LONDON. Mehrere Abmachungen, die der britische Premierminister Keir Starmer (Labour) mit der EU getroffen hat – und die die seit Jahren geltenden Brexit-Regelungen aufkündigen – sind auf scharfe Kritik gestoßen. Vertreter der schottischen Fischindustrie warfen dem Regierungschef vor, vor der EU „kapituliert“ zu haben, berichtet die BBC.
So sei ein Zwölf-Jahres-Deal, der Fischerbooten aus der EU erlauben würde, in britischen Gewässern zu fischen, ein „Desaster“, sagte ein Sprecher der Scottish Fishermen’s Federation. Auch die stellvertretende Erste Ministerin Kate Forbes sprach von „einem großen Verrat an unserer Fischerflotte“.
Starmer preist Abkommen als „Win-Win-Situation“
Auf X äußerte sich Forbes zwiegespalten: Das Abkommen zwischen Großbritannien und der EU behebe zwar „kleinen Teil der Schäden des Brexits“. Doch gehe dies „auf Kosten der Fischergemeinden, die während der Brexit-Verhandlungen seit 2016 wie Schachfiguren behandelt wurden“.
The deal between UK and EU unpicks a small part of the damage of Brexit, esp on agriculture, food and drink, energy and Erasmus. Important progress. Its at the cost of fishing communities, who’ve been treated as pawns throughout Brexit negotiations since 2016.
— Kate Forbes MSP (@_KateForbes) May 19, 2025
Starmer selbst pries die Abmachung als „Win-win-Situation“ zwischen dem Königreich und der EU. Es werde Handelshemmnisse „niederreißen“ und den „unnötig schwierigen“ Prozeß des Verkaufs schottischer Produkte in Europa beenden. Das Abkommen werde den britischen Zugriff auf seine eigenen Fischbestände sichern, ohne daß die Zahl der EU-Schiffe zunehmen werde. Auch könnten Schalentiere wieder leichter in der EU verkauft werden.
Reform UK-Vorsitzender spricht von „Abschiedskuß für Brexit“
„Es ist jetzt an der Zeit, daß Großbritannien als stolze, souveräne Nation auf der Weltbühne nach vorne und nach außen blickt – um das beste Angebot für die Menschen in Schottland und Großbritannien zu erzielen“, betonte der Labour-Politiker. Das Abkommen räumt Brüssel dabei das Recht ein, schmerzhafte Sanktionen zu verhängen, sollte sich eine britische Regierung in Zukunft dafür entscheiden, die Regelung wieder aufzukündigen.
Das Fischereiabkommen ist dabei nur ein Baustein innerhalb einer Reihe neuer Bündnisse, die Starmer am Montag offiziell mit der EU abschloß – und denen britische Medien zuschreiben, die Wirkkraft des Brexit außer Kraft zu setzen. Die Tageszeitung Daily Telegraph schrieb, Starmer zerre das Land infolge „seines ‘Reset’-Deals zurück in die EU“.
Auch der Vorsitzende der rechten Partei Reform UK, Richard Tice, urteilte, der Premierminister plane offenbar dem „Brexit einen Abschiedskuß“ zu geben. „Es ist ein gewaltiger Verrat, es ist eine Kapitulation auf Steroiden. Wir treten der EU durch die Hintertür wieder bei, nur nicht dem Namen nach“, sagte Tice.
Personenfreizügigkeit zwischen EU und Großbritannien soll erhöht werden
Der ehemalige Premierminister Boris Johnson beschimpfte Starmer als „orangenfarbenen, eierkauenden, gefesselten Krüppel von Brüssel“, der sich eines „entsetzlichen Ausverkaufs“ schuldig gemacht habe und die „britischen Fischereiinteressen geopfert“ habe. Die neuen Abkommen seien ein „Verrat am Brexit“.
Bei seinem Wahlsieg im vergangenen Jahr habe Starmer angekündigt, „er werde den Brexit und die Freiheiten, die das britische Volk in diesem Referendum errungen hatte, nicht zurücknehmen. Nun hat er das genaue Gegenteil getan. Er hat beschlossen, dieses Land zu einem Land zu machen, das sich an die Regeln halten muß“, kritisierte Johnson.
Neben der Fischerei verpflichtet sich Großbritannien zudem dazu, die EU-Vorschriften zu Lebensmittelstandards einzuhalten und sich an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu halten. Für die Zukunft soll auch die Personenfreizügigkeit zwischen dem Land und dem Staatenverbund erhöht werden – so daß EU-Studenten etwa ohne komplizierte Verfahren nach Großbritannien einreisen und auch dort studieren können. Dafür will das Inselreich dem Erasmus-Programm der EU wieder beitreten.
Von der Leyen: „Wir schlagen ein neues Kapitel in unserer einzigartigen Beziehung auf“
Starmer betonte dabei, daß die Zahl der Einreisenden aus der EU sowie die Länge der Aufenthalte zeitlich begrenzt werden sollen. Interne Quellen aus Brüssel sollen jedoch berichtet haben, daß die EU jungen Europäern die Möglichkeit geben will, ihre Familien nachzuholen.
Im Bereich der Strafverfolgung soll es dem britischen Innenministerium zudem erlaubt sein, Zugriff auf Daten der EU-Strafverfolgungsbehörden zu erhalten. Darunter fallen Fingerabdruckdatenbanken, DNA-Datenbanken und Kriminalakten.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, deutete an, daß die EU weitere Abkommen plane. „Wir schlagen ein neues Kapitel in unserer einzigartigen Beziehung auf.“ (lb)