Atomwaffen in den Händen von Mullahs – der Alptraum für den Westen. Doch im Falle des Iran könne man immerhin mit einem Maß an Rationalität rechnen: mit dem Wissen darum, daß ein atomarer Erstschlag (etwa gegen Israel) die Zerstörung der eigenen Nation (durch US-Waffen) zur Folge hätte. Diese Ansicht wurde kürzlich auf einer Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin vertreten. Viel größer seien die Gefahren hingegen im Falle Pakistans, wenn dort einmal islamische Fundamentalisten dem Militärdiktator Pervez Musharraf die Macht entreißen sollten. Charles V. Peña von der George Washington University nannte dazu die Stichworte Afghanistan, al-Qaida und Osama bin Laden. Hier dürfte einer der Gründe dafür liegen, daß der 63jährige Präsident Musharraf, der zugleich Chef der Streitkräfte ist, vom großen Partner USA mit bemerkenswerter Nachsicht behandelt wird. Dabei hat der einstige Generalstabschef, der sich 1999 ohne Blutvergießen an die Macht putschte, bisher weder (wie versprochen) für mehr Demokratie gesorgt noch die Rückzugsräume der Taliban im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet geschlossen – ganz zu schweigen von den höchst aktiven Koranschulen im eigenen Land. Als einen „bequemen, wenngleich nicht sonderlich zuverlässigen Verbündeten“ bezeichnete ihn Peña, der aber nicht zu sagen wußte, ob Washington die „Koordinaten“ der angeblich getrennt gelagerten Raketen und Sprengköpfe in Pakistan kennt. Im „Fall des Falles“ müßte Washington „zu einigen sehr unappetitlichen Maßnahmen“ greifen. Bündnispartner im „Krieg gegen den Terrorismus“ Ähnlich harsche Worte hat Musharraf nach dem 11. September 2001 gehört, als ihn der damalige US-Vizeaußenminister Richard Armitage vor die Wahl stellte, entweder seine Unterstützung des Taliban-Regimes in Afghanistan aufzugeben oder in die Steinzeit zurückgebombt zu werden, so der General in seiner Autobiographie. Musharraf entschied sich für das Bündnis mit Amerika im „Krieg gegen den Terrorismus“, was Pakistan bisher rund zehn Milliarden Dollar an US-Hilfe eingebracht hat. Die Korpskommandeure, die wichtigste Macht im Lande (das in 60 Jahren Unabhängigkeit nur drei Jahrzehnte lang demokratisch legitimierte Regierungen gesehen hat), sind zufrieden. Und den Mittelstand beeindruckte Musharraf mit wirtschaftlichen Wachstumsraten von sieben Prozent im Jahr, kräftig steigenden Auslandsinvestitionen und einem besseren Verhältnis zum feindlichen Nachbarn Indien. Diktatoren wie Musharraf werden anfangs bejubelt, weil sie korrupte Politiker davon-jagen und die Züge wieder pünktlich fahren lassen. Irgendwann aber verpassen sie den Zeitpunkt zum würdigen Abschied. Musharraf machte seinen kardinalen Fehler am 9. März, als er den Chef des Obersten Gerichts, Iftikhar Chaudhry, suspendieren ließ, der sich aber widersetzte und seither wie ein Held mit Blumen überschüttet wird, wenn er von einer Stadt zur anderen zieht. Zum ersten Mal stellt sich ein hoher Richter gegen das Militär. Tausende von Anwälten und Angehörige anderer Berufsgruppen protestieren seit über drei Monaten auf den Straßen, Dutzende verloren bei den Demonstrationen ihr Leben. Musharraf und seine Berater haben die Stimmung im Volk falsch eingeschätzt und eine explosiv angewachsene, liberal denkende Mittelklasse übersehen. Doppelfunktion im „Krieg gegen den Terror“ Ihr Plan A sah offenbar vor, den General noch vor den gegen Ende des Jahres fälligen allgemeinen Wahlen vom Zentralparlament und den vier Landesversammlungen abermals zum Präsidenten (bis 2012) nominieren zu lassen und ihn in die Lage zu versetzen, weiterhin Uniform zu tragen und Chef der Streitkräfte zu bleiben. Sowohl die Doppelfunktion als auch das Wahlverfahren hätten von dem kritischen Chefrichter Chaudhry auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden können. Möglicherweise muß jetzt Plan B aufgerufen werden: vorzeitige Neuwahlen, kurzzeitiges Kriegsrecht, Vereinbarungen mit der ehemaligen Premierministerin Benazir Bhutto, die seit 1999 im Exil in Dubai lebt, und ihrer Pakistan People’s Party (PPP). Dennoch droht Musharraf keine Gefahr. Drei hohe US-Besucher, darunter der Vizeaußenmnister John Negroponte und der Chef des Central Command, Admiral William Fallon, haben im Juni klargemacht, daß Washington über die mangelnden Demokratie-Fortschritte in Pakistan keinen Schlaf verliert – und daß die Doppelfunktion Musharrafs als Präsident und Chef der Streitkräfte im „Krieg gegen den Terror“ nur nützlich sein könne. Die amerikanische Pakistan-Politik, so heißt es in Islamabad, werde hauptsächlich im Büro des Vizepräsidenten Dick Cheney gemacht, jenes Mannes, der einen militärischen Schlag gegen Iran nicht ausschließen will. Die Nachbarländer Pakistan und Afghanistan werden in den nächsten Jahren eine entscheidende Rolle in den amerikanisch-britischen Plänen für Iran und Zentralasien spielen. Die übrigen Nato-Mitglieder wie Deutschland haben dabei nur eine dienende Funktion. In Afghanistan müsse man sich für mehrere Jahrzehnte einrichten, hat der britische Botschafter in Kabul gesagt. Derweil versucht Musharraf, der zwei Attentatsversuche überlebt hat, zu verhindern, daß Amerika den pakistanischen Freund einstmals fallenläßt wie seinerzeit nach dem sowjetischen Abzug aus Afghanistan: indem er sich unersetzlich macht. Sein Landsmann Husain Haqqani, Direktor des Center for International Relations an der University of Boston, ist überzeugt, daß der militärische Geheimdienst ISI den wachsenden islamischen Extremismus im Lande durchaus wohlwollend beobachtet. Ähnliches dürfte für die zögerliche Verfolgung der Taliban im Grenzgebiet gelten: Pakistan will das indische Vordringen nach Afghanistan bremsen und seinen Einfluß in einem Gebiet erhalten, das der Armee lange Zeit als Rückzugsgebiet im Falle eines indischen Angriffs gegolten hat. Foto: Musharraf mit Militärs und Ingenieur vor Boden-Boden-Rakete „Shaheen 2“: Was passiert, wenn einmal Mullahs die Macht übernehmen?