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Proteste gegen Selenskyj: Bei Korruption kein Kompromiß?

Proteste gegen Selenskyj: Bei Korruption kein Kompromiß?

Proteste gegen Selenskyj: Bei Korruption kein Kompromiß?

Mit seinem neuen Korruptionsgesetz provozierte der ukrainische Präsident Selenskyj nicht nur innerukrainische Proteste.
Mit seinem neuen Korruptionsgesetz provozierte der ukrainische Präsident Selenskyj nicht nur innerukrainische Proteste.
„Schwerer Rückschritt“: In der EU hat Selenskyj an Vertrauen verloren. Foto: picture alliance / AA/photothek.de | Kira Hofmann
Proteste gegen Selenskyj
 

Bei Korruption kein Kompromiß?

Wolodymyr Selenskyj schlägt gegen die Korruptionsbehörden der Ukraine zu. Bürger und die europäischen Partner sind empört. Doch ist der autoritäre Schachzug des Präsidenten nur ein Einzelfall?
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In der Ukraine rumort es gewaltig. Grund für die jüngste Zuspitzung der innenpolitischen Debatte und für kritische Interventionen aus dem Ausland ist ein hausgemachtes Problem, und zwar der Umgang mit der ukrainischen Korruption. Am 22. Juli hatte die Werchowna Rada, das ukrainische Parlament, überfallartig das Gesetz 12414 verabschiedet. Dieses würde im Falle seiner Umsetzung die Unabhängigkeit des nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) und der Sonderstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung der Korruption (SAPO) beenden.

Das Gesetz sieht vor, daß beide Institutionen dem Generalstaatsanwalt unterstellt werden und damit einer Person, die vom Präsidenten ernannt wird. Die Generalstaatanwaltschaft würde auf diese Weise die Möglichkeit erhalten, NABU und SAPO Anweisungen zu erteilen und den Antikorruptionsbehörden Fälle zu entziehen. In jüngster Zeit hatten die Korruptionsjäger zum Beispiel den ehemaligen Vizeministerpräsidenten Oleksij Tschernyschow ins Visier genommen. Der ist ein Vertrauter des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Der wiederum hatte erst kürzlich einen neuen Generalstaatsanwalt ernannt.

Selenskyj spricht von russischem Einfluß

Zusätzlich pikant: Nur einen Tag bevor das Gesetz durch das Parlament ging, hatte der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU Razzien bei Ermittlern von NABU und SAPO durchgeführt. Selenskyj rechtfertigte das Vorgehen unter Verweis auf einen „russischen Einfluß“ in den Institutionen zur Korruptionsbekämpfung. der beseitigt werden müsse. Aus dem Inlandsgeheimdienst verlautete, in den Reihen der Korruptionsjäger habe es pro-russische Spionage gegeben.

Zur Beruhigung der Opposition trugen diese Erklärungen allerdings nicht bei. Statt dessen entlud sich massive Kritik am Kurs des Präsidenten und an dessen Gesetz. Dieses sei autoritär, bedenklich für einen Rechtsstaat und drohe die Ukraine in alte Zeiten zurückzubefördern, lautete der Tenor.

Die Bürger reagieren mit den größten Demos seit Kriegsbeginn

Von einem „Angriff auf die demokratischen Institutionen“ sprach die Partei „Europäische Solidarität“ um Ex-Präsident Petro Poroschenko, die 27 der 450 Parlamentsabgeordneten stellt. Selenskyj habe „die ukrainische Demokratie betrogen“, konstatierte der Kyiv Independent. Zahlreiche Bürger demonstrierten über mehrere Tage gegen Selenskyj und seinen mächtigen Amtschef Andrij Jermak. Es waren die massivsten Proteste seit Beginn der russischen Vollinvasion im Februar 2022.

Parallel dazu breiteten sich auch innerhalb der EU massive Zweifel an Selenskyjs Kurs aus. Die von der Gesetzgebung betroffenen Antikorruptionsbehörden waren nach der prowestlichen Revolution 2014 mit ausländischer Unterstützung in die Spur gesetzt worden. Entsprechend zeigte sich EU-Beitrittskommissarin Marta Kos „ernsthaft besorgt“ über das Gesetz und sprach von einem „schweren Rückschritt“. Kurz darauf griff Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen zum Telefonhörer und machte Selenskyj klar, daß es beim Vorgehen gegen Korruption „keinen Kompromiß“ geben könne.

Nach umfangreicher Kritik dreht der Präsident bei

Der Präsident, der sich 2019 als Kämpfer gegen Korruption ins Amt hatte wählen lassen, wich schließlich unter Verweis auf die öffentliche Meinung zurück. Zwei Tage nach Verabschiedung des Gesetzes gab er einem neuen Entwurf seinen Segen. Dieser sei geeignet, russischen Einfluß zu bekämpfen und gleichzeitig die Unabhängigkeit von NABU und SAPO zu wahren.

Die betroffenen Behörden sekundierten, der neue Entwurf garantiere ihre Unabhängigkeit. Gleichzeitig ist vorgesehen, daß sich künftig sämtliche Mitarbeiter, die Zugang zu Staatsgeheimnissen haben, regelmäßig einem Lügendetektortest unterziehen müssen. Am Donnerstag passierte das Gesetz tatsächlich das Parlament, woraufhin Selenskyj es sofort unterschrieb. Demonstranten in Kiew nahmen das Ergebnis erleichtert auf.

Hat die EU überhaupt noch Einfluß auf Kiew?

Obwohl Selenskyj also zurückrudert, fügen sich die Vorgänge der vergangenen Woche ein in eine Reihe autoritärer Tendenzen, die sich seit Beginn des Krieges verstärkt haben: Oppositionsparteien wurden verboten, die Pressefreiheit eingeschränkt, der Staat ging gegen die Russisch-Orthodoxe Kirche vor und konzentrierte die Macht zunehmend um Selenskyj herum. Somit unterstreicht die Debatte über das Antikorruptionsgesetz die Frage, inwiefern das EU-Establishment bereit ist, im Umgang mit der Ukraine aus geopolitischem Kalkül notfalls eigene Prinzipien zu opfern.

Für Europa ist die Situation derzeit grundsätzlich heikel. Die jüngsten Verhandlungen zwischen Rußland und der Ukraine in Istanbul wurden unter Vermittlung von US-Präsident Donald Trump angestoßen. Das wirft die Frage auf, wie groß der Einfluß überhaupt noch ist, den die EU auf Kiew auszuüben vermag.

Aus der JF-Ausgabe 32/33-25.

„Schwerer Rückschritt“: In der EU hat Selenskyj an Vertrauen verloren. Foto: picture alliance / AA/photothek.de | Kira Hofmann
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