Wieviel Patriotismus braucht unser Land? Unter dieser Überschrift stand eine Podiumsdiskussion, zu der die Junge Union (JU) in der vergangenen Woche unter anderem den Fernsehmoderator Michel Friedman in die Marburger Stadthalle eingeladen hatte. Schon gut vierzehn Tage vor der eigentlichen Podiumsdiskussion gab der hessische Justizminister Christean Wagner (CDU) auf einer RCDS-Veranstaltung auf die Frage, warum mit Friedmann ein Diskussionspartner einladen worden sei, der zum einen die deutsche Schuld immer wieder in den Vordergrund stelle, der aufgrund der Unterschriftensammlung der hessischen CDU im Wahlkampf in die saarländische CDU wechselte und der unter dem Decknamen „Paolo Pinkel“ strafrechtlich auf sich aufmerksam gemacht habe, eine deutliche Antwort: „Wir können auch andere Meinungen akzeptieren, wir sind ja tolerant.“ Der Vorsitzende der JU Marburg-Biedenkopf, Philipp Stompfe, führte in dem mit 250 Zuhörern gut gefüllten Foyer der Stadthalle Marburg in die Diskussion ein und erläuterte, daß es zum Selbstverständnis der JU gehöre, sich mit der nationalen Identität zu beschäftigen. Er kritisierte die seiner Ansicht nach zunehmende Individualisierung in der Gesellschaft, und forderte eine Rückbesinnung auf Werte. Der stellvertretende JU-Bundesvorsitzende André Stolz forderte in der Diskussion mehr Tugenden, wie etwa Fleiß, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Desweiteren dürften deutsche Gedichte, Klassiker der Literatur und der Musik nicht vergessen werden. Nicht zuletzt müsse auch die deutsche Sprache in der EU einen neuen Stellenwert erhalten. Justizminister Wagner erinnerte an den Parteitag der CDU Hessen in Marburg Anfang März, der unter dem Motto „Aus Liebe zu unserem Land. Heimat, Werte, Orientierung“ stattfand. Für ihn sei Patriotismus Vaterlandsliebe. Alfred Dregger zu Unrecht in die extreme Ecke gestellt Er erinnerte an den CDU-Bundestagsabgeordneten und langjährigen Vorsitzenden der Unionsfraktion Alfred Dregger. Dieser sei ein einsamer Rufer und Patriot gewesen und dafür zu Unrecht in eine extreme Ecke gestellt worden. Wagner sagte, er lehne Patriotismus als alleinigen Verantwortungspatriotismus ab. Aber auch mit Verfassungspatriotismus könne er nichts anfangen. Zu Patriotismus gehöre die Liebe zur Heimat, zur Familie und auch zu Deutschland. In den vergangenen Jahren habe sich eine linke Leitkultur etabliert, in der viele Begriffe und Werte tabuisiert würden. Auf die Frage, ob sich Ausländer mit Deutschland identifizieren sollten, antwortete Wagner, Ausländer müßten die Gleichberechtigung von Mann und Frau akzeptieren und die deutsche Sprache erlernen. Ihm sei „Zwangsgermanisierung“ vorgeworfen worden, weil er schon sehr früh Deutschkurse für Ausländerkinder gefordert habe. Michel Friedman sagte, für ihn sei Patriotismus sowohl Identität als auch Identifikation. Die deutsche Gesellschaft habe eine gemeinsame Identität, man könne sich heute zu den Werten der Bundesrepublik, wie beispielsweise Freiheit, Demokratie, Pluralismus und Menschenrechte, bekennen. Patriotismus sei für ihn jedoch nicht die Liebe zu einer unbekannten Masse von Menschen. Vielmehr sei Patriotismus Solidarität mit seinen Mitmenschen. Man müsse sich einsetzen, weil man sich mit dem Land und den Menschen identifiziere. Jedoch solle man sich nicht nur mit den Deutschen identifizieren, Ziel der Politik müsse es sein, daß man Sorge um alle Europäer habe. Seiner Meinung nach werde das Thema Patriotismus in Deutschland nicht tabuisiert. Es sei heute viel entkrampfter, als die Diskussion vorspiegele. Das Gemeinschaftsgefühl kann oft ausgelebt werden, nicht nur bei Spielen der Fußball-Nationalmannschaft. Nachdem man sich emotional ausgetobt habe, müsse jedoch immer wieder der Verstand einsetzen. Patriotismus habe zudem nichts mit Extremismus zu tun. Links- und Rechtsextreme seien für ihn keine Patrioten. Wer stolz auf sein Land sein wolle, müsse sich auch schämen können. Wer stolz auf Goethe oder Franz Beckenbauer sei, der müsse sich auch für Hitler, Goebbels und Göring schämen. Zwischen Patriotismus und Extremismus Nicht alle Zuhörern waren offensichtlich mit dem Verlauf der Podiumsdiskussion zufrieden. Einige zeigten sich enttäuscht darüber, daß die Diskussion ihrer Meinung nach überhaupt nicht die Tabuisierung des Patriotismus, der Nation und des deutschen Selbstwertgefühls behandelt habe. Auf die Frage eines Zuhörers, warum er bei der von der CDU initiierten Unterschriftensammlung bei der Landtagswahl im Jahr 1999 aus der CDU Hessen aus- und in die saarländische CDU eingetreten sei und er sich somit sehr intolerant gegenüber seiner eigenen Partei verhalten habe, antwortete Friedman lakonisch: Diesen Schritt habe die CDU Hessen aushalten können.