Der Höhenflug, an dem sich die CDU bis zur Europawahl im Mai erfreute, ist beendet. Die Landtags- und Kommunalwahlen dieses Herbstes haben auch der CDU Rückschläge beschert. Die SPD hat sich auf niedrigem Niveau stabilisiert, vereinzelt sogar Terrain zurückerobert. Wichtiger als Wahlergebnisse ist aber, daß in der SPD ein Stimmungsumschwung eingetreten ist. Die Fußtruppen konnten von den Machern wieder etwas besser mobilisiert werden, was allgemein auf den Wechsel von Schröder zu Müntefering im SPD-Vorsitz zurückgeführt wird. Ein Instrument dazu waren Bezirkskonferenzen, auf denen vor allem der neue SPD-Vorsitzende dem Kanzler den Rücken stärkte, unerschütterlich zu Schröders Agenda 2010 stand und die Genossen mit der Drohkeule auf seine Seite zog, daß unter einer schwarzen Regierung nur noch brutalere Folterwerkzeuge zur Anwendung kämen. Das hat die Union insgesamt, aber insbesondere die CDU-Vorsitzende Merkel, außer Tritt gebracht. Schon während der Sommerpause, als die besagten Wahlkämpfe „tobten“, war von ihr nicht viel zu hören. Dafür um so mehr Widersprüchliches von den regionalen Matadoren, die ihre Berliner Oberen für die Zustimmungen zu Schröders „Einschnitten“ kritisierten. Dabei wurde deutlich, daß ein wesentlicher Pferdefuß der Union ist, daß sie über kein Gegenkonzept zur Regierungspolitik verfügt. Zumindest über keines, das erkennbar und der Öffentlichkeit vermittelbar ist. Inzwischen ist dieses Dilemma von Tag zu Tag deutlicher geworden. Nun versucht Merkel die Scharte wieder auszuwetzen. Dabei bringt sie die CDU auch taktisch wieder ein Stückchen näher an die SPD heran. Was sich bei den Sozialdemokraten „Bezirkskonferenzen“ nannte, holt Merkel jetzt nach dem gleichen Schema mit „Regionalkonferenzen“ nach. Die erste fand am Donnerstag vor einer Woche im westfälischen Hamm statt, die zweite an diesem Montag im württembergischen Sindelfingen. Es sieht nicht so aus, als würde das die CDU und vor allem ihre Vorsitzende aus der Bredouille herausbringen. Während die SPD, über deren „Kanzler-Agenda“ man denken mag, wie man will, damit aber wenigstens ein Konzept hat, tritt Merkel mit unausgegorenen (und vor allem zwischen CDU und CSU höchst strittigen) Vor-Entwürfen vor ihr Publikum. So müht sie sich denn mit all ihrem rhetorischen Können, den lieben Parteifreunden das komplizierte Zahlengestrüpp von Gesundheitsprämie und Kopfpauschale zu verdeutlichen, dazu Überlegungen zu Steuersystem, Kündigungsschutz, Abbau von Bürokratie und anderem, worüber seit Jahren in Deutschland geredet und geschrieben wird. Hinzu kam nun auch noch das Thema Türkei mit dem Vorschlag einer Unterschriftensammlung, ähnlich wie sie Roland Koch 1999 in Hessen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft initiiert und damit für die CDU die Landtagswahlen gewonnen hatte. Über all diesen Auch-Themen geriet der Unionsfraktionsvorsitzenden offensichtlich völlig aus den Augen, daß die Regierung Verfassungsbruch begeht. Der von ihr beschlossene Nachtragshaushalt sieht höhere Schulden als Investitionen vor, was Artikel 115 des Grundgesetzes eindeutig untersagt. Aber wie im Falle des Lebens- und Eigentumsrechts scheint unserem heutigen politischen Establishment die Verfassung kaum noch beachtenswert.
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