Am 23. April, gerade mal drei Tage nach seinem Rücktritt, präsentierte der alte und neue ita-lienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi seine dritte Regierungsmannschaft – die erste regierte nur kurz von Mai bis Dezember 1994, die zweite immerhin von 2001 bis vergangene Woche. Die einzige große Überraschung im Kabinett ist die Wiedereinsetzung des langjährigen Wirtschaftsministers Giulio Tremonti als Vizeregierungschef. Tremonti, Vizechef von Berlusconis rechtsliberaler Forza Italia (FI) und ein international anerkannter Wirtschaftsprofessor, war im Sommer 2004 auf Drängen des heutigen Außenminister Gianfranco Fini von der rechtsnationalen Alleanza Nazionale (AN) abgesetzt worden. Auch der 2004 wegen seiner konservativ-katholischen Überzeugungen als EU-Kommissar gescheiterte (JF 46/04) frühere Europa-Minister Rocco Buttiglione von den Christdemokraten (UDC) kehrt als neuer Kultusminister ins Kabinett Berlusconi III. zurück. Mit Gleichstellungsministerin Stefania Prestigiacomo (FI) und der parteilosen Erziehungsministerin Letizia Moratti sind nur zwei Frauen vertreten. Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi verteidigte letzten Samstag das 60. Nachkriegskabinett Italiens. Damit scheint die schwere Regierungskrise vorläufig beendet. Noch in dieser Woche wird sich der Regierungschef der Vertrauensabstimmung stellen. Sollte er vor dem Parlament scheitern, wären allerdings vorgezogene Neuwahlen erforderlich, bei denen laut Umfragen derzeit die Opposition die Nase vorn hätte. Doch damit rechnet kaum jemand – das Mitte-Rechts-Bündnis Casa delle Libertà („Haus der Freiheiten“) aus FI, AN, Lega Nord und UDC sowie den Kleinparteien Nuovo PSI (Ex-Sozialisten) und den liberalen Republikanern (PRI) hat weiterhin die Mehrheit in Kammer und Senat. Bitter für den erfolgsverwöhnten Medienunternehmer und Premier ist, daß seine zweite Regierung nach vier Jahren – die längste in der Nachkriegszeit – nicht bis zum Ende der Legislaturperiode im Sommer 2006 gehalten hat. Bis zuletzt hatte er alles daran gesetzt, seinen Rücktritt zu vermeiden. Schuld daran war das extrem schlechte Abschneiden der Regierungsparteien bei den jüngsten Regionalwahlen. Von den dreizehn wahlberechtigten Regionen konnte das linke Oppositionsbündnis L’Unione elf für sich einnehmen. Die Mitte-Rechts-Koalition hingegen konnte sich nur in der Lombardei und im Venetien halten. Und dies auch nur mit Hilfe der für die Interessen Norditaliens eintretenden rechten Lega Nord des Volkstribuns Umberto Bossi. Symbolträchtige südliche Regionen wie Latium und Apulien, die bisher immer als Hochburgen der „post-faschistischen“ AN galten, gingen bei dieser Wahl klar verloren. Sogar in Apulien hat die Linke überraschend mit fast 52 Prozent gewonnen, und zwar mit dem Kandidaten Nichi Vendola, einem bekennenden Homosexuellen und orthodoxen Altkommunisten von der PRC (JF 15/04). Ein verblüffender Wertewandel offenbarte sich hier im traditionsgebundenen Süden, dem die bisher führende AN anscheinend nichts entgegenzusetzen weiß. Nach dieser Wahlschlappe, die die verbündeten Koalitionspartner in der Regierung vor allem Berlusconi persönlich ankreideten, brach ein folgenschwerer Krach im Casa delle Libertà aus. Vor allem die AN und die UDC witterten Morgenluft nach diesem Wahldebakel. Der winzige Erfolg der UDC bei der Regionalwahl (knappe sechs Prozent) gab der rechten Nachfolgepartei der jahrzehntelang regierenden Democrazia Cristiana/DC (die linke DC-Abspaltung Volkspartei/PPI gehört zu L’Unione) den Mut, aus der schwelenden eine offene Regierungskrise zu machen. Mit der Schwächung Berlusconis wollen sie ihren Marktwert erhöhen und bei den nächsten Wahlen ihren Führungsanspruch anmelden. Dem Beispiel der UDC folgend, drohte dann auch die AN mit Regierungsaustritt, um so eine formelle Demission des Premier zu erzwingen. Nur so könne der Weg zu einer tatsächlich neuen Regierung und zu einem echten programmatischen Kurswechsel geebnet werden. AN wie UDC wollen vor allem eine Neuorientierung auf Süd- und Mittelitalien, wo es die schwersten Stimmenverluste gab, aber auch die Sonderbeziehung zwischen Berlusconis FI (der aus dem norditalienischen Mailand stammt) und der Lega sollte geschwächt werden. Mit Berlusconis zeitweiligem Machtverlust begannen wieder die alten Politkämpfe der einstigen untergegangenen Parteien der „Ersten Republik“. Sie haben ihre Ursache im tief verwurzelten Partikularismus Italiens, der aus starken lokalem und regionalem Rückhalt gespeist wird. Jahrzehntelang hat das Land unter diesen Auswüchsen der politischen Klientelgesellschaft gelitten. Jetzt scheint sie wieder in Mode zu kommen, wenn Berlusconi nicht das Ruder herumreißt. In seiner programmatischen Rede vor dem Parlament warb Berlusconi erneut um das Vertrauen seiner Partner. Im letzten Jahr der Legislaturperiode will er seine verlorengegangene Popularität zurückgewinnen – vor allem durch mehr Ausgaben für Familien und eine generelle Entlastung für Unternehmen. Einen Schwerpunkt seiner programmatischen Rede bildete der rückständige süditalienische Mezzogiorno, ein ewiges Problem, wo noch immer Patronage, Korruption und organisiertes Verbrechen eine schwere Hypothek bilden – trotz der Milliarden aus Rom und Brüssel über die Jahrzehnte hinweg. Wird die Kontinuität der Macht der einzige Kitt sein, der diese angeblich „rechte“, vor allem aber sehr heterogene Regierung zusammenschweißt? Denn nichts ist gelöst, das Rumoren in der Regierung geht weiter. Aber letztendlich wissen alle Parteien im „Haus der Freiheiten“, daß sie nur unter dem Dach der Koalition reüssieren können. Es wird schwierig für Berlusconi, die Partner bei der Stange zu halten. Seine Führung ist geschwächt und sein Image vor den Wählern beschädigt. Der Lack ist ab. Auch die Nachfolgefrage – wer „beerbt“ den 68jährigen Berlusconi – ist nach dieser jüngsten Kabinettumbildung wieder völlig offen. Bisher wurde über einen Zweikampf zwischen dem 53jährigen – seit seinem Israel-Besuch – „geläuterten Postfaschisten“ und Außenminister Fini und den im Ausland unterschätzten Parlamentspräsidenten Pier Ferdinando Casini (UDC) spekuliert. Doch durch die Einsetzung von Berlusconis Trumpfkarte Tremonti ist nun alles wieder offen. Der ist zwar schon 57 Jahre alt, gehört aber der mit Abstand größten Partei, der FI, an und wird speziell von der Lega unterstützt. Doch dem im norditalienischen Sondrio geborenen Finanzexperten steht eine schwere Aufgabe bevor. Die EU rechnet damit, daß das italienische Haushaltsdefizit im Wahljahr 2006 mit 4,6 Prozent weit über der „Maastricht-Grenze“ von 3,0 liegt – daher ist fraglich, wie Berlusconis Wahlversprechen finanziert werden sollen. Tremontis Sympathie für den Föderalismus ist eine Provokation für den subventionsbedürftigen Süden. Die „Nord-Achse“, die durch die von AN und UDC aufgezwungene Regierungskrise geschwächt werden sollte, ist nun erneut bestätigt worden. Während Berlusconi einen Neuanfang versucht, sieht die Opposition unter Romano Prodi lediglich „eine Fotokopie“ des alten Kabinetts – was sich angesichts der Fakten nicht leugnen läßt.