Michael Sturm, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Leipzig, ist besorgt. Er will in Deutschland eine Wandlung der „extremen Rechten“ ausgemacht haben, die er in zwei „idealtypische Strömungen“ trennt. Auf der einen Seite sei dies der organisierte Rechtsextremismus im Umfeld der NPD mit ihren Kameradschaften. Auf der anderen Seite sieht der Mitarbeiter des „Antifaschistischen Informationszentrums“ eine weitere Form des Rechtsextremismus in Gestalt der „Neuen Rechten“ heraufdämmern. Diese „Neue Rechte“, als deren zentrales Organ Sturm die JUNGE FREIHEIT ausgemacht hat, versuche „im vorpolitischen Raum“ Fuß zu fassen und die Deutungsmacht der gesellschaftlichen Eliten an sich zu ziehen. Seine Thesen trug Sturm in der vergangenen Woche vor rund einem Dutzend Teilnehmern des Seminars „Rechtskonservatismus und Rechtsextremismus“ der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin vor. Mit der Veranstaltung sollten nach Auskunft der Initiatoren „regionale Berater im Bereich Erziehung für Demokratie“ ausgebildet und für den „Kampf gegen Rechts“ mobilisiert werden. „Merkwürdigerweise“ lehne dieser neue „Rechtsextremismus“ aber den Nationalsozialismus ab, wundert sich Sturm. Dennoch besäße er Gemeinsamkeiten mit dem eigentlichen Rechtsextremismus, wie etwa die Ablehnung, den 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung“ feiern zu wollen. Eigentlich hätte sich Sturm auf seine Frage gleich selbst die Antwort geben können. So stellte er doch einleitend fest, daß diese Ansicht innerhalb der Union lange selbstverständlich war. Erst „Mitte der achtziger Jahre“ habe ein „Umbruch in der Wahrnehmung des 8. Mai 1945“, dem Ende des Zweiten Weltkrieges, stattgefunden. Nur wenige Zeit später, nämlich „vor zehn bis fünfzehn Jahren“, läßt Sturm die „Neue Rechte“ ihr Haupt erheben. Könnte es vielleicht sein, daß die „Neue Rechte“ nichts anderes darstellt, als den Rechtskonservatismus vergangener Tage? Nur mit dem gewaltigen Unterschied, daß jener als feste Säule der Demokratie galt, diese nun aber als „rechtsextremistisch“ diffamiert wird. Offensichtlich weil inzwischen jemand anderes den „vorpolitischen Raum“ erobert hat. Übrigens eine Diffamierung, die nicht wenigen in der Bundesrepublik die eigene Existenz sichert. Beispielsweise Annemarie Benzing von der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin“, die ebenfalls bei der Friedrich-Ebert-Stiftung zu Gast war und vor den Zuhörern — überwiegend Damen mit graumeliertem Haar und Berufsbild Lehrer — referieren durfte. Mobile Beratungsteams sammeln in der Hauptsache Informationen und veröffentlichen diese (JF 49/06). Unter anderem über vermeintlich anständige Bürger, die aber in Wirklichkeit „Rechtsextremisten“ sind und als solche dann von den wahrhaft anständigen Bürgern erkannt werden können. So auch über Herbert Weber, den ehemaligen CDU-Bezirksbürgermeister von Steglitz-Zehlendorf. Dieser hatte im Zusammenhang mit dem Gedenken am 8. Mai 2005 von einer „selektiven Wahrnehmung der Geschichte“ gesprochen. Eine „ausschließliche Fokussierung auf zwölf Jahre Nazi-Diktatur“ sei nichts anderes als „eine sublime Form der Geschichtsfälschung“. Diese und andere „Indizien“ und „Beweise“ sammelte Benzing, um nachzuweisen, daß Weber „rechtskonservativ“ sei. Sie hätte ihn auch schlicht fragen können. Weber hätte sich vielleicht ebenso bezeichnet. Denn da er wahrscheinlich noch kein Seminar der Friedrich-Ebert-Stiftung besucht hat, dürfte er noch gar nicht wissen, daß er eigentlich „rechtsextrem“ ist. Den Höhepunkt der Veranstaltung bildete der Auftritt des baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Stephan Braun (SPD), der für seine Partei im Ausschuß für Verfassungsschutz sitzt und sich als Experten für angeblich rechtsextremistische Umtriebe der JUNGEN FREIHEIT sieht. So wirft er der Zeitung eine allzu große Nähe zum Staatstheoretiker Carl Schmitt (1888—1985) vor, den Braun als Feind des Grundgesetzes präsentierte. Man muß Braun nicht Böswilligkeit unterstellen. Es kann auch sein, daß er die Texte der JF — nicht zuletzt aufgrund eines blendenden Hasses — ganz einfach nicht versteht, wie ein Beispiel zeigt: Als Arbeitspapier gab er den Seminarteilnehmern etwa eine Buchrezension von Heinz Frölich (29/08) aus. Offensichtlich hat der Titel („Der ewige Antisemitismus“) einen pawlowschen Erregungsreflex ausgelöst, denn inhaltlich referierte Frölich lediglich das Werk „Die Päpste und die Juden“ von Klaus Lohrmann. Tatsächlich faßte Frölich die These von Lohrmann, daß der Nationalsozialismus eigentlich nur den christlichen Antijudaismus seit Paulus in die Praxis umgesetzt habe, nur mit Spitzen Fingern an. Womit er indirekt Brauns Vorwurf von einer Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen widersprach. Denn es gibt wohl kaum eine größere Relativierung als die Behauptung, dieser Rassenhaß speise sich aus „den Grundlagen der europäisch-christlichen Kultur“. Manchmal ist die Welt eben ein wenig komplizierter als man denkt. Die Teilnehmer des Seminars waren allerdings zu sehr im wohligen Gefühl der gemeinsamen Entrüstung versunken, um dies zu bemerken. „Eine lebendige Debatte in einer Demokratie muß so ein Blatt ertragen können“, preßte Braun zwar schmallippig heraus. Sein ganzes Verhalten jedoch zeigte deutlich, daß er und seine Mitstreiter von dieser demokratischen Mindestanforderung offensichtlich völlig überfordert sind.