Harte Zeiten für Volksvertreter: Das Volk heizte ihnen kräftig ein. Kein Tag verging, ohne daß in den Büros der Bundestagsabgeordneten Dutzende bis Hunderte Briefe und E-Mails mit Protesten gegen die bereits in erster und zweiter Lesung im Bundestag behandelte Diätenerhöhung eingehen. Auf Parteiversammlungen besonders in Bayern soll es zu regelrechten Jagdszenen gegen Abgeordnete gekommen sein. Am Dienstag stoppten Unionsfraktionschef Volker Kauder und sein SPD-Kollege Peter Struck die Diätenpläne. Am Ziel, die Bezüge von Abgeordneten denen von Bundesrichtern anzugleichen, werde festgehalten, stellte Kauder fest. Und er ergänzte mit sichtlichem Mißmut, daß dieses Ziel gegenwärtig nicht durchgesetzt werden könne. Auch Struck geht offenbar nur von einer Pause, aber nicht von einem endgültigen Stopp der Pläne aus. Zuvor hatte er von einer „ganz normalen Erhöhung“ gesprochen. Die Bezüge der Parlamentarier hätten zum 1. Januar nächsten Jahres um 278 auf 7.946 Euro steigen sollen und ein Jahr später um weitere 213 auf 8.159 Euro. Zusammen mit einer bereits früher beschlossenen Diätenerhöhung für 2008 wären die Bezüge damit bis 2010 um 16,4 Prozent gestiegen. Riesensteigerungsraten für Politiker und eine dürftige Rentenerhöhung von einem Prozent brachten das Volk auf die Palme. Dabei hatten die Führungen von Union und SPD alles versucht, die Sache unauffällig über die Bühne zu bringen. Die ersten beiden Lesungen des Gesetzes fanden an einem Freitagnachmittag statt. Dann ist das Plenum des Bundestages erfahrungsgemäß leer und das Interesse der Öffentlichkeit gering. Eigentlich sind alle Beteiligten — Politiker und Journalisten — schon auf dem Weg ins Wochenende. „Von hinten und durch die kalte Küche“ habe die Große Koalition das Thema Diätenerhöhung erst zwei Tage vorher auf die Tagesordnung setzen lassen, empörte sich der FDP-Abgeordnete Ernst Burgbacher. Das Vorgehen hat Tradition. Diätenerhöhungen und vor allem solche mit hohen Steigerungsraten werden traditionell kurzfristig beschlossen und ins parlamentarische Verfahren gebracht. Die Parlamentarier genehmigen sich auch gerne dann einen Schluck aus der Steuerflasche, wenn die Öffentlichkeit mit Großereignissen wie Olympischen Spielen beschäftigt ist oder die Menschen — wie im November 2007, als die letzte Erhöhung beschlossen wurde — gedanklich schon mehr beim Weihnachtsfest als bei der Politik sind. Dann, so wissen erfahrene Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktionen, gibt es nur die übliche Pflichtaufregung in der Bild-Zeitung, die erfahrungsgemäß nach Tagen abebbt. Diesmal ging die Rechnung nicht so ganz auf. Erstmals war eine Spaltung im Bundestag festzustellen, der in Sachen Diäten früher stets überwältigende Mehrheiten dafür sah. Union und SPD verteidigten zunächst die Erhöhung, weil sie die Bezüge endlich auf das Gehaltsniveau von Bundesrichtern anheben und sich damit an die Gehaltsentwicklung im öffentlichen Dienst ankoppeln wollen. Damit, so die Erwartung, wäre man das leidige Thema losgewesen, weil die Abgeordnetenbezüge künftig so stark steigen sollten wie die Gehälter von Bundesrichtern. Doch der Schuß wäre nach hinten losgegangen: Die Gehälter der Bundesrichter müssen ebenfalls vom Bundestag beschlossen werden. FDP, Grüne und Linkspartei waren von vornherein strikt gegen die Diätenerhöhung, so daß die Geschlossenheit der Oppositionsfraktionen das Regierungslager zusätzlich in Bedrängnis brachte. Man sei Abgeordneter und kein Beamter, so Burgbacher zu dem Versuch der Koalition, die Bezüge der Politiker an die der Richter anzukoppeln. Die jetzigen Pläne bezeichnete der FDP-Politiker als „maßlos“. Die Linkspartei-Politikerin Dagmar Enkelmann hielt die Erhöhung für eine „glatte Unverschämtheit“. Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine forderte Rentner und Arbeitslose auf, vor dem Reichstag zu demonstrieren, und der Diäten-Experte Hans Herbert von Arnim hält den Vorgang für einen „Riesenskandal“. Angesichts des so nicht erwarteten Drucks knickten dann auch in der Koalition zu viele Reihen ein. Die schleswig-holsteinischen SPD-Abgeordneten wollten der Erhöhung von Anfang an nicht zustimmen. Auch in der Union wuchs täglich die Zahl der Abgeordneten, die nicht zustimmen wollten. Das Problem der Politiker-Bezahlung sind allerdings weniger die Diäten, sondern die Gesamtbezüge, die in krassem Mißverhältnis zur finanziellen Gesamtlage der Bürger stehen. Immerhin gilt ein Achtel der Deutschen nach dem neuesten Armutsbericht als arm, während Abgeordnete an Altersarmut keinen Gedanken verschwenden müssen. Nach acht Jahren Zugehörigkeit zum Bundestag erhält ein Abgeordneter 1.468 Euro monatlich Pension. Und obwohl die Fraktionsführungen Kürzungen bei der Abgeordnetenversorgung versprochen haben, wäre nach einer Erhöhung der gegenteilige Effekt eingetreten: Die Altersbezüge wären auf 1.632 Euro monatlich gestiegen. Wer sich länger im Parlament hält, bekommt noch mehr. Und ein Posten als Minister oder Parlamentarischer Staatssekretär löst weitere Pensionsansprüche aus. Von Arnim weist noch auf weitere Leistungen des Steuerzahlers für die Politiker hin. Zu nennen ist die steuerfreie Kostenpauschale von 3.720 Euro monatlich. Die erhält jeder Abgeordnete, egal ob er Aufwendungen hat oder nicht. Für die Beschäftigung von Mitarbeitern gibt es noch einmal 13.660 Euro im Monat. Dazu kommen großzügige Reisekostenerstattungen. So sind die Flugzeuge von München oder Stuttgart nach Berlin montags an Sitzungswochen des Bundestages voll mit Abgeordneten. Die Bahn darf kostenlos benutzt werden. Dafür muß allerdings das Benzin selbst gezahlt werden, was in Zeiten hoher Spritpreise besonders für Abgeordnete mit großen Wahlkreisen sehr ärgerlich ist. Ein weiteres Schmankerl fällt bald weg: Bisher konnten die Politiker ihre Autos an Flughäfen wie München kostenlos abstellen. Die VIP-Karte solle man zurückgeben, weil sie gegen die Verhaltensrichtlinien verstoße, rät zum Beispiel die Unionsfraktion ihren Mitgliedern. Das Park-Sponsoring ist seit über 20 Jahren Praxis. Den Verstoß gegen die Verhaltensrichtlinien erkannte man erst, als die Presse darüber berichtete.
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