Die Frage des EU-Erweiterung zeigt einmal mehr, daß sich die Brüsseler Eurokraten darüber im unklaren sind, wo die Grenzen Europas liegen. Diese sind dabei nicht nur geographisch, sondern vor allem auch geistig-kulturell zu ziehen. Der Bezugspunkt dessen, was Europa in seiner historisch gewachsenen Vielfalt sein soll, wäre das alte Heilige Römische Reich, das gewissermaßen der erste gesamteuropäische Zusammenschluß auf der Grundlage des Christentums war. Die Türkei, die stets ein Widersacher dieses Reiches war, kann daher niemals ein Teil Europas sein. Etwas schwieriger ist das Verhältnis zur orthodoxen Welt, die außerhalb des alten Reiches lag. Jene Länder, die das Erbe Ostroms angetreten haben, bauen zweifellos ebenfalls auf der Grundlage des Christentums auf, haben andererseits aber im Laufe der Jahrhunderte eine Entwicklung eingeschlagen, die sie von den Erben Westroms deutlich unterscheidet. Die Errungenschaften des christlichen Abendlandes, wie die Aufklärung, haben die orthodoxe Welt stets mit einer deutlichen zeitlichen Verzögerung und in einer abgeschwächten Form erreicht. Die russischen Zaren als die Erben der oströmischen Kaiser verstanden sich zwar als Teil Europas, standen aber stets in einem gewissen Gegensatz zur kulturellen Tradition Mitteleuropas. Eine EU-Mitgliedschaft Rußlands scheidet daher wegen dieses Gegensatzes wie auch wegen seiner Größe, die es zu einer natürlichen Weltmacht macht, aus. Dennoch ist es für Europa von vitalem Interesse, mit Rußland eine besonders enge Form der Zusammenarbeit zu pflegen. Auf die Interessen Moskaus, das Länder wie die Ukraine als Teil seiner Einflußsphäre ansieht, ist natürlich Rücksicht zu nehmen. Rumänien und Bulgarien, die 2007 der EU beitreten sollen, sind zweifelsfrei Teil der europäischen Völkerfamilie. Siebenbürgen und das Banat waren über Jahrhunderte als Teil der Habsburger Monarchie mit Mitteleuropa verbunden. Dennoch bringt die Aufnahme dieser beiden Länder die EU, die die letzte Erweiterungsrunde 2004 noch nicht verdaut hat, an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Die EU ist es vor allem den Rumänen und Bulgaren schuldig, deren Beitritte um einige Jahre zu verschieben. Denn Probleme wie die grassierende Korruption oder die wirtschaftliche Rückständigkeit lassen sich nicht von heute auf morgen lösen. Anders verhält es sich mit Kroatien, das bereits heute alle Beitrittskriterien erfüllt und darüber hinaus seit Jahrhunderten tief in der mitteleuropäischen Kultur verankert ist. Dieses Land, das die Aufnahmefähigkeit der EU in keiner Weise beeinträchtigt, sollte daher so schnell wie möglich aufgenommen werden. Die EU-Osterweiterung, die zur Aufnahme von Ländern führt, die einst nur am Rande des Strahlungsbereiches des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation lagen, wird zwangsläufig zur Schaffung einer EU der zwei Geschwindigkeiten führen. Denn die EU wird, wenn sie auf 30 oder mehr Mitglieder wächst, nur funktionieren, wenn sich in ihrer Mitte ein Kerneuropa der Nettozahler bildet. Dieses Kerneuropa, das im wesentlichen dem alten Heiligen Imperium in seiner größten Ausdehnung entspricht, muß dann auch ein seinen finanziellen Verpflichtungen adäquates Gewicht in Form einer verstärkten politischen Mitsprache erhalten. Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung „Zur Zeit“ und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.