Was für ein Zufall, daß Wikileaks ausgerechnet am Montagvormittag ein bislang unbekanntes Dokument des amerikanischen State Department veröffentlicht hat! In dem mit den Worten „Einige erste Eindrücke“ überschriebenen Text von 1975 wird der „neueste politische Star“ Englands beschrieben: Margaret Thatcher.
Nur wenige hätten sie ernstgenommen, so die Experten des amerikanischen Außenministeriums, als Thatcher ihre Kandidatur gegen Edward Heath angekündigt habe. Und noch weniger hätten der damals 49jährigen den Sieg zugetraut. Schließlich habe sie weder zu den „innerparteilichen Strippenziehern der Torys gehört“, außerdem bringe sie nur „wenig Erfahrung“ mit.
Und doch ist es der Tochter eines Kolonialwarenhändlers gelungen, sich an die Spitze der Partei zu arbeiten und dann elf Jahre lang das Land als Premierministerin zu regieren.
Zwei Schlachten
Thatchers Amtszeit war geprägt von zwei Schlachten, die sie zu schlagen hatte. Da war zum einen der Krieg um die Falklandinseln: Argentinien hatte diese südatlantische Inselgruppe annektiert, aber England, das den Verlust seines riesigen Kolonialreiches kaum verkraftet hatte, wollte diese letzte Demütigung nicht durchgehen lassen. Thatcher entschied sich zum Kampf. Und so eroberten britische Soldaten die Inseln zurück, die nur einen symbolischen, aber kaum einen strategischen Wert besitzen.
Die andere Schlacht trug sie gegen die mächtigen englischen Gewerkschaften aus. Diese drohten England endgültig zu ruinieren. In einem monatelangen Machtkampf konnte die Premierministerin den Einfluß der „unions“ zurückdrängen.
Angetrieben wurde Thatcher von ihrer Leidenschaft für den Markt. Sie war gegen staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsleben. Deswegen bekämpfte sie Gewerkschaften und insbesondere den „closed shop“, also Zwangsmitgliedschaften in denselben. Deswegen privatisierte sie Staatsunternehmen und beklagte den zunehmenden Einfluß der Europäischen Union. 1984 gelang es ihr mit der „I want my money back“-Kampagne (Ich will mein Geld zurück), den sogenannten Briten-Rabatt auszuhandeln. England zahlt seitdem weniger in die Gemeinschaftskasse, als es nach Auffassung der Brüsseler Bürokraten müßte.
Dieses Engagement machte sie über die Grenzen ihre Landes hinaus zu Ikone ihrer Zeit, der 80er Jahre, jener Epoche der Privatisierung und Deregulierung. In der zentralen Markthalle in Budapest hängt ein Foto von Thatcher beim Besuch auf dem Markt kurz vor dem Fall des Eisernen Vorhangs. Nach über zwanzig Jahren erinnern sich die Ungarn noch an den Besuch der britischen Regierungschefin. Das zeigt, wie groß die Strahlkraft ihrer Botschaft von Freiheit und Marktwirtschaft selbst in Osteuropa war.
Glühende Antikommunistin
Thatcher war glühende Antikommunistin. Von ihr stammen Weisheiten wie: „Das Problem beim Sozialismus ist, daß einem am Ende das Geld anderer Leute ausgeht.“ Ihre Rede vom „bolschewistischen Rußland“ brachte ihr den Namen Eiserne Lady ein. Und das zu einer Zeit, als die westdeutsche Öffentlichkeit von der „Gorbimanie“ ergriffen war. Die deutsche Linke kann ihr das bis heute nicht verzeihen. Die deutsche Rechte trägt ihr ihre skeptische Haltung zur Wiedervereinigung nach. Thatcher hätte diese vermutlich gerne verhindert, doch dies war weit jenseits ihrer Möglichkeiten. Diese Schlacht hätte sie verloren.
1993 riet sie den Deutschen im Spiegel vorseherisch: „Wenn ich Deutsche wäre, würde ich die Bundesbank und die D-Mark auf alle Fälle behalten. Die Bundesbank ist die beste Zentralbank Europas. Das war so und wird auch so bleiben. Das deutsche Volk und die Bundesbank wissen, wie man Inflation bekämpft. Dies ist Teil ihrer geschichtlichen Erfahrung.“
Margaret Thatcher war eine Ausnahmepersönlichkeit. Ihr Credo war die Freiheit des einzelnen. Gesellschaft? „Die gibt es nicht, es gibt nur Individuen“, hat sie einmal mit Blick auf jene geäußert, die ihre Probleme auf eben jene Gesellschaft schoben. Oder, wie es die US-Diplomaten in ihrem Telegramm von 1975 ausdrücken: „Sie ist die Stimme des belagerten Mittelstandes, der den Verlust seiner wirtschaftlichen Macht ebenso fürchtet wie den unabwendbaren Trend hin zu immer mehr Kollektivismus.“
Am Montag ist sie im Alter von 87 Jahren gestorben.
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