der höchste Wert in der Nato. Den Berechnungen des Wirtschaftsportals Forsal zufolge braucht Polen unter anderem mindestens 2.030 Kampfpanzer (Stand März 2024: 631), die nötige Reserve unberücksichtigt. Richten sollen es nicht nur die heimischen Fabriken, sondern vor allem Importe aus den Vereinigten Staaten und aus Südkorea.

So lieferte das US-Unternehmen Chrysler Defense Mitte Januar die ersten 28 Kampfpanzer „M1 Abrams“. Insgesamt sollen 250 Stück beschafft werden. Auch bekam Polen bereits 110 von 180 bestellten südkoreanischen K2-Panzern. Sie sollen vor allem die alte sowjetische Baureihe T-72 ersetzen, von der 280 Stück an die Ukraine verschenkt wurden.

Doch die Modernisierung könnte Jahrzehnte dauern. „Bisher haben wir nur Erklärungen und Verträge“, beklagte Kozerawski. Beispielhaft dafür stehe der im Vorkarpatenland produzierte Schützenpanzer „Borsuk“. Davon benötigten die polnischen Landstreitkräfte 1.400 Stück. Geliefert werden sollen aber zunächst lediglich 111 – und zwar bis 2029. Die Kosten: knapp zwei Milliarden US-Dollar. „Bei den aktuellen Produktionskapazitäten kommen die 1.400 Borsuks erst 2042, wenn nicht später.“ Dabei habe Polen bis zu drei Jahrzehnte Rückstand, was Ausrüstung angeht.

Der polnische Schützenpanzer „Borsuk“ (dt. „Dachs“). Foto: Öffentliche Domäne

Rüstungsgruppenchef mußte zurücktreten

Auch an Munition mangelt es. Noch im März warnte der Chef des Amtes für Nationale Sicherheit, Dariusz Łukowski, Polens derzeitige Munitionsvorräte würden für bis zu zwanzig Tage Kriegsführung reichen. Es hagelte Kritik. Łukowski stellte klar: „Nicht die Versäumnisse sind das Problem, sondern der zunehmende Bedarf.“ Polen müsse etwa mit Blick auf die Ukraine anders berechnen, wieviel Munition nötig sei. Kozerawski zeigte sich dennoch skeptisch. „Wir haben keine Kapazitäten, um so viel heimische Munition herzustellen, wie wir brauchen.“ Hinzu komme, daß die Lieferketten aus den Vereinigten Staaten oder Südkorea in Krisenzeiten zu leicht zu unterbrechen seien.

Die Politik hilft kaum. Vor zwölf Jahren hatte die Regierung die Polnische Rüstungsgruppe (PGZ) ins Leben gerufen, um die Kräfte der staatlichen Rüstungsindustrie zu bündeln. Seitdem gab es elf Vorstandschefs, zuletzt Krzysztof Trofiniak. Für die Regierung Donald Tusk galt er jahrelang als Experte für Rüstung, kandidierte sogar auf den Listen der Bürgerlichen Plattform. „Nichts wird aufgeschoben“, versprach der Ingenieur bei seinem Amtsantritt im März 2024.

Ein Jahr später trat er zurück. Offiziell aus persönlichen Gründen, doch laut dem Radiosender RMF FM machte das Verteidigungsministerium Druck, um die Produktion der für die Panzerhaubitzen nötigen 155-Millimeter-Munition zu beschleunigen. „Nach einem Jahr sieht man nicht unbedingt, wie die Arbeit der PGZ sich geändert hat“, resümierte die Tageszeitung Rzeczpospolita. Ein neuer Rüstungsgruppenchef soll es richten. Und die Uhr tickt weiter.

Dies ist der fünfte Teil der JF-Reihe „Armeen Europas.“ Hier können Sie die bisher erschienenen Teile nachlesen:

Teil 1 – Finnland: Wehrpflicht ist Stärke

Teil 2 – Die ausgehöhlten Streitkräfte Großbritanniens

> Teil 3 – Italien setzt auf Panzer statt Pizza

> Teil 4 – Frankreich stolpert durch die Zeitenwende

Aus der JF-Ausgabe 18/25. 

Soldaten bereiten sich auf die jährliche Militärparade zum Tag der polnischen Armee vor: Mehr als 216.000 Personen dienen in Polens Streitkräften. Foto: IMAGO / SOPA Images
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