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Syrisches Kriegstagebuch: Die Schatzkammern sind geöffnet

Syrisches Kriegstagebuch: Die Schatzkammern sind geöffnet

Syrisches Kriegstagebuch: Die Schatzkammern sind geöffnet

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Syrisches Kriegstagebuch
 

Die Schatzkammern sind geöffnet

In der syrischen Wüste zeugen die Ruinen der römischen und byzantinischen Zeit vom Glanz früherer Jahrhunderte. Heute bereiten sich islamistische Gotteskrieger auf den Kampf gegen das verhaßte Assad-Regime vor. Und mittendrin suchen einfache Syrer nach antiken Münzen. Aus Ruweiha berichtet Billy Six.

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Es kümmert sich niemand – landwirtschaftliche Nutzung des antiken Ruweiha
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Nächtliche Detektorsuche bei Talmenes
Schatzfunde_in_privater_Hand_-_antike_Muenzen_aus_Nord-Syrien
Schatzfunde in privater Hand – antike Münzen aus Nord-Syrien (Fotos (3): Billy Six

TALMENES. Auf den ockerfarbenen Äckern der Provinz Idlib im Norden Syriens hat die Freiheit bereits begonnen. Talmenes unter sternenklarem Himmel: Zu später Stunde wandern Familienväter mit ihren Söhnen über die abgeernteten Felder. In der Hand: Metalldetektoren. Etwa 50 soll es mittlerweile allein in dem 23.000-Einwohner-Ort geben. Sicher wieder eine Übertreibung – aber tatsächlich erlebt der illegale Import der Geräte über die Türkei derzeit einen Höhenflug.

„Früher hätten uns Geheimdienst und Polizei weggesperrt“, sagen die Einheimischen. Doch nun können sie jene Kostbarkeiten bergen, welche die Leute seit jeher in Versuchung führen: Antike Münzen – von Römern, Byzantinern und frühen Muslimen.

Kulturgüter gehen verloren

Eine gute Handvoll läßt sich innerhalb weniger Stunden zusammentragen. Schließlich haben hier bisher keine archäologischen Ausgrabungen stattgefunden. Das Problem ist altbekannt: Die professionellen Forscher, in der Regel chronisch unterfinanziert, hocken über Jahre an einem Ort – während anderswo Kulturgüter durch Baumaßnahmen und Landwirtschaft verlorengehen. Oder im Extremfall von den betreffenden Machthabern selbst zerstört werden: Die Sprengung der Bamiyan-Buddha-Statuen 2001 durch die Taliban in Afghanistan oder die Vernichtung des Mausoleums „Sidi Mahmud Ben Amar“ im malischen Timbuktu durch Islamisten im Mai dieses Jahres sprechen eine deutliche Sprache.

In der islamischen Welt wird jegliche unislamische Kultur grundsätzlich als fremdartig, im schlimmsten Falle bedrohlich angesehen. Die unausgesprochene Sorge: Reinheit des Glaubens und Einigkeit der Gesellschaft könnten zur Disposition gestellt werden.

Archäologische Maßstäbe sind bloße Theorie

Es ist kein Geheimnis, daß selbst die säkulare Regierung Gamal Abdel Nassers von Ägypten die Tempelanlage „Abu Simbel“ in den Fluten des aufgestauten Nils hätte versinken lassen – wenn es nicht zu einer vom Ausland finanzierten Rettungsaktion gekommen wäre. Das Phänomen zeigt sich auch in Syrien: Wolkenloser Himmel. Nicht ein einziger Windhauch. Wir sind nur wenige Kilometer jenseits der Stadt Maarat an-Numan, in Ruweiha. Das schlichte Leben im Bauerndorf vermittelt beinahe den Eindruck, als sei hier vor einigen Jahrhunderten die Zeit stehengeblieben.

Die Vergangenheit ist dazu in Form von Ruinen allgegenwärtig. So weit das Auge reicht, erstrecken sich verfallene Steinornamente über die sanfte Hügellandschaft. Es sind Zeugnisse aus spätrömischer und frühbyzantinischer Zeit. Informationstafeln oder Fremdenführer gibt es keine. Im Gegenteil: Die Einheimischen nutzen die antiken Räume als Stallungen für ihre Schafe. Überall im Gelände hat sich der trockene Sand mit Tierfäkalien und Abfall gemischt.

„Du siehst, wie schlecht unsere Regierung war“, kommentieren junge Aufständische in Maarat die Beobachtungen. Unter dem Oberbefehl von Rebellenchef Raed Mandil haben sie im Mosaikenmuseum der Stadt ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Die dicke Holztür zur wertvollen Antikensammlung ist verriegelt – aus Schutz vor Räubern heißt es. Daß die Kämpfe Ende Juli nur Einschußlöcher auf der Moschee im Innenhof hinterlassen haben, das Museum sonst jedoch unbeschädigt geblieben ist, grenzt an ein Wunder. Im Moment zeigen die lokalen Kämpfer voller Stolz auf die alten Säulen und Bildnisse. Doch man warte ab – in den letzten Jahren sind selbst die Nationalen Ausstellungsstätten von Bagdad (2003) und Kairo (2011) angegriffen und teils geplündert worden.

Neben den Ruinen probt die Salafistenbrigade für den Bürgerkrieg

Zwischen Maarat an-Numan und Aleppo zeigt sich einmal mehr, wie weit die  Geschichte des Landes, das heute Syrien genannt wird, in die Vergangenheit zurückreicht: Die Ebla-Ruinen, 55 Kilometer südwestlich der derzeit wieder umkämpften Großstadt Aleppo, gelten als Zeugnis einer Besiedlung, die vor mindestens 5.000 bis 6.000 Jahren begonnen habe. Wissenschaftler aus Italien haben hier über 20.000 Keilschrift-Tontafeln aus der Erde geholt.

Doch im Moment, in Zeiten des Krieges, ist von Ausgrabungen nichts zu sehen. Nur laute Schüsse geben Kunde davon, daß sich Menschen in der Nähe aufhalten. Ein kurzer Blick auf die andere Seite des Berges verrät schnell, was los ist: In der Anlage werden Übungen mit scharfer Munition abgehalten. Es sind Kämpfer der regionalen Salafisten-Brigade. Als Fliegergeräusche vom Himmel zu vernehmen sind, verstecken sich alle Mann in den uralten Räumlichkeiten.

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