Tschetscheniens Präsident Aslan Maschadow ist tot. Ebenso wie seine rechtmäßigen Vorgänger Dschochar Dudajew und Selimchan Jandarbijew wurde er von russischer Seite ermordet. Was genau sich am 8. März im Dorf Tolstoj-Jurt, 15 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Dschochar (Grosny) ereignete, ist noch unklar. Wahrscheinlich haben Einheiten des Inlandsgeheimdienstes FSB Maschadows dortigen Zufluchtsort bei entfernten Verwandten umstellt, woraufhin der nicht zur Aufgabe bereite Rebellenführer bei der anschließenden Schießerei umkam. Für die freiheitsliebenden Tschetschenen ist das ein tragischer Verlust. Maschadow war in der Zeit nach der ersten postsowjetischen Aggression von 1994/96 als Staatsoberhaupt frei gewählt worden. Seit seiner Flucht in den Untergrund im Jahre 1999 repräsentierte er für alle Welt sichtbar den fortbestehenden Anspruch auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Dabei genoß der 1951 im Verbannungsgebiet seines Volkes in Mittelasien geborene frühere Sowjetoberst große Autorität, wenngleich sein Einfluß in den letzten Jahren zugunsten militant islamistischer Kräfte zurückgegangen sein dürfte. Während diese auf eine immer brutalere Gegenwehr setzen, stand Maschadow für eine Verhandlungslösung und verurteilte Terrorakte aus den „eigenen“ Reihen. Zuletzt ordnete er zu Beginn dieses Jahres eine einseitige vierwöchige Waffenruhe an, deren Einhaltung er sogar gegenüber radikalen Feldkommandeuren wie Schamil Bassajew durchsetzte. Doch der Kreml erteilte allen damit verbundenen Friedensangeboten der sogenannten „Terroristen“ eine Absage. Aslan Maschadow galt als eher zurückhaltend. Schon rein äußerlich war er von anderem Format als sein fanatischer Widersacher Bassajew und die zwielichtigen russischen Marionetten Achmed und Ramsan Kadyrow oder der amtierende moskautreue „Präsident“ Alu Alchanow. Die „Logik“ der Bluttat liegt auf der Hand Die „Logik“ der Bluttat liegt auf der Hand: Moskau will den legitimen Charakter der Ansprüche der Rebellen erschüttern und wünscht sich in ihren Reihen eine Machtergreifung durch islamistische Kämpfer, um die These von einem anti-terroristischen Feldzug glaubhafter erscheinen zu lassen. Wie der gemäß einer Nachfolgeregelung von 2002 zum neuen Führer der Widerstandkämpfer bestimmte Abdul Chalim Saidullajew in diesem Zusammenhang einzuordnen ist, läßt sich schwer sagen. Angeblich ist er ein Vertrauter des toten Präsidenten und soll sich in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku aufhalten. Andererseits war er früher als Vorsitzender des tschetschenischen Scharia-Gerichts tätig, was auf eine gewisse Nähe zu Bassajew hindeuten könnte, der den Mord vom 8. März auf seine Weise kommentierte: „Die Mudschaheddin kommen und gehen. Die für Maschadow gekämpft haben, können sich ausruhen. Für die, die im Namen Gottes gekämpft haben, geht der Dschihad weiter.“ Maschadows Leiche befindet sich noch in den Händen der Aggressionsmacht und soll an unbekannter Stelle begraben werden; die Herausgabe an seine Witwe und die beiden Kinder wird verweigert. Damit soll nicht zuletzt die Entstehung eines Märtyrerkults um den 1997 zum Präsidenten gewählten Führer der „Tschetschenischen Republik Itschkerija“ behindert werden – ein aussichtsloses Unterfangen, denn so wie die russische Besatzungsmacht ihre Stärke im Kaukasus allein aus ihrer materiellen militärischen Überlegenheit schöpft, findet die Rebellion ihre erstaunlichen Kraftquellen vor allem im geistigen Bereich: in der Religion und in allerlei Mythen rund um den mit Unterbrechungen nun schon fast anderthalb Jahrhunderte währenden Freiheitskampf gegen die russischen Invasoren. Bezeichnend ist der Kommentar, den Maschadows Sohn Ansor am Tag nach der Untat der Nachrichtenagentur AP übermittelte: „Unsere Aktionen werden durch den Tod meines Vaters nur stärker. Der Geist unseres Volkes ist unbesiegbar.“ Zwar stimmt es, daß Teile der Rebellenarmee von sehr zweifelhaftem Charakter sind – allen voran der berüchtigte Feldkommandeur Bassajew und die von arabischen Mitkämpfern beeinflußten Anhänger militant-islamischer Ideen -, jedoch vermögen alle terroristischen Tendenzen, finanziellen Hilfen aus den Ölstaaten am Persischen Golf oder Informationen über Drogengeschäfte und massenhafte Entführungen nicht zu erklären, warum es Moskau auch im siebten Jahr des zweiten Tschetschenienkrieges nicht schafft, mit immerhin rund 80.000 Soldaten das kleine Kaukasusland unter Kontrolle zu bringen. Gäbe es nicht den fast geschlossenen Widerstandswillen des tschetschenischen Volkes und eine breite Solidaritätsfront im gesamten Nordkaukasus, so könnte auch das unwegsamste Gebirge die mehreren tausend Freiheitskämpfer in dem Gebiet von der Größe Schleswig-Holsteins auf Dauer nicht schützen. Doch in Wahrheit sind deren Erfolgsaussichten nach wie vor alles andere als schlecht. Die Tschetschenen haben einen langen Atem Die Tschetschenen haben einen langen Atem und werden notfalls jahrzehntelang weiterkämpfen. Ihre nach Hunderttausenden zählenden Opfer aus den letzten anderthalb Jahrzehnten nähren nur ihren Haß auf die Besatzungsmacht, während die bis zu 15.000 allein im zweiten Tschetschenienkrieg gefallenen russischen Soldaten die Belastbarkeit der dortigen Öffentlichkeit auf eine harte Probe stellen. Zudem weist auch die Demographie langfristig eindeutig auf einen Sieg der Rebellen hin (die nordkaukasischen Völker weisen das mit Abstand höchste Bevölkerungswachstum in der Russischen Föderation auf). Man kann es psychologisch verstehen, warum sich viele Russen nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts an die alten Eroberungen des russischen Imperialismus festklammern und nicht zurückweichen wollen. Klug ist das allerdings nicht. Denn auf lange Sicht wird Moskau nur jene Landstriche halten können, in denen Russen die klare Bevölkerungsmehrheit stellen. Der letzte maßgebliche russische Politiker, der dieses Weitsicht hatte, war General Lebed, der Architekt des letzten Friedensvertrages mit Tschetschenien. Doch Lebed ist ebenso tot wie Maschadow – und mit ihnen die Aussicht auf baldigen Frieden im Kaukasus.