Frieden ist noch nicht in Sicht. Aber wenigstens eine Art Waffenstillstand in diesem Krieg, den Israel im Libanon führte, gibt es endlich. Der UN-Weltsicherheitsrat hat fünf Wochen gebraucht, bis eine entsprechende Resolution zustande gekommen ist – eine diplomatische Zangengeburt und dementsprechend kein schönes Kind. Der Sicherheitsrat appelliert an Israel und den Libanon, eine „dauerhafte Waffenruhe“ und eine „langfristige Lösung“ zu unterstützen, heißt es in der Uno-Resolution 1701. Beide Parteien müßten die Blaue Linie – die Grenze zwischen Israel und dem Libanon – „respektieren“. Die Uno-Resolution 1701 ist schwammig und definiert nicht präzise, worin die Aufgabe der geplanten 15.000 Mann starken UN-Friedenstruppe im südlichen Libanon eigentlich bestehen soll. Den „Neuen Mittleren Osten“ nach US-Rezept gibt es nicht Soll sie der Puffer zwischen den Kriegsparteien sein, oder soll sie vollbringen, was selbst der im völkerrechtsfreien Raum operierenden Armee Israels nicht gelang, die Entwaffnung der Hisbollah? Kein Wunder, daß sich die für die Friedenstruppe in Frage kommenden Staaten mit ihren Meldungen nicht überschlagen. Eine weitere Uno-Resolution soll die vorherige jetzt präzisieren. Das Hickhack um den Waffenstillstand kann als Hinweis darauf verstanden werden, wie schwer es erst sein wird, zu einer Friedenslösung zu gelangen. Doch wenigstens die Mitspieler in jenem politischen Parallelogramm, in dessen Rahmen sie ausgehandelt werden kann, stehen fest: Da ist erstens Amerika, das sich seit Jahrzehnten als Patron (und leider auch manchmal als Verhinderer) aller politischen Lösungen in der nah-mittelöstlichen Region versteht. Es wird seine unter Präsident George W. Bush angenommene Attitüde des „Auf Biegen oder Brechen“ ablegen müssen – einen „Neuen Mittleren Osten“ nach US-Rezept wird es nicht geben. Die außen- und sicherheitspolitischen Rezepte jener Gruppe, an deren Fäden der amtierende US-Präsident Bush hängt, haben die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung im Nahen und Mittleren Osten vollständig gegen die USA und ihr Demokratiemodell aufgebracht und werden dies noch weiter tun. Die Lektionen aus dem Irak-Abenteuer sprechen für sich. Schonungslos hat der frühere Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski die Kalamität beim Namen genannt: „Wird diese Politik fortgesetzt, dann werden die Vereinigten Staaten schließlich ganz aus der Region verdrängt. Das wird auch der Anfang vom Ende Israels sein.“ Zweitens: Israel geht es um seine Sicherheit und um seine Zukunft als jüdischer Staat – es muß, wenn es sich nicht selbst in Frage stellen will, auf der Anerkennung und Garantie gesicherter Grenzen bestehen und deswegen sowohl militärisch stark sein als auch mit seinen Feinden reden. Drittens: Die Palästinenser brauchen einen Staat – und ein Staat ist etwas anderes als ein Flickenteppich aus eingezäunten Bantustans. Syrien ist der vierte Faktor: Es fordert seine von Israel annektierten Golanhöhen zurück – und will aus der Isolation heraus, in die es 2003 durch das Umhängen des modernen Pestglöckchens namens „Schurkenstaat“ gestoßen worden ist. Zwar besteht das offizielle Washington noch immer darauf, daß mit Damaskus erst dann gesprochen werden darf, wenn es auf Knien Buße tut und um Verzeihung bittet. In der Zunft der Strategieberater und politischen Analysten ist man schon ein gutes Stück weiter – in den USA, in Europa und nach dem ernüchternden Ergebnis des jüngst geführten Libanonkriegs vor allem auch in Israel. Die Tonlagen sind naturgemäß unterschiedlich, aber die Argumente sind ziemlich gleich: Ohne die Mitwirkung Syriens wird es keinen tragfähigen Frieden geben. Es unterstützt Israels Feinde nur deswegen, weil es ein „Syria irredenta“ gibt, die Golanhöhen, die von Israel 1967 erobert und dann 1981 annektiert worden sind. Nur weil das sunnitisch-laizistische Syrien (von dessen Bevölkerung etwa 15 Prozent Christen sind) in die Isolation gestoßen worden ist, wird der Schulterschluß mit der (schiitischen) Islamischen Republik Iran enger, mit der es als arabischer und säkular verfaßter Staat innerlich kaum etwas gemeinsam hat. Syrien wiederzugewinnen, liegt auch im Interesse des Westens. So oder so ähnlich liest es sich von der Jerusalem Post bis zur International Herald Tribune. Selbst Avi Dichter, der Minister für Innere Sicherheit in Ehud Olmerts Kabinett, ist jetzt auf diese Linie eingeschwenkt: „Für einen echten Frieden mit Syrien“, erklärte der frühere Leiter des israelischen Inlandgeheimdienstes Schin Bet in Israels Militärradio, „wäre es durchaus legitim, die Golanhöhen zurückzugeben.“ Selbst die resolute Außenministerin Tzipi Livni ruderte etwas zurück und ernannte schon mal einen „Fallmanager“ für eventuelle Verhandlungen mit Damaskus. Sein Berater soll Tel Avivs Universitätspräsident Itamar Rabinowitsch sein, der unter Premier Itzak Rabin vor rund zehn Jahren schon einmal Verhandlungen mit Syrien führte – damals von US-Präsident Bill Clinton moderiert. Hätte Rabins Nachfolger Ehud Barak nicht „kalte Füße“ (so Clinton) bekommen, wäre es wohl schon damals zum Friedensschluß mit Syrien und zu gutnachbarlichen Beziehungen gekommen. Dem Nahen Osten wäre vieles erspart geblieben. Rückgabe der Golanhöhen an Syrien erforderlich Hinter verschlossenen Türen trafen und treffen westliche Sendboten auch jetzt wieder mit Regimevertretern in Damaskus zusammen, unter ihnen der Leiter der Nahmittelostabteilung im deutschen Auswärtigen Amt, Horst Freitag, ein versierter Kenner nahöstlicher Verhältnisse und Mentalitäten. Sein als pragmatisch geltender Chef, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, gehörte zu den ersten, die den Wert der syrischen Karte im diplomatischen Nahost-Spiel erkannten. Warum der SPD-Politiker vergangene Woche nach einer Brandrede des syrischen Präsidenten Baschar Assad einen diplomatischen Eklat heraufbeschwor und seinen Besuch in Damaskus kurzerhand absagte, hat Steinmeier bislang noch nicht ganz stimmig erklären wollen. Natürlich enthielt Assads Rede wütend-aggressive Ausfälle, die in Berlin niemand teilen kann. Aber das politische Signal waren doch wohl eher die gleich mehrfach wiederholten Aufforderungen an Israel, mit dem arabischen Nachbarland zu verhandeln. Ganz offenkundig hat Assad in seiner Rede doch das „Drehbuch“ des ägyptischen Präsidenten Anwar Sadat aus den frühen siebziger Jahren kopiert, das letztendlich zum ägyptisch-israelischen Frieden führte. Es enthielt drei Elemente: Zuerst Gift und Galle spucken, dann behaupten, man habe durch einen militärischen Sieg seine (arabische) Ehre wiedergewonnen, und schließlich in aller Ruhe einen Weg für Friedensgespräche aufzeigen. Foto: Drei syrische Studentinnen winken von Ain el Tineh ihren Verwandten in Madschdal Schams zu, dem Hauptort auf den seit 1967 israelisch besetzten und 1981 annektierten Golanhöhen: „Es wäre durchaus legitim, die Golanhöhen zurückzugeben.“
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