Solche Schlagzeilen liest Silvio Berlusconi nicht gerne über sich. Der italienische Ministerpräsident habe sich die Augen liften lassen, plauderte dessen Leibarzt Umberto Scampagnini vor einigen Tagen aus dem Nähkästchen. Und der 67jährige Frontmann der Mitte-Rechts-Regierung Casa delle Libertà („Haus der Freiheiten“) hat eine Schönheitskorrektur auch bitter nötig. Der erfolgsverwöhnte Strahlemann mußte vor rund zwei Wochen wohl die bitterste Niederlage seiner bisherigen politischen Laufbahn hinnehmen. Da kassierte nämlich letzte Woche das Verfassungsgericht in Rom das umstrittene Immunitätsgesetz, welches eigens für Berlusconi maßgeschneidert war. Dies sollte den Vorsitzenden der rechtsliberalen Regierungspartei Forza Italia (FI) vor einer Prozeßlawine sichern, die sich mit dubiosen Transaktionen seiner 1978 gegründeten Holding Fininvest, aber auch mit Bestechungsvorwürfen gegen den früheren Bau- und späteren Medienunternehmer Berlusconi beschäftigt. Der Premier ging unmittelbar nach der Aufhebung seiner Immunität in die Offensive, beteuerte seine Unschuld und drohte mit Neuwahlen. Gleichzeitig mit den im Juni anstehenden Europawahlen wollte Berlusconi die Italiener zu den Urnen bitten, berichtet die auflagenstarke Tageszeitung Il Tempo. Doch diese Pläne sind mittlerweile vom Tisch. Allen voran gingen Umberto Bossi von der Lega Nord (siehe JF 30/03) und Vizepremier Gianfranco Fini, von internen Streitigkeiten genervter Chef der rechten Alleanza Nazionale (AN, siehe JF 52/03-1/04), auf die Barrikaden. Berlusconis wichtigste Koalitionspartner fürchteten in der aufgeheizten Atmosphäre den Machtverlust. Aber auch die im Ausland als Berlusconi-kritisch geltenden mitregierenden Christdemokraten von Parlamentspräsident Pier Casini und Europaminister Rocco Buttiglione haben derzeit andere Sorgen – wird ihre Partei doch im Zusammenhang mit dem milliardenschweren Parmalat-Skandal genannt. Doch die anstehende Neuauflage der Prozesse wegen Meineid, Bilanzfälschung und Bestechung lassen den „Medienzaren“ offenbar kalt. Berlusconi sei „absolut desinteressiert an seinen Prozessen“, sagte sein Anwalt Niccolò Ghedini gelassen, nur Stunden nachdem das neue Immunitätsgesetz per Verfassungsentscheid gekippt war. Justizexperten rechnen damit, daß der ausgesetzte Prozeß in etwa zwei Monaten wieder anläuft. Für seinen Mandanten stünden die Aussichten gut, meinte Ghedini. Insgesamt könnten vier Verfahren wieder aufgerollt werden. Politische Kommentatoren sehen das Land damit vor einer Zerreißprobe. Zum einen könne sich Berlusconi wieder einmal als Opfer der „von Linken unterwanderten“ Justiz darstellen. Zum anderen lasse die Aussicht auf Verjährung des Prozesses um den Verkauf des Lebensmittelkonzerns SME und die Abschaffung des Delikts der Bilanzfälschung Berlusconi gelassen in die Zukunft blicken. Innerhalb der nächsten zwei Monate wird vor allem der Prozeß um SME von der Staatsholding IRI gegen den Nudelhersteller Buitoni aufgerollt. Die Staatsanwälte werfen dem Ministerpräsidenten vor, in den achtziger Jahren die Richter bestochen zu haben, die den Verkauf an seinen Konkurrenten Carlo De Benedetti für unrechtmäßig erklärten. Zudem soll Berlusconis Fininvest über den ehemaligen Verteidigungsminister Cesare Previti, dem Hauptrichter des Vorverfahrens im damaligen Prozeß 434.000 Dollar gezahlt haben. Im gleichen Prozeß steht Berlusconi wegen Bilanzfälschung unter Anklage. Auch hier muß er wohl keine Strafe befürchten. Möglicherweise zieht sich das Verfahren so in die Länge, daß es verjährt. Für den Mailänder SME-Prozeß muß ein neues Richterkollegium bestellt werden, das frühestens in zwei Monaten die erste Verhandlung ansetzen wird. Die bisherigen Richter erklärten sich als „inkompatibel“, da sie im gleichen Prozeß über den Mitangeklagten Previti bereits Urteile gefällt haben. Anders als von der Opposition befürchtet, wird das Verfahren zwar nicht völlig neu aufgerollt werden. Anklage und Verteidigung steht es aber frei, weitere Zeugen zu benennen. Das könnte das Verfahren verzögern. Fraglich ist zudem, inwieweit Berlusconi Termine als Regierungschef zur Blockade der Verhandlungen benutzen wird. Im Jahr 2007 läuft die Verjährungsfrist ab. Vorwürfen der Opposition, die Prozeßdauer ausweiten zu wollen, entgegnet Berlusconi-Anwalt Ghedini forsch, er hoffe auf ein Urteil bis zum Sommer. Ebenso wie sein Mandant verurteilt der Jurist den Jubel der Links-Opposition Ulivo über den Verfassungsentscheid zum Immunitätsgesetz, das neben Regierungschef Berlusconi und Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi auch die Präsidenten der beiden Parlamentskammern sowie des Verfassungsgerichts schützen sollte. Die Freude der Opposition beweise, daß der Streit um Immunität kein rechtlicher, sondern ein politischer sei. Als eine Alternative erörtert das Regierungslager bereits die Möglichkeit einer raschen Verfassungsänderung. Dabei benötige man aber auch Oppositionsstimmen. Diese hatte das gekippte Gesetz zwar stets als „Lex Berlusconi“ verurteilt, eine Immunitätsregelung für Politiker und Parlamentarier aber nicht grundsätzlich abgelehnt. Zugleich fürchteten Kabinettsmitglieder, daß der Spruch der Verfassungsrichter die Spannungen zwischen Regierung und Justiz neu entfacht. „Ich fürchte, daß der Konflikt noch härter wird“, sagte Justizminister Roberto Castelli (Lega Nord). Berlusconi meint seit Jahren, daß „linke Richter und Staatsanwälte“ ihn politisch verfolgten und sein Kabinett stürzen wollten. Einer seiner Anwälte nannte den Spruch der Verfassungsrichter ein „politisches Urteil“. Es handele sich um „einen Schlag ins Gesicht des Parlaments“. Dies wies der Ehrenpräsident des Verfassungsgerichts, Leopoldo Elia, empört zurück: „Wir stehen über dem politischen Gezänk.“ Und davon gibt es in Italien derzeit reichlich. Die spektakuläre Pleite des norditalienischen Milchkonzerns Parmalat riß die vereinigte Linke zu Jubelstürmen hin. Der mittlerweile inhaftierte Ex-Firmenboß Calisto Tanzi habe Berlusconis Wahlkampagne im Jahre 2001 finanziert. Dies stimmt zweifelsohne. Doch fünf Jahre zuvor griff der Multimillionär Tanzi schon einmal tief in die Tasche. Damals hieß sein Günstling Romano Prodi. Der wurde 1996 Premier des Links-Lagers Ulivo und ist seit 1999 EU-Kommissionspräsident.