Brennende Botschaften in Syrien und Libanon. Schüsse auf dänische Soldaten im Irak. Massendemonstrationen in Pakistan. Handelsboykott gegen Dänemark. Abberufung arabischer Botschafter aus Kopenhagen. Von Algerien bis Indonesien ist die islamische Welt in Aufruhr. Sogar der westorientierte afghanische Präsident Hamid Karsai forderte, die für die „Beleidigung des Islam“ verantwortlichen Chefredakteure „zu bestrafen“. Ein Ende ist noch nicht abzusehen. Auslöser der beispiellosen Protestwelle waren jene zwölf Karikaturen, unter denen sich auch eine des Propheten Mohammed befand, die vor vier Monaten in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten veröffentlicht und von zahlreichen europäischen Blättern (auch von der Berliner Welt und dem Wiener Standard) nachgedruckt worden sind. Symbol für den Islam und auch für die arabische Nation Die dänischen Karikaturisten hatten je 107 Euro für jede Zeichnung erhalten und sich nichts besonderes dabei gedacht, als sie ihre Bilder lieferten. Eine Kriegserklärung war nicht beabsichtigt. Erst als in Dänemark lebende Muslime ein Dossier über „islamfeindliche“ Tendenzen zusammenstellten und in nahöstlichen Staaten präsentierten, wurde aus den Karikaturen ein „Fall“. Die Tradition des Islam verbietet selbst gutgemeinte bildliche Darstellungen Mohammeds. Ihn aber auch noch mit einer im Turban versteckten Bombe zu karikieren, kann Muslime aufs äußerste provozieren. Mehr noch: Mohammed ist nicht nur ein Symbol für den Islam, sondern auch für die arabische Nation und ihre Kultur als Ganzes. Daß es zu Protesten kommen konnte, war naheliegend. Erschrocken ist man nun über das Ausmaß von Haß und Gewalt und über das Tempo, in dem sich der Feuerbrand ausgebreitet hat. Selten – nicht einmal in der Haltung zu Israel – hat sich die muslimische Welt so einig gezeigt wie in diesem Fall. Die Ereignisse scheinen eine Vorahnung vom „Kampf der Kulturen“ zu geben – dem Zusammenprall zwischen westlicher, säkularer Weltsicht und der muslimischen Kultur mit ihrem Wesenskern eines kategorischen Diktats der Religion über das weltliche Leben. Für (pauschal ausgedrückt) „Fundamentalisten“ ist der aktuelle Konflikt ein Kampf um Heiligtümer. Für die muslimische Welt ist der Prophet eben heilig und unverhandelbar, während das bei der westlichen Welt für die Rede- und Meinungsfreiheit gilt. Aber bei weitem nicht alle Politiker, Staaten, Parteien und Gläubige im Orient sind „Fundamentalisten“. Und Meinungsfreiheit gilt nach arabischer Beobachtung auch im Westen keineswegs für alle und alles. In einer eigenen Karikatur-Serie hat sich die jordanische Zeitung Shihan mit solchen Tabus der westlichen Meinungsfreiheit befaßt: Ein europäischer Redakteur prüft Karikaturen. Eine, auf der ein Hakenkreuz mit einem Davidstern verknüpft wird, verwirft er mit den Worten: „Das ist antisemitisch.“ Eine zweite, die einen Schwarzen mit Ohrringen zeigt, wird gekippt, weil sie „rassistisch“ ist. Die Karikatur aber, die sich über den Propheten lustig macht, „ist von der Meinungsfreiheit gedeckt“. Nur eine Frage unterschiedlicher Wahrnehmung? Die Karikaturen sind nicht das eigentliche Problem; aber sie sind vielleicht der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Das einer solchen fragilen, ja explosiven Situation zugrunde liegende Problem ist die zum Zerreißen gespannte Lage zwischen Orient und Okzident. Überspitzt ausgedrückt: Das Vertrauen ist weg, das gegenseitige Mißtrauen wächst dramatisch. Die Militärinvasion Afghanistans, der erbombte Regimewechsel im Irak, die Aussichtslosigkeit eines Nahost-Friedens, die kaum verhüllte Interventionspolitik des Westens im Libanon, gegen Syrien und den Iran – zumindest in den Augen der islamischen Eliten folgt eine Demütigung auf die andere. Der Zorn nährt sich aus einem Gegensatz: Die islamischen Staaten verfügen zwar über viel Öl, aber über so gut wie keinen Einfluß auf die internationale Machtpolitik. Religiöser Fanatismus und (gefühlte?) Ohnmacht auf der einen Seite, Arroganz und die Angst um den eigenen Reichtum auf der anderen Seite bilden eine hochexplosive Mischung. Auf ihre Weise bestätigen die Protestaktionen dieses tiefe Ohnmachtsgefühl. Dazu paßt eine Umfrage des US-Zogby-Instituts in arabischen Staaten, die ein „verheerendes Mißtrauen“ gegenüber der „Demokratisierungs“-Offensive Washingtons feststellte. Wut über die Politik des Westens „In der heftigen Reaktion drückt sich auch die Wut über die Politik des Westens gegenüber der muslimischen Welt nach dem 11. September aus“, faßt Johannes Reissner von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik zusammen. Ein Ergebnis dieser Befindlichkeit der Muslime sind die sich seit Monaten fortsetzenden Wahltriumphe religiöser Bewegungen: in Ägypten, im Südlibanon, im Irak, in Palästina. Der konservative US-Präsidentschaftskandidat Pat Buchanan spottete besorgt: „Freiheit und Demokratie sind unterwegs, sagt Präsident Bush. Vielleicht. Sicher ist aber, daß der Islamismus in vielen Fällen schon angekommen ist.“ Auch für arabische Regimes, sogar laizistische, und für Teheran ist der Aufruhr willkommen. Daß Saudi-Arabien besonders laut lamentiert, ist auch innenpolitisch motiviert. Das korrupte Regime „der fünftausend Prinzen“ hat im eigenen Land einen besonders schlechten Ruf und greift die Forderungen nach wirtschaftlichen Sanktionen und Boykott gegen Dänemark auf, um von seiner geringen Beliebtheit abzulenken. Das laizistische Regime in Damaskus spielt sein eigenes Spiel. Von der US-Politik an die Wand gedrückt, kann es Präsident Bashar Assad nur recht sein, den Westen in den Abgrund blicken zu lassen, der sich auftun kann, wenn auch hier ein Regimewechsel erzwungen wird und dann Islamisten mit größter Wahrscheinlichkeit auch in Syrien das Sagen haben. Die Zeichen der Zeit sind nicht mehr zu übersehen: In Nah-Mittel-Ost läuft die Zeit nicht zugunsten des vielgepriesenen Dialogs und des Friedens. Gerade da sollten die wenigen anderen Stimmen von Gewicht gehört werden: Das geistliche Oberhaupt der irakischen Schiiten, Großayatollah Al Sistani, verurteilte zwar die „beleidigenden“ Karikaturen, deutete aber an, daß Muslime dazu beigetragen hätten, das Bild des Islams in der Welt zu verzerren. Sturm auf dänisches Konsulat in Beirut: Kampf der Kulturen foto: picture alliance / dpa