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Grassierender Mangel

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Die Debatte um die demographische Misere unseres Landes wurde jahrzehntelang verschlafen. Erst seitdem der Kindermangel durch entvölkerte Landstriche, massenhafte Schulschließungen sowie den drohenden Kollaps von Renten- und Gesundheitssystem konkret greifbar geworden ist, erfährt die Rede über den anhaltenden Geburtenmangel Konjunktur im politischen Tagesgeschäft. Spätestens seit sich nun auch die Bild-Zeitung titelseitig des Themas angenommen hat, darf sich jedermann als Experte in punkto Geburtenrückgang wähnen: Betroffen sind wir hier schließlich alle. Zuwenig Renteneinzahler auf zu viele Empfänger, zu viele gebrechliche Alte gegenüber zuwenig Gesunden – die grobe Sachlage dürfte mittlerweile allgemein bekannt sein. Dennoch gibt es nicht wenige, die hier eine unangemessene „Panikmache“ am Werk sehen oder in einer „Gesundschrumpfung“ auch eine günstige Option erkennen wollen: Die erhöhte Konsumfreude der Singles sowie durch Verrentung freiwerdende Arbeitsplätze, die von unten neu besetzt werden können, werden gelegentlich unter die positiven Verheißungen eines kinderarmen Landes gerechnet. Mit solchen schönrednerischen Mutmaßungen dürfte hierzulande niemand so gründlich und detailliert aufgeräumt haben wie der Mainzer Professor Hermann Adrian, der sich seit sechs Jahren intensiv mit den wirtschaftlichen Implikationen des Geburtendefizits auseinandersetzt. Adrian, Jahrgang 1949 und fünffacher Familienvater, tut dies im Grunde als Fachfremder, er ist von Haus aus Naturwissenschaftler und lehrt experimentelle Physik. Während selbst Herwig Birg und Reiner Klingholz, die als langjährig verdienstvolle Rufer und Mahner in Sachen Bevölkerungsrückgang gelten dürfen, ihre düsteren Prognosen bisweilen noch hoffnungsfroh moderieren und etwa per gelenkter Zuwanderung und „Vereinbarkeitsvorschlägen“ (im Glauben, bei Gewährleistung einer weitergehenden Berufstätigkeit steige der weibliche Kinderwunsch) Symptombehandlung vorschlagen, gibt sich Adrians ökonomische Analyse konsequenter und radikaler: Wer keine Kinder aufgezogen habe, dem stehe genaugenommen keine Rente oder Pension zu. Den Kinderlosen nämlich – und abgemildert auch den Ein-Kind-Familien – könne zugemutet werden, das Äquivalent der angesparten „Opportunitätskosten“ (Verzicht der Eltern auf Erwerbseinkommen zugunsten der Kinderbetreuung) in Höhe von etwa 200.000 Euro pro Person nicht einfach zu konsumieren, sondern im Alter von 30 bis 40 Jahren für ihr späteres Alterseinkommen anzulegen – wobei sie in solchem Fall auch gänzlich ohne staatliche Rente ein höheres Einkommen als Familien mit mehreren Kindern hätten. Adrian geht es dabei nicht etwa um eine Art moralisch-finanzieller Belohnung für Erziehungsarbeit. Für ihn sind Kinderlosigkeit und der dadurch verursachte Nachwuchsmangel der eigentliche Grund für die ökonomische Misere Deutschlands. Mit mathematischer Exaktheit könne man zeigen, daß die grassierende Arbeitslosigkeit gerade durch den Kindermangel verursacht wird: Durch die seit Mitte der Siebziger insgesamt fehlenden 8,5 Millionen Kinder und jungen Erwachsenen unter 30 Jahren entfalle erheblicher Konsumbedarf, gleichzeitig drängten die Kinderlosen verstärkt auf den Arbeitsmarkt, da diese im Gegensatz zu Eltern nicht zugunsten von Kinderbetreuung zeitweise auf Erwerbstätigkeit und Konsum verzichteten. Wären, so rechnet Adrian vor, seit 1970 überhaupt keine Kinder geboren worden, dann hätten wir heute eine Arbeitslosigkeit von über 40 Prozent, da es keiner Volkswirtschaft je gelungen sei, mehr als 65 bis 70 Prozent der Erwerbsgeneration zu beschäftigen. Nebenbei sind dies Berechnungen, die den aktuellen Ruf nach einer möglichst raschen Rückkehr von Müttern an den Arbeitsplatz unter einem neuen Licht erscheinen lassen: Ein Blick in den Osten der Republik, wo eine überdurchschnittlich hohe Frauenerwerbsquote (durch ein reiches Krippenangebot) mit einer gleichfalls hohen Arbeitslosenquote korreliert, macht eine ideologisch motivierte Sackgasse deutlich. Familien zahlen die höchsten Einkommensteuern Nicht Kinderlose, wie es oberflächlich erscheint, sondern Familien zahlen hierzulande die höchsten Einkommensteuern – wenn man vom Pro-Kopf-Einkommen ausgeht, was man gerechterweise tun müsse. Daher hält Adrian ein Familiensplitting nach französischem Vorbild für unabdingbar – dort lebt eine Familie spätestens mit dem dritten Kind steuerfrei. Umgekehrt, so postuliert Adrian, sei für die Auszahlung der kompletten Rente abgesehen von der vorherigen Beitragseinzahlung auch das Aufziehen von mindestens zwei Kindern erforderlich. Die Einführung einer kapitalgedeckten Rente, wie etwa Birg sie vorschlägt, hält Adrian nicht für eine optimale Lösung, da bei sinkender Bevölkerungszahl auch die Nachfrage für angesparte Wertpapiere sinke. Das heute geltende Umlagesystem betrüge Eltern um den „natürlichen Lohn der Erziehung von Kindern“. Von einem solchen wäre zu sprechen, wenn Eltern im Alter durch die Wirtschaftskraft ihrer dann erwerbstätigen Kinder ein hinreichendes Alterseinkommen und Gesundheitsfürsorge erhielten. Damit, so Adrian, zahlten Kinder „ihre Schulden bei den Eltern“ zurück, die einst für ihren Lebensbedarf, für Pflege und Betreuung gesorgt haben: „Heute raubt der Staat durch seine Sozialgesetze den Eltern die Hälfte dieses Lohns und schenkt ihn den Kinderlosen.“ Die nun geplanten Reformen der Bundesregierung hält der Professor für strukturell untauglich, auch weil man den Familien durch Wegfall der Eigenheimzulage, Erhöhung der Mehrwertsteuer und Einführung von Studiengebühren ein Vielfaches dessen nehme, was man ihnen durch Elterngeld und Absetzbarkeit von Betreuungskosten geben wolle. Es sei „geradezu erstaunlich“, daß sich unter diesen Bedingungen überhaupt noch junge Menschen für Kinder entscheiden. „Warum“, fragt Adrian nicht ohne Polemik, „sollen unsere Kinder und Enkel in zwanzig Jahren einen Großteil ihres Einkommens für fremde, kinderlose Alte abgeben, die selbst in großem Wohlstand gelebt haben und nicht einmal bereit waren, Zeit und Geld für eigene Kinder aufzuwenden? Unsere Kinder würden geradezu Arbeitssklaven kinderloser Alter werden! Hierzu gibt es keinerlei moralische Begründung!“ Die Studie im Internet: www.uni-mainz.de/FB/Physik/AG_Adrian/adrian/cd/2-Lage.pdf

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