Das ganz große Desaster für Klaus Wowereit (SPD) blieb vorerst aus. Unmittelbar nachdem er seine Halbzeitbilanz für die aktuelle Legislaturperiode gezogen hatte, drohte dem Regierenden Bürgermeister von Berlin in der vergangenen Woche die Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus verlorenzugehen. Zunächst war die SPD-Abgeordnete Canan Bayram zur oppositionellen Grünen-Fraktion übergetreten. Gleichzeitig spielte der Linken-Abgeordnete Claus Wechselberg öffentlich mit dem Gedanken, ebenfalls die Seiten zu wechseln. Für Wowereit sah es plötzlich ganz finster aus.
Doch Wechselberg blieb, und damit die Ein-Stimmen-Mehrheit Wowereits und dadurch auch alle bundespolitischen Ambitionen. Und damit nicht genug: Am Dienstag dann die spektakuläre Wende. Die Grünen-Abgeordnete Bilkay Öney kündigte ihren sofortigen Wechsel zur SPD an und verschaffte dem ehrgeizigen SPD-Politiker wieder eine Mehrheit von zwei Stimmen. Wowereit kann durchatmen – vorerst.
Berlins Stadtoberhaupt hat während dieser turbulenten Woche in den politischen Abgrund geschaut. Und ob er sich tatsächlich über die Zeit retten kann, ist nach den jüngsten Ereignissen äußerst ungewiß. Schon bei seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister im November 2006 hatte der Sozialdemokrat die Mehrheit im ersten Wahlgang verpaßt. Die Jamaika-Opposition aus CDU, FDP und Grüne hat bei allen Differenzen bisher durchaus bewiesen, den Senat mit Einigkeit in Schwierigkeiten bringen zu können. Die drei Fraktionen wollen die Landesregierung nun erst recht „vor sich hertreiben“.
Wie auch immer: Wowereits Image leidet. Er ist in seiner Stadt längst nicht so populär, wie es mancher Berlin-Korrespondent glauben machen will. Auf der Beliebtheitsskala hat er inzwischen den ersten Platz an Innensenator Ehrhart Körting (SPD) abgeben müssen. Vielen Wählern mißfällt das Desinteresse, das der Regierende Bürgermeister ganz unverblümt an den meisten Problemen Berlins demonstriert. Interviewen läßt er sich allenfalls zu Show-Events und Parties. Die Parlamentsjournalisten in der Hauptstadt klagen darüber, daß Wowereit zu inhaltlichen Fragen grundsätzlich keine Antworten gibt, sondern an seine Senatoren verweist.
So war seine Reaktion nach der Flucht Bayrams aus der SPD-Fraktion typisch. Er ließ alle Reporter stehen, ging auf die Problematik nicht ein, um dann die Nachfragen mit der Bemerkung abzubrechen, er gehe jetzt zu einer Festveranstaltung. Wie unglücklich dieser Auftritt herüberkam, müssen ihm dann die Berater geflüstert haben. Einige Tage später räumte er ein, das Schrumpfen der Mehrheit sei „schon ein Schlag“. Neuwahlen lehnte er rundherum ab – und hat dafür seine Gründe. Trotz schwacher Hauptstadt-CDU melden die Demoskopen seit Monaten, daß Rot-Rot seine Mehrheit bei den Wählern verloren habe.
SPD-Urgestein Klaus-Uwe Benneter fordert, den Koalitionspartner zu wechseln. Mit den Grünen sei die Mehrheit komfortabler. Canan Bayram wäre dann wieder durch Fraktionsdisziplin an Wowereit gebunden. Doch dessen grundsätzliches Problem bleibt. Er steht auch wegen seiner extremen Selbstherrlichkeit in der Kritik. Sie ließ ihn 2006 nicht einmal davor zurückschrecken, die Wahl zum Regierenden Bürgermeister anzunehmen, obwohl er die Mehrheit verfehlt hatte.
Im Umgang mit politischen Gegnern demonstriert der 55jährige maßlose Arroganz, die anfängliche Sympathien für ihn längst ersticken ließ. Und in Talkshows scheint er seine einzige Aufgabe darin zu sehen, den anderen nach Belieben das Wort abzuschneiden und auf nicht gestellte Fragen besonders ausführlich zu antworten. Dieses Gebaren zeigt Wowereit auch in den eigenen Reihen. Ein grundsätzliches Problem sei dessen „herablassendes Verhalten“ gegenüber den Parlamentariern, sagte Canan Bayram: „Ich glaube, am liebsten würde er ganz auf die Fraktionssitzungen verzichten. Sie stören ihn nur.“ Die Mitglieder der SPD-Fraktion brauche er nur als „Abnicker“. Sie wisse, „daß vielen die Arroganz von Wowereit stinkt“.
Der wiederum sieht seine Zukunft ohnehin nicht als Stadtoberhaupt. Wenn Frank-Walter Steinmeier mit seiner Kandidatur scheitert, will Wowereit in zwei Jahren erster Kanzler einer rot-rot-grünen Bundesregierung werden.