Geduldig ertragen sie das Blitzlichtgewitter, das über sie hereinbricht. Nur manchmal blickt Spyridon L. genervt zur Seit, verdreht ein wenig die Augen. Serkan A. versucht, einen gelassenen Eindruck zu erwecken, will cool wirken. Beide müssen sich seit Montag vor dem Landgericht München wegen versuchten Mordes verantworten. Sie hatten am 20. Dezember vergangenen Jahres den 76 Jahre alten Rentner Bruno N. in der Münchner U-Bahn-Station Arabellapark brutal zusammengeschlagen. Und damit in der Politik eine Lawine losgetreten, die vor allem den Landtagswahlkampf in Hessen maßgeblich bestimmen sollte. Wahrscheinlich hätte dieser Vorfall, so schlimm er auch war, kaum den Weg über die Lokalpresse hinausgefunden – wäre da nicht die Überwachungskamera in jenem U-Bahn-Schacht gewesen, die die Tat der Angeklagten aufzeichnete und deren Bilder Deutschland schockten. Es ist das Ausmaß der Tat, das den Betrachter dieses Videos sprachlos macht und für Entsetzen sorgt. Bruno N., ein alter Mann, begibt sich zum Ausgang des U-Bahnhofs. Plötzlich kommt Serkan A. ins Bild gerannt, direkt auf den Rentner zu. Gnadenlos und ohne Vorwarnung schlägt der damals 20 Jahre alte Türke zu. Der alte Mann geht sofort zu Boden, bleibt liegen. Dann tritt Spyridon L. in Aktion. Der damals 17 Jahre alte Grieche schlägt weiter auf sein Opfer ein, traktiert ihn mit Tritten. Dann läßt er zunächst von Bruno N. ab. Er nimmt Anlauf, rennt auf den Geschädigten zu. Mit voller Wucht tritt er ins Gesicht seines wehrlosen Opfers. So, als sei der Kopf ein Fußball und der Täter ein Freistoßschütze. Spyridon L. hinkt danach ein wenig. Der Tritt war so heftig, daß selbst er Schmerzen am Fuß verspürte. Die Täter verschwinden aus dem Blickfeld der Überwachungskamera. Zurück bleibt der regungslose Körper von Bruno N. Das Blitzlichtgewitter hat sich verzogen. Der Prozeß beginnt. Die Staatsanwaltschaft will gerade die Anklageschrift verlesen, da stellen die Verteidiger einen Antrag auf Ausschluß der Öffentlichkeit. Sitzungsunterbrechung, noch ehe die Verhandlung so richtig begonnen hat. Im Visier der Verteidiger: die Bild-Zeitung. Sie soll rechtswidrig Bilder von den Angeklagten veröffentlicht und durch einseitige Berichterstattung zu einer Vorverurteilung durch die Öffentlichkeit beigetragen haben. Der Anwalt von Spyridon L. erwägt sogar, einzig die Bild-Zeitung vom Prozeß auszuschließen. Ein leises Raunen geht durch die Reihen der zahlreich beim Prozeß vertretenen Journalisten. Der Antrag wird vom Gericht abgelehnt. Auch der nächste Antrag der Verteidigung scheitert. Ein als Gutachter dem Prozeß beiwohnender Psychologe sollte von der Verhandlung wegen Befangenheit ausgeschlossen werden. Dann macht Spyridon L. seine Aussage. Sein Kumpan Serkan A. hatte zuvor geschwiegen und es vorgezogen, daß sein Anwalt eine Erklärung für ihn verliest, in der er den Tathergang einräumt. Auch der Grieche legt ein Geständnis ab. „Ich war besoffen, total dicht“, beteuert er immer wieder. Gemeinsam mit Serkan A. habe er zuvor acht Bier getrunken. „Wenn ich trinke, werde ich aggressiv“, erklärt er dem Gericht. Daß es sich bei Bruno N. um einen alten Mann gehandelt habe, will er gar nicht mitbekommen haben. Erst Tage später habe er das durch die Medien erfahren. „Ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht“, gibt er zu. Und: „Ab jetzt trinke ich nie wieder“, versichert er dem Gericht. Ob der Richter ihm das abnehmen wird, darf bezweifelt werden. Zu oft ist Spyridon A. mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Genau wie Serkan A. Wollte der sein Geständnis noch nicht selbst vortragen, so wird er bei der Darstellung seiner persönlichen Lebensverhältnisse um so redseliger. Er habe es sehr schwer gehabt, drückt der heute 21jährige Türke kräftig auf die Tränendrüse. Von seinem Vater sei er geschlagen worden. Mit 15 habe er angefangen, Drogen zu nehmen. Ein Jahr später sei Alkohol hinzugekommen. Seine Mutter lebe von Sozialhilfe, sitzt im Rollstuhl. Im Jahr 2005 kommt er das erste Mal in Untersuchungshaft: wegen Raub. Weitere Taten folgen, Diebstahl, Einbrüche, wieder Raub. Trotzdem hoffe er, daß das Gericht ihm noch eine Chance gebe, sagt er. Schließlich habe er nie Hilfe bekommen, erklärt der Beschuldigte. Der Staatsanwalt entzaubert die Leidensgeschichte des Serkan A. ein wenig. „Sie waren zu 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden, haben aber nur fünf davon abgeleistet. Warum?“ Jetzt zeigt sich der andere Serkan A. Vorbei ist es mit dem traurigen Blick, dem gesenkten Haupt, der „Ich hatte eine schwere Kindheit“-Masche. Zornig, fast aggressiv fährt er den Anklagevertreter an. „Ich war zwei Wochen in Haft, das habe ich doch alles erzählt.“ Warum er nach der Haft nicht arbeitete, wisse er nicht mehr so genau, schließlich sei er drogenabhängig, und da sei das eben alles nicht so einfach. Erst auf weiteres Nachfassen des Staatsanwalts kommt heraus: „Ich hatte einfach keine Lust.“ Der Prozeß wird fortgesetzt. Foto: Serkan A. (l.) und Spyridon L. (r.) am Montag vor Gericht: Anträge der Verteidigung zurückgewiesen Weitere Informationen zum Prozeß im Internet unter www.jungefreiheit.de