Die Junge Union (JU) ist im Aufschwung. Sie hat 127.000 Mitglieder, Tendenz steigend – mehr als FDP und Grüne zusammen. Unter ihrem Bundesvorsitzenden Philipp Mißfelder ist die JU nicht nur konservativer, sondern auch erfolgreicher geworden. Ihr Erfolg wird jedoch von der Mutterpartei nicht honoriert – im Gegenteil. Mißfelder ist bei den Koalitionsgesprächen seiner Partei mit den Liberalen nicht dabei. Merkel will es so.
Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union am vergangenen Wochenende in Münster folgte nun der nächste Tiefschlag der Kanzlerin. „Am Montag hatte sie mich beiseite genommen und mir gesagt, daß sie nicht kommen könne“, teilt Mißfelder den Journalisten auf der Pressekonferenz zu Beginn des Deutschlandtages zerknirscht mit. Terminliche Engpässe wegen der Koalitionsverhandlungen seien der Grund. Glauben tut es in der JU keiner. Fast schon provokant läßt sich Merkel am Wochenende beim DGB, der Frankfurter Buchmesse und im Berliner Neuen Museum sehen.
„Wir wissen, was es bedeutet, Plakate aufzuhängen“
Das war zuviel für den CDU-Nachwuchs. „Ich spüre in unserem Verband eine große Enttäuschung darüber. Die Reaktionen sind heftig“, gibt Mißfelder die Stimmung an der JU-Basis wieder. In der Stadt des Westfälischen Friedens ist ein Krieg gegen „Mutti“ entbrannt, ein Aufstand der JU gegen die Kanzlerin und ihren Führungsstil in der Partei. Die hat sich unter der Ägide Merkels genau ins Gegenteil der JU gewandelt: Unter dem Vorsitz Merkels gingen sämtliche Wahlen verloren, die Partei ist weniger konservativ denn je, und die Mitglieder laufen ihr in Scharen davon. Am 27. September kam das zweitschlechteste Bundestagswahlergebnis in der Geschichte der Union hinzu. Nicht einmal eine Videobotschaft war die JU der Regierungschefin wert, der schon auf dem vergangenen Deutschlandtag ihre Unlust auf die JU anzumerken war: ein Affront, der bei der JU übel aufstößt. Viele hatten sich eine Aufarbeitung des schlechten Wahlergebnisses gewünscht. Eine Delegierte war deswegen sogar extra aus Athen angereist.
Als die Absage Merkels bis zur JU-Basis durchgedrungen war, brachen alle Dämme parteipolitischer Rücksichtnahme. JU-Mitglieder machten ihrem Ärger über Merkel Luft – vor allem im Internet, dem sozialen Netzwerk Facebook etwa. „Aufstand gegen Mutti“ nennt sich dort eine Gruppe, die von einem JU-Mitglied aus Berlin ins Leben gerufen wurde und der innerhalb weniger Tage mehr als 600 Mitglieder beigetreten waren. Zum Beginn des Deutschlandtages ist die Seite plötzlich nicht mehr erreichbar: wegen Wartungsarbeiten, wie es bei Facebook heißt.
Offenbar hat es Druck gegeben – von ganz oben. Der Initiator der Gruppe soll eingeschüchtert worden sein. Eine Mitarbeiterin des Büros von Angela Merkel habe „über Dritte“ Druck auf ihn ausgeübt, er solle die Facebook-Gruppe löschen, sagte der Betroffene gegenüber sueddeutsche.de. „Es gab einen Telefonanruf. Mir wurde ausgerichtet, daß es sehr, sehr unklug war, diese Seite online zu stellen“, wird er zitiert. Er habe sie dennoch nicht gelöscht, sei aber aus der Gruppe ausgetreten und habe die Moderation abgegeben.
Im Konrad-Adenauer-Haus dementiert man, doch das Mißtrauen der Basis steigt. „Das gibt einem zu denken“, ist von nicht wenigen zu vernehmen. Rücktrittsforderungen an die ehemalige FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda als Parteivorsitzende machen die Runde. „Wir brauchen einen Vorsitzenden mit Stallgeruch, der die Partei neu aufstellt und alle Flügel zuläßt. Angela Merkel soll sich in der Regierung weiterhin um die Lösung der großen Probleme im Land kümmern, die Probleme in der Partei sollen andere lösen“, sagte der Bundesvorsitzende der Schüler-Union, Younes Ouaqasse, dem Berliner Kurier. Mißfelder bremst die Kritik, fordert jedoch von Schwarz-Gelb Reformen in der Steuer-, Sozial- und Gesundheitspolitik ein. Die Haushaltskonsolidierung müsse an erster Stelle stehen, Finanzierung auf Pump sei „asoziale Politik“ gegenüber der jungen Generation – eine Spitze gegen Merkel. Die Hauptkritik am Nichterscheinen der Kanzlerin überläßt er anderen.
Etwa dem NRW-Landesvorsitzenden Sven Volmering, der die Eröffnung des Deutschlandtages mit Frontalattacken gegen Merkel einläutet. „Die Absage ist ein Schlag ins Gesicht der JU“, sagt er unter dem Beifall der 317 Delegierten. Schilder werden in die Höhe gereckt, auf denen „Angie“ mit „Angry“ überklebt ist. „Angie, wo bist du?“ ist auf anderen Transparenten zu lesen. „Unter Helmut Kohl hätte es so etwas nicht gegeben“, fährt Volmering fort. Eine gute Mutti müsse sich auch mal Zeit für ihre Kinder nehmen. Die JU hätte für ihren Einsatz im Wahlkampf ein Dankeschön verdient gehabt. Merkel kneife nach 2005 erneut vor einer Wahlanalyse.
Auch der niedersächsische Landesvorsitzende Sebastian Lechner stimmt in die Kritik ein. „Wenn sich die CDU-Spitze nicht für uns interessiert, dann wird es für uns schwer, JU-Leute für die CDU zu interessieren“, sagt er. In einem einstimmig angenommenen Initiativantrag fordert die JU die Kanzlerin auf, „unverzüglich“ einen Parteitag einzuberufen. Als Ersatzredner springen Edmund Stoiber und David McAllister ein: zwei, die ein besseres Gespür für die Stimmung in der JU haben. „Wir wissen, was es bedeutet, in einer zünftigen Scheune den Duft von Tapetenkleister einzuatmen“ und „im Nieselregen Plakate aufzuhängen“, solidarisiert sich der niedersächsische Partei- und Fraktionsvorsitzende mit der JU, ohne die Kanzlerin direkt anzugreifen.
Stoiber sagte sogar die Geburtstagsfeier seiner Tochter ab, um bei der JU zu sein. Er begeistert mit einer erfrischenden Rede, in der er den in die Kritik geratenen Thilo Sarrazin (SPD) verteidigt. „Darf man in unserem Lande die Wahrheit nicht mehr offen aussprechen?“ fragt er. Und stellt klar: „Unsere Kultur muß Leitkultur bleiben.“