AMSTERDAM. Nach erneuten Ausschreitungen in der Amsterdamer Innenstadt hat der Stadtrat der niederländischen Hauptstadt die Bürgermeisterin Femke Halsema (GroenLinks) mit schweren Vorwürfen überzogen. „Juden werden bis zu ihren eigenen Häusern gejagt, auf der Straße angegriffen, gezwungen, ihre Ausweise zu zeigen, gezwungen, bestimmte Sachen zu sagen“, empörte sich der Chef der größten Oppositionspartei im Stadtparlament, Daan Wijnants von der konservativen VVD.
Das Problem sei mittlerweile umfassend geworden. „Das gilt auch für die LGBT-Gemeinde und junge Frauen – die Straße ist für sie nicht immer sicher.“ Bei seiner Rede während einer Sondersitzung der „Gemeente Amsterdam“ zog der VVD-Fraktionschef in Zweifel, ob Halsema die Situation in der Stadt wieder unter Kontrolle bringen könne.
Drinnen wird debattiert, draußen demonstriert
Halsemas Partei GroenLinks warf der VVD daraufhin Rassismus gegen die arabischstämmige Amsterdamer Stadtbevölkerung vor – die VVD hatte angedeutet, vor allem Araber hätten vergangenen Donnerstag Jagd auf die Fans des israelischen Fußballclubs Maccabi Tel Aviv gemacht. Bei den Ausschreitungen wurden damals zwischen 20 und 30 Personen verletzt und über 60 festgenommen.
Die Debatte im Stadtparlament über die Ereignisse wenige Tage später zeichnete sich unterdessen durch eine aufgeheizte Stimmung aus. Vor allem die rechten und linke Ränder des Plenums attackierten einander verbal scharf. „Es gibt derzeit keinen Amsterdamer mit palästinensischen Wurzeln, der nicht mindestens ein Familienmitglied in Gaza verloren hätte – und dann darf dieser Maccabi-Abschaum hierherkommen? Es ist eine Schande, daß die Fans angegriffen wurden, aber Politiker des haben die Unruhen für ihre eigene rassistische Agenda mißbraucht“, warf etwa der Fraktionsvorsitzende der Migrantenpartei „Denk“ Sheher Khan seinen Kollegen auf der Rechten vor.
Der Fraktionschef der liberalkonservativen „JA21“-Partei Kevin Kreuger konterte: „Wenn es Leute in diesem Raum gibt, die es für normal halten, länger über den Diebstahl oder das Verbrennen palästinensischer Flaggen zu reden, als über Hetzjagden von Juden auf unseren Straßen, frage ich mich, ob sie noch ganz richtig im Kopf sind.“ Während der Debatte versuchten vor dem Rathaus Polizisten, eine propalästinensische Kundgebung zu verhindern.
Polizeiautos und Trams brennen bei nächtlichen Krawallen
In der Nacht auf Dienstag kam es im Stadtteil Geuzenveld-Slotermeer erneut zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Randalierern und der Polizei. Vor einem Einkaufszentrum versammelten sich am frühen Abend zeitweise hunderte junge Männer, um Autos, Busse und Trambahnen mit Feuerwerkskörpern und Steinen zu bewerfen.
Auf Videos, die im Internet kursieren, ist zu hören, wie aus der Menge antisemitische Schmährufe skandiert wurden. So ist auf einer Aufnahme die Haßparole „Kankerjoden“ zu hören, was übersetzt so viel wie „Judengeschwür“ bedeutet. Andere Bilder zeigen, wie eine Straßenbahn in Flammen aufgeht.
“Kanker Joden” schreeuwend gooien ze met bommen naar een tram, die nu in brand staat. #Amsterdam Plein 40 45 pic.twitter.com/Pg3NyyuO3j
— Free mind (@LoneWolfRA) November 11, 2024
Erst nach Stunden konnte die Polizei die Lage vor Ort beruhigen. Mindestens drei Randalierer wurden seither festgenommen und eine weitere Person bei den neuerlichen Unruhen durch explodierende Feuerwerkskörper verletzt. Bilder der Amsterdamer Tageszeitung Het Parool zeigen außerdem, wie einrückende Polizeibeamte Passanten in letzter Sekunde vor der aufgebrachten Menge schützen.
Plein 40 45 op dit moment 🤯🤬 #Amsterdam pic.twitter.com/DnvBwGx0dD
— Free mind (@LoneWolfRA) November 11, 2024
Auf dem Platz vor dem Einkaufszentrum an der Haltestelle „Am Plein 40-45“ im Westen der Stadt wurde als Grund für die Angriffe immer wieder das von der Amsterdamer Bürgermeisterin Halsema erlassene Demonstrationsverbot und das rabiate Vorgehen der Polizei gegen Proteste erwähnt. „Wenn die Polizei so durchgreift, braucht man sich nicht zu wundern“, bezog einer der Randalierer der Het Parool gegenüber Stellung. In einem anderen Stadtteil brannte derweil in Polizeiauto aus. Auch hier vermuten die Ermittler, daß der Wagen zuvor mit Feuerwerk beschossen wurde.
„Keine Meinung, kein Demonstrationsrecht“ – Tumulte vor dem Rathaus
Gleichzeitig kam es auch am Dienstag selbst vor dem Amsterdamer Rathaus zu Rangeleien mit der Polizei. Die Metro hatte zuvor den Verkehr hin zum „Stopera“ genannten Sitz der Stadtregierung eingestellt. „Zur Sicherheit von Mitarbeitern und Touristen“, wie es heißt. Trotzdem versuchten Menschen immer wieder, sich zu einer Kundgebung vor dem Amtssitz der Bürgermeisterin zu formieren.
De demonstranten zeggen ‘geen mening te hebben’. Een voor een gaan ze nu het politiebusje in pic.twitter.com/Kn8cx3OW9E
— Jesper Roele (@JesperRoele) November 12, 2024
Einige skandierten dabei der Het Parool zufolge Losungen wie „Keine Meinung, kein Demonstrationsrecht“. Mindestens sechs Personen wurden in der Folge von der Polizei verhaftet. Richter hatten die Proteste zuvor mit Verweis auf die öffentliche Ordnung untersagt.
Schon stehen die nächsten Hochrisikospiele an
Unterdessen bahnen sich die nächsten Fußballspiele mit erheblichem Eskalationspotential an. Während der Sportverband UEFA am Dienstag mitteilte, die anstehende Begegnung zwischen Maccabi Tel Aviv und Besiktas Istanbul werde aus Sicherheitsgründen ohne Zuschauer in der ungarischen Stadt Debrecen stattfinden, warnten die israelischen Behörden Fans vor dem Besuch des Matches Frankreich-Israel am Donnerstag in Paris.
4.000 französische Beamte würden mobilisiert, um die öffentliche Ordnung zu garantieren, versicherten zuletzt die Behörden an der Seine. Außerdem werde die israelische Mannschaft von französischen Spezialeinheiten abgesichert. Ins Stade de France im Stadtteil Saint Denis dürfen an diesem Abend nur 20.000 statt der üblichen 80.000 Fans. (fw)