DANZIG. Um Viertel vor fünf, siebzig Jahre nach den ersten Schüssen des deutschen Linienschiffes „Schleswig-Holstein“ auf das polnische Munitionsdepot auf der Westerplatte im damaligen Freistaat Danzig, haben die Spitzen des polnisches Staates die nationalen Gedenkfeierlichkeiten eröffnet. Staatspräsident Lech Kaczyński (PiS) und Ministerpräsident Donald Tusk (PO) warnten in ihren Ansprachen vor Umdeutungen der Geschichte.
Minutenlang heulten die Hafensirenen, eine Ehrenkompanie der polnischen Streitkräfte spielte die Nationalhymne. Am Ehrenmal der in Polen als Helden verehrten Verteidiger der Westerplatte hielten Soldaten verschiedener Waffengattungen Wache. Polnische und deutsche Kriegsveteranen nahmen an den Feierlichkeiten teil.
Kaczyński nannte in seiner Rede die Westerplatte ein „Symbol des heldenhaften Widerstands der Schwächeren gegen die Stärkeren“. „Ich habe es schon gesagt, und ich werde es noch wiederholen. Nicht an Polen ist es, eine Lektion in Demut zu nehmen. Wir haben dazu gar keinen Grund. Grund dazu haben andere. Grund dazu haben diejenigen, die es zu diesem Krieg gebracht haben“, sagte Kaczyński.
„Keinen Frieden um jeden Preis“
Der Staatspräsident von der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ zitierte Worte des letzten polnischen Vorkriegs-Außenministers Józef Beck: „Wir in Polen kennen nicht das Konzept des Friedens um jeden Preis. Im Leben von Menschen, Völkern und Staaten gibt es nur eine Sache, die keinen Preis hat, und das ist die Ehre.“
Beobachter sehen im Bezug auf Beck eine Reaktion auf jüngste Veröffentlichungen in Rußland. Der russische Auslandsgeheimdienst hatte in einer Notiz auf seiner Internetseite suggeriert, Józef Beck, Außenminister von 1932 bis 1939, solle deutscher Geheimagent gewesen sein. >>
„Wir treffen uns hier, um uns daran zu erinnern, wer diesen Krieg ausgelöst hat, wer in diesem Krieg Täter, wer in diesem Krieg Henker, und wer Opfer dieses Krieges und dieser Aggression war“, unterstrich Ministerpräsident Donald Tusk in seiner Ansprache. „Wir verlangen, daß hier und jetzt, gerade heute, Worte der Verantwortung, der Wahrheit gesprochen werden“, so Tusk weiter.
Mit dem Holocaust verglichen
Am Nachmittag beginnt mit der Teilnahme ausländischer Gäste der zweite Teil der Veranstaltung. Mit Spannung werden die Ansprachen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Rußlands Ministerpräsident Wladimir Putin erwartet. Auch der Präsident des Europäischen Parlaments, der Pole Jerzy Buzek, wird eine Rede halten.
Staatspräsident Lech Kaczyński erinnerte in seiner morgendlichen Rede auch an die polnischen Opfer von Katyń und stellte einen Zusammenhang mit der Judenvernichtung her. „Es gibt einen Vergleich zwischen diesen Verbrechen, obwohl deren Umfang selbstverständlich sehr verschieden war. Juden starben, weil sie Juden waren, polnische Offiziere starben, weil sie polnische Offiziere waren“, sagte der Präsident. Im Wald von Katyń und an anderen Orten hatte der sowjetische Geheimdienst NKWD zwischen 15.000 und 20.000 polnische Offiziere durch Genickschuß ermordet.
Ministerpräsident Tusk unterstrich, sein Land wolle das Gedenken nicht gegen andere Länder wenden. Er sprach sich für „gemeinsame Erinnerung“ aller ehemaligen Kriegsteilnehmer aus.
„Große und stolze Völker“
Während der Feier am Morgen unterschrieb Tusk die Gründungsurkunde für das Museum des Zweiten Weltkriegs, das in Danzig entstehen soll. Am 1. September 2014 soll es eröffnet werden. Tusk hatte die Pläne für das Museum im Dezember 2007 vorgestellt.
„Die Wahrheit, sogar wenn sie schmerzlich ist, kann niemanden erniedrigen, und große und stolze Völker, wie es Polen und Russen sind, müssen keine Angst vor der Wahrheit haben“, sagte Tusk bei einer Unterredung mit Wladimir Putin in Zoppot (Sopot). Gleichzeitig sei es nicht Aufgabe des Ministerpräsidenten, auf einen Streit einzugehen, „für welchen Staat und für welches Volk an welchem Tag nun wirklich der Zweite Weltkrieg ausgebrochen“ sei. (ru)