Die Debatte um Integration, Leitkultur und Patriotismus war in der vergangenen Woche Thema im Bundestag. Wie schon in den Medien lieferten sich auch hier Politiker aus der Regierungskoalition und der Opposition einen teilweise heftigen Schlagabtausch. Ausgangspunkt waren der Antrag „Politischen Islamismus bekämpfen – Verfassungstreue Muslime unterstützen“ der CDU/CSU-Fraktion, der Antrag „Zusammenleben auf der Basis gemeinsamer Grundwerte“ von SPD und Bündnis90/ Die Grünen sowie ein Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel „Kulturelle Vielfalt – Universelle Werte – Neue Wege zu einer rationalen Integrationspolitik“. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Wolfgang Bosbach, unterstrich die Bedeutung einer verbindlich gültigen „freiheitlichen demokratischen Leitkultur“ und forderte „mehr Integration einerseits und mehr Entschlossenheit gegen jede Form von Extremismus andererseits“. In der Aussprache entzündete sich der Streit in erster Linie an der Unklarheit, was mit der „freiheitlichen demokratischen Leitkultur“ gemeint ist. Vertreter von SPD und Grünen wiesen darauf hin, daß auch in ihren Positionen zur Integration die Anerkennung der verfassungsmäßigen Ordnung und der Gesetze Bestandteil sei. Roth wirft der Union Stimmungsmache vor Wenn, so fragte der SPD-Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering, „Leitkultur“ nichts anderes bedeute als die im Grundgesetz festgeschriebene freiheitliche demokratische Grundordnung, was sei dann unter den von den Zuwanderern zu erlernenden „kulturellen Grundvorstellungen“ zu verstehen, wie sie der Unionsantrag fordere? Die Grünen-Chefin Claudia Roth warf der Union vor, durch den Begriff „Leitkultur“ wolle sie nicht integrieren, sondern „hierarchisieren“, obwohl sie „das Wörtchen ‚deutsch‘ gestrichen“ hätte. Sie warf der Union Stimmungsmache vor und forderte, die „multikulturelle Gesellschaft“ als Realität anzuerkennen. Das notwendige Fundament für das friedliche Miteinander verschiedener Kulturen, so Roth, „das ist das Grundgesetz, das ist unsere Verfassung, das sind die universellen Menschenrechte, das ist unsere Demokratie“. In diesem Sinn – „aber nur in diesem“ – sei sie „gerne Verfassungspatriotin“. Der CDU-Abgeordnete Eckart von Klaeden erläuterte, für seine Partei gehöre zur freiheitlich-demokratischen Leitkultur in Deutschland „auch das geschichtliche Erbe und die Verantwortung aus der Geschichte, zum Beispiel die besondere Verantwortung unseres Landes gegenüber Israel, obwohl davon kein Wort im Grundgesetz steht“. Seiner Meinung nach müsse jeder, der in Deutschland dauerhaft leben möchte, diese „besondere Verantwortung akzeptieren“. Unter Anspielung auf die „Patriotismus-Debatte“ der Unionsparteien gab Müntefering zu Protokoll, die Sozialdemokraten müßten sich „von den anderen keinen fehlenden Patriotismus vorwerfen lassen“. Dagegen plädierte der CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung mit Blick auf führende Repräsentanten der Bundesregierung für eine „Überwindung des ’68er-Systems“. Durch dieses sei „mit der Bekämpfung des Nationalismus … zugleich die Liebe zum Vaterland unter Rechtsradikalismus-Verdacht gestellt“ worden. Der Christdemokrat, der Anfang der neunziger Jahre noch in seiner polemischen Schrift „Deutschland driftet“ gegen jene Konservativen zu Felde zog, die eine deutsche „selbstbewußte Nation“ forderten, meint nun, Vaterlandsliebe müsse mehr sein als „Verfassungspatriotismus“. Unterdessen beschloß die CDU auf ihrem Parteitag das Festhalten am Begriff der Leitkultur. „Wer unsere Wertordnung – unsere freiheitliche demokratische Leitkultur – ablehnt oder sie gar verhöhnt und bekämpft, für den ist in unserem Land kein Platz“, heißt es in dem Antrag. In seiner Vorstellung des Antrags hatte der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Jürgen Rüttgers den Begriff „Leitkultur“ als „Anerkennung der Werteordnung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten“ beschrieben. Während im Vorfeld des Bundesparteitages in einigen Presseberichten von innerparteilichen Vorbehalten gegen den Begriff „Leitkultur“ die Rede war, blieben solche Kritiken während der Treffens weitgehend aus.