Am vergangenen Wochenende zog die 4. Biennale in Berlin-Mitte bei den ersten Sonnenstrahlen massenhaft Besucher an. Die Ausstellung für zeitgenössische Kunst, gefördert durch Mittel der Kulturstiftung des Bundes, zeigt an mehreren Standorten das „Leben als eine Reihe von Traumata“, so zumindest sehen es die Veranstalter. So strömen die Besucher zu „Kunstwerken“ wie aufeinandergestapelten Büromöbeln oder einer wirklich bemerkenswerten Ansammlung von Minihäuschen, wie Modelleisenbahner sie zur Dekoration verwenden. Wo sich die Freunde moderner Kunst versammeln, sind die politische Aktivisten meist nicht weit. An den früheren Pferdeställen des Postfuhramts steht eine junge Frau in einer Halle, einer früheren Auto-Werkstatt oder Garage. Auch diese „Aktion“ ist Bestandteil der Biennale. Auf dem Boden liegt ein schwarzer Turnschuh mit weißen Streifen. „Der gehört Besir“, sagt die Frau. Sie hält ein Brett mit einer Unterschriftenliste in der Hand. „Besir darf nicht abgeschoben werden“, fordert sie nachdrücklich und hält ihren Besuchern das Blatt unter die Nase. Der Appell an den Berliner Innensenator, den zu unterschreiben die Aussteller auffordern, beginnt wie folgt: „Mit Bestürzung habe ich von dem Fall der Familie Olcay erfahren. Die Familie flüchtete 1989 nach Deutschland, um dem drohenden Krieg in ihrem Heimatland – der Türkei – zu entkommen.“ Seit nunmehr 17 Jahren leben die alleinerziehende Mutter des Jungen und seine vier Geschwister in Deutschland. Jetzt, da die Abschiebung droht, werden Künstler wie Initiator Pawel Althammer aktiv, um ein Bleiberecht für die Olcays zu erreichen. Es geht natürlich um mehr als nur ein Einzelschicksal, schließlich sei das Schicksal der türkischen Familie „beispielhaft für das Schicksal von Tausenden von Menschen in der Bundesrepublik“. Das stimmt. Zwar sinkt die Zahl der Asylbewerber in Deutschland seit Jahren immer weiter, aber noch immer leben in der Bundesrepublik Tausende, die in den achtziger und frühen neunziger Jahren eingewandert sind. Knapp 200.000 solcher Altfälle bereiten Innenpolitikern in Bund und Land Kopfzerbrechen. Die bevorzugte Masche, die sofortigen Zugang zu staatlichen Transferleistungen versprach, war die Einreise als „politisch Verfolgter“. So machte es auch Feyyaz Aydin, der ebenfalls im Jahr 1989 mit Sack und Pack nach Deutschland kam. Und natürlich mit Frau und Kindern, darunter Tochter Hayriye. Der Kurde versuchte es zunächst in Niedersachsen mit einem Antrag auf politisches Asyl, scheiterte aber an der deutschen Justiz – so wie die meisten illegalen Einwanderer damals. Breite Berichterstattung in den Medien Aydin tauchte dann mit seiner Familie -Hayriye hat heute zehn Geschwister – unter. Im damals rot-grün regierten Berlin rechnete er sich bessere Chancen aus, seinen Status doch noch legalisieren zu können. Also stellte er unter falschem Namen einen neuen Antrag auf Asyl. Jemand hatte Aydin gesteckt, daß er als Libanese – und damit als Bürgerkriegsflüchtling – bessere Chancen auf Zugang zum Netz der sozialen Sicherheit haben würde. Ab 1992 floß Sozialhilfe an Familie Aydin aus dem Libanon. Nach vier Jahren jedoch flog der ganze Schwindel auf. Das ist zehn Jahre her. So lange dauerte der anschließende Rechtstreit der Aydins mit deutschen Behörden. Inzwischen waren weitere Geschwister Hayriyes zur Welt gekommen. Auch für sie wurde Asyl beantragt. Ende 2005 waren alle Rechtsmittel ausgeschöpft. Seitdem droht die Abschiebung der Aydins akut zu werden. Im April sollte es soweit sein. Deswegen wurde eine Propaganda-Maschinerie zugunsten einer „humanitären“ Lösung, sprich: eines dauerhaften Bleiberechts, in Gang gesetzt. Die 17 Jahre alte Schülerin war zufälligerweise zu Gast bei Bundespräsident Horst Köhler, als dieser am Mittwoch vergangener Woche die Neueröffnung seines renovierten Schlosses Bellevue feierte. Unter den Motto „Bellevue unplugged“ hatte das Staatsoberhaupt junge Bürger eingeladen, die sich um diesen Staat verdient gemacht haben. Hayriye, die kurz vor am Abschluß an einer Realschule steht, hat an einem Projekt gegen Antisemitismus mitgearbeitet. Deswegen wurde sie von Köhler mit anderen Frauen für ihre „soziale und intellektuelle Entwicklung“ gelobt. Für die Medien, unter anderem die Tagesschau und das Heute-Journal, ein gefundenes Fressen – sie stürzten sich auf die von Abschiebung bedrohte Kurdin. Der Bundespräsident verhielt sich vorsichtig und bekundete, sich mehr mit der Problematik befassen zu wollen. Eine klare Aussage vermied Köhler jedoch. Insbesondere verzichtete er auf ein Machtwort im Sinn der Berliner Boulevardzeitung B.Z., die sich mit Überschriften wie „Schiebt sie nicht ab!“ die Forderungen der Ausländerlobby zu eigen gemacht hatte. Die Unterstützer der Aydin-Familie haben noch etwas anderes gemacht, um Argumente gegen eine Abschiebung zu haben. Sie haben errechnet, was der deutsche Staat allein in die Ausbildung der Kurdenkinder investiert hat (ohne Sozialhilfe, Kindergeld). Sie sind auf 416.000 Euro gekommen. Diese Zahl halten sie für ein handgreifliches Argument für ein Bleiberecht der Familie.
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