Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), unterstützt den Vorschlag des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, in Danzig ein Museum zum Zweiten Weltkrieg zu errichten. Allerdings: Eine Alternative zum Vertriebenenzentrum in Berlin könne dies nicht sein, denn sie halte es schon für erforderlich, daß jedes Volk auch seine eigene Trauerarbeit leiste.
Tusk hatte in der vergangenen Woche gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in einem Interview gefragt, "ob es nicht besser wäre, ein weit umfassenderes Projekt zu realisieren, das an den Zweiten Weltkrieg erinnern würde". An diesem Projekt könnten sich nach den Vorstellungen Tusks Deutschland Polen, Rußland und Israel beteiligen.
Erneuter Vorstoß der Gegner
Bei dieser Idee handelt es sich um einen Vorstoß, die Geschichte der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg zu "internationalisieren". Solche Versuche sind nicht neu. Sie sind vielmehr eine mehr oder wenig elegante Bestrebung, das gesamte Projekt eines Zentrums gegen Vertreibungen auszubremsen und letztendlich ganz zu verhindern.
Schon die rot-grüne Bundesregierung hatte eine in Berlin ansässige Einrichtung – vor allem aufgrund der Vorbehalte seitens der Regierungen der ehemaligen Vertreiberstaaten – immer strikt abgelehnt. Besonders der Bundestagsabgeordnete Markus Meckel (SPD) war von Anbeginn vehement gegen das Zentrum gegen Vertreibungen zu Felde gezogen, da das Projekt das deutsch-polnische Verhältnis belasten würde. Als Alternative brachte er die Idee einer Gedenkstätte mit Sitz in Polen oder Tschechien ins Spiel. Der Ablehnung eines Vertriebenenzentrums und den verbreiteten Befürchtungen vor allem im Ausland trug der Deutsche Bundestag Rechnung, als er am 2. Juli 2002 einem Beschluß zustimmte, in dem von einem "europäischen Projekt" die Rede war und davon, daß es notwendig sei, daran "europäische Partner" zu beteiligen.
Geschichtspolitisch gegen den BdV gerichtet, der die Vertreibung von 16 Millionen Deutschen nach 1945 in den Mittelpunkt einer deutschen Gedenkstätte gerückt sehen möchte, machte die Bundestagsmehrheit deutlich, daß ein "europäisch ausgerichtetes Zentrum … die Vertreibungen im Europa des 20. Jahrhunderts in ihren verschiedenen Ursachen, Kontexten und Folgen, darunter die Vertreibung der Deutschen, dokumentieren" solle.
Ihren Kritikern ist die Vertriebenenorganisation zwar schon mit der Ausstellung "Erzwungene Wege – Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts" entgegengekommen. Anhand von dreizehn europäischen Beispielen legte die Ausstellung ganz bewußt den Schwerpunkt auf die europäische Dimension der Vertreibungen im vergangenen Jahrhundert. Doch auch dieser Kompromiß war den Kritikern nicht genug. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) mahnte, die zunächst im Berliner Kronprinzenpalais gezeigte Ausstellung dürfe kein Zentrum gegen Vertreibungen präjudizieren und vor allem dürfe mit der Vertreibung nicht der Holocaust "relativiert" werden.
Auch der polnische Ministerpräsident Tusk sieht immer noch ein Problem darin, sollte einzig und allein an deutsches Leid erinnert werden: "Das Problem besteht nicht darin, daß irgend jemand den Deutschen die Erinnerung an die Leiden des eigenen Volkes verbietet. Problematisch wird es erst, wenn diese Erinnerung an das deutsche Leiden die andere Erinnerung schwächt, nämlich die an die kollektive Verantwortung der Deutschen. Wenn wir über Deutsche und Polen im Zweiten Weltkrieg sprechen, dann wollen wir in klarer Weise davon reden, wer Täter war und wer Opfer war. Hierbei darf es keine Zweideutigkeiten geben." Die Polen seien nicht mit Versuchen der Relativierung der Verantwortung und der historischen Wahrheit einverstanden. "Die Art und Weise, wie sich Deutsche heute der Geschichte zuwenden, führt aber dazu, daß die Vergangenheit wieder zum Ballast wird", sagte Tusk.
Im Umkehrschluß kann nach den Worten des polnischen Ministerpräsidenten die deutsch-polnische Vergangenheit nur dann nicht zur Belastung werden, wenn die Deutschen ihre Verantwortung nicht abschwächen. Zwar höre er immer wieder von Deutschen, die "sagen, daß die Phase der Selbstbeschränkung, der Reue dem Ende zugehe". Jedoch mahnt er, daß gerade "diese Haltung der Selbstbeschränkung und der selbstkritischen Reflexion das Fundament des Vertrauens gegenüber den Deutschen gebildet hat, zunächst des Vertrauens seitens Westeuropas und nach 1989 auch Polens".
"Zwangsumsiedlung" im Kontext
Und hinsichtlich des "sichtbaren Zeichens", daß laut Koalitionsvertrag zwischen der CDU/CSU und der SPD in Verbindung mit dem Europäischen Netzwerk auch in Berlin zur Erinnerung an die Vertreibung gesetzt werden soll, merkt Tusk gegenüber der FAZ an: "Wenn jedoch weitere, neue Kapitel dieses ‚Zeichen‘.Projekts aufgeschlagen werden, dann weckt dies die berechtigten Befürchtungen, daß die Gestalt und die Aussage dieses Projekts direkt jene Hierarchie der historischen Verantwortung in Frage stellen, über die wir gerade sprachen."
Geht man konform mit der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung und den SPD-Politikern Markus Meckel oder Wolfgang Thierse, dann drängt sich ein Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig geradezu auf; denn (nur) dort würde laut Tusk "das Schicksal der Zwangsumsiedler seinen Platz in dem entscheidenden und umfassenden Kontext finden".