Egal ob Linksextremisten auf einem Transparent mit der Aufschrift „Polen muß bis Holland reichen – Deutschland von der Karte streichen“ (JF 26/06) die Auslöschung der Bundesrepublik fordern oder ob Rechtsextremisten Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen tragen: Schnell fällt der Begriff der Volksverhetzung. Doch was verbirgt sich juristisch hinter diesem martialisch klingende Begriff? Volksverhetzung wird mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet. Der Straftatbestand wurde erst 1960 als Paragraph 130 in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Davor stellte der Paragraph 130 die „Anreizung zum Klassenkampf“ unter Strafe. Zunächst bestand die Strafnorm nur aus einem Satz und bedrohte denjenigen mit Strafe, der die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt, zur Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder sie beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet. In dieser Form bestand die Strafnorm bis 1994. Dann wurde der Straftatbestand erheblich erweitert. Seitdem steht auch die Verbreitung, öffentliche Ausstellung, das öffentliche Anschlagen, die Vorführung und das Zugänglichmachen von Schriften unter Strafe, die zum Haß gegen Teile der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe aufstacheln. Besondere Bedeutung erhielt die Erweiterung des Straftatbestandes der Volksverhetzung durch die Anfügung des dritten Absatzes, der von da an die Billigung, Leugnung und Verharmlosung des Völkermordes an den Juden während des Dritten Reiches unter Strafe stellte. Die Einführung dieses Absatzes geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurück, in dem die Leugnung des Holocaust als unwahre Tatsachenbehauptung nicht als vom Recht auf Meinungsfreiheit geschützt angesehen wurde, da sie nicht zur verfassungsmäßig vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen könne. Bis zur Erweiterung des Straftatbestandes der Volksverhetzung war die Leugnung des Volkermordes an den Juden bereits als Beleidigung strafbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haben Juden Anspruch auf Anerkennung des Verfolgungsschicksals der Juden während des Dritten Reiches. Mit der Einführung des Straftatbestandes der Volksverhetzung im Jahr 1960 sollte in erster Linie der öffentliche Friede und die Würde des Einzelmenschen geschützt werden. Dahinter steckt der Rechtsgedanke, daß eine direkt zu Haß, Gewalt oder Willkür aufstachelnde Äußerung keine vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckte Meinung, sondern eine Straftat darstellt, die weiteres illegales Handeln bewirken kann. Einschränkung der Meinungsfreiheit Auch wenn schon damit die grundrechtlich garantierte Meinungsfreiheit eingeschränkt worden ist, bestanden an der Verfassungsmäßigkeit des ursprünglichen Straftatbestandes keine ernsthaften Bedenken. Solche Bedenken hegen Kritiker aber gegen die Erweiterung von 1994, soweit sie sich auf die Strafbarkeit der Holocaustleugnung beziehen. Die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit kann nämlich nur durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden. Kritiker meinen nun, daß der dritte Absatz kein allgemeines Gesetz sei, sondern ein speziell auf den Einzelfall bezogenes Gesetz, das eine ganz bestimmte Meinung verbiete. Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht auch den Straftatbestand der Volksverhetzung in der Fassung von 1994 für verfassungsgemäß gehalten, weil es die Menschenwürde der durch solche Meinungsäußerungen verletzten Personen als das höherwertige Rechtsgut einstufte. Zu den Kritikern der Vorschrift zählt auch der Historiker Ernst Nolte. Die Geschichte ist nach seiner Auffassung kein Rechtsgegenstand. In einem freien Land sei es weder Sache des Parlaments noch der Justiz, geschichtliche Wahrheiten zu definieren. Zu denken gibt, daß zwar das Leugnen, Billigen und Verharmlosen von unter dem Nationalsozialismus begangene Verbrechen bestraft wird, nicht aber das Leugnen, Billigen und Verharmlosen anderer Völkermorde. So können etwa Verbrechen während der Vertreibung der Deutschen aus dem Osten straflos geleugnet, gebilligt oder verharmlost werden, ohne daß ein Staatsanwalt dadurch die Menschenwürde der Betroffenen verletzt sieht. Kritisch sehen einige Juristen auch, daß bereits die Verharmlosung des Holocaust strafbar ist. Damit kann sich strafbar machen, wer den Völkermord zwar nicht leugnet, aber die Zahl der Opfer bezweifelt oder die Bedeutung des Holocaust sonst irgendwie relativiert. Die Bestrafung auch der Verharmlosung des Holocaust hat Auswirkungen auf die Forschung: So hat etwa der Wiener Militärhistoriker Heinz Magenheimer sein Manuskript zur Militärstrategie Deutschlands von 1940 bis 1945 vor dem Druck von einem Rechtsanwalt prüfen lassen, da er keine Bestrafung wegen einer möglichen Verharmlosung des Holocaust riskieren wollte. Erst im vergangenen Jahr wurde der Straftatbestand der Volksverhetzung um einen weiteren Absatz ergänzt. Seitdem wird auch mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung oder mit Schriften den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, daß er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt. Auch mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ganz erheblich eingeschränkt. Am Montag bestätigte das Bundesverfassungsgericht das Verbot einer unter dem Motto „Gedenken an Rudolf Heß“ für diesen Sonnabend in Wunsiedel geplanten Demonstration mit Hinweis auf den entsprechenden Absatz 4 des Paragraphen 130. Kritik läßt sich übertragen Die Kritik an der vorangegangenen Gesetzesnovelle läßt sich auch auf diese Erweiterung übertragen. Strafbar ist nach dem Wortlaut damit alles, was die nationalsozialistische Gewalt und Willkürherrschaft rechtfertigt. Der Wortlaut sieht keine Beschränkung auf die Bestrafung von Rechtfertigungen nationalsozialistischer Verbrechen vor. Bestraft wird schon die Rechtfertigung der Gewalt- und Willkürherrschaft. Auch hier werden Historiker aufpassen müssen, wie sie sich zur Entstehung der NS-Herrschaft äußern. Foto: Gedenkdemonstration für Rudolf Heß in Wunsiedel (2001): Die Ausweitung des Straftatbestandes erleichtert ein Versammlungsverbot