Einst galt er als Kronprinz für den Fall, daß Kanzler Gerhard Schröder das Handtuch schmeißen oder wegen anhaltendem Mißerfolgs zum Rücktritt gezwungen würde. Seit Peter Struck vom Krankenlager aufgestanden ist und seinen Dienst als Verteidigungsminister wieder aufgenommen hat, ist von der Kronprinzenrolle keine Rede mehr. Die Gründe liegen nicht nur in dem Schlaganfall, den der 61jährige Struck erlitten hat. Mißmanagement und Fehleinschätzungen ließen den Stern des bis zum Frühsommer erfolgreichsten Ministers im rot-grünen Bundeskabinett sinken. Auslöser der Wandlung des Peter Struck vom Kronprinzen zur lahmen Ente in Schröders Kabinett war das Informationsmanagement des Verteidigungsministeriums nach Strucks Erkrankung Anfang Juni. Das Ministerium verbreitete wochenlang die Legende, Struck habe einen „Schwächeanfall“ erlitten, von dem er sich erholen müsse. Dabei weiß jeder medizinische Laie, daß ein Patient mit einem Schwächeanfall nicht wochenlang bettlägerig ist. Die Wahrheit gab Struck erst nach seiner Rückkehr nach Berlin bekannt und sagte inzwischen auch, es sei seine persönliche Entscheidung gewesen, den Schlaganfall zu verheimlichen. Wochenlange Spekulationen bekamen neue Nahrung In der Zwischenzeit bewahrheitet sich der alte Grundsatz, daß die Mäuse auf dem Tisch tanzen, wenn die Katze nicht im Haus ist. Beamte des Verteidigungsministeriums spielten Informationen an die Öffentlichkeit, daß die von der Privatisierungsgesellschaft Gebb genannten Einsparerfolge von 300 Millionen Euro nicht nachvollziehbar seien. Bei den Haushaltsverhandlungen über den Bundeswehretat kamen Strucks Staatssekretäre nicht voran, sondern blieben etwa beim Betrag des laufenden Haushaltsjahres von knapp 24 Milliarden Euro stecken. Zu wenig, wie nicht nur die Opposition in der Haushaltsdebatte fand. Mit diesem Verteidigungsetat würde Deutschland heute nicht mehr in die Nato aufgenommen werden. Die wochenlangen Spekulationen um Struck bekamen durch Indiskretionen aus dem Ministerium immer neue Nahrung. Mal hieß es, der Minister sei so krank, daß er gar nicht wiederkommen werde, mal schrieben Zeitungen, Struck wolle nur noch die letzte Stufe seiner Bundeswehrreform, die Standortschließungen, durchziehen und sich dann aus dem Amt verabschieden. Für die letztere Variante spricht zumindest einiges, denn wer den Minister seit seiner Rückkehr ins Amt gesehen hat, sah einen gebrochenen Mann vor sich. Bei allen Kabinettsumbildungsspekulationen während der politischen Sommerpause, die den politischen Betrieb traditionell erfreuen, kam der Name Struck nicht mehr vor. Wenn es in letzter Zeit um Struck ging, dann war eher von Pannen die Rede. So kamen die März-Unruhen im Kosovo mit einem halben Jahr Verspätung überraschend doch noch auf die Tagesordnung in Berlin. Struck hatte nach den Unruhen davon gesprochen, es sei dank der Umsicht der deutschen Soldaten, die im Rahmen des KFOR-Mandates im Kosovo tätig sind, gelungen, Todesopfer zu verhindern. Das war nur zum Teil richtig. Die Bundeswehr-Soldaten hatten im März die Flucht vor albanischen Demonstranten antreten müssen. Dabei retteten sie etliche Serben vor dem wütenden Mob. Verhindern konnten sie die Angriffe nicht. Ausgerüstet mit der üblichen Bewaffnung wie Maschinenpistolen hätten sie in die Menge schießen müssen. Die Demonstranten hatten Frauen und Kinder in die ersten Reihen gestellt. Verstärkung gab es auch nicht, weil die Zufahrtswege zum deutschen Stützpunkt blockiert waren. Nach den Unruhen hatten deutsche Soldaten in einer von Albanern niedergebrannten Priesterschule eine verbrannte Leiche entdeckt. Bei dem Toten soll es sich um einen etwa sechzig Jahre alten Serben gehandelt haben. Der Vorfall soll an das Einsatzführungskommando in Potsdam gemeldet worden sein. Die Information verschwand aber dann im Nebel des Ministeriums. Als der Leichenfund bekanntwurde, stand Struck ebenso blamiert da wie einige deutsche Abgeordnete, die im Mai das Kosovo besucht und von dem Leichenfund erfahren hatten, aber nicht in der Lage waren, diese Information richtig einzuordnen. Es bedurfte offenbar erst dieses Todesfalls, um in Berlin wenigstens eine kleine Debatte über die Zukunft dieses Besatzungsgebietes zu eröffnen. Die militärischen und politischen Aktionen der westlichen Besatzungsmächte in der serbischen Provinz dürfen als gescheitert angesehen werden. Der Versuch, mit dem Militär Standards wie Sicherheit, Einhaltung der Menschenrechte und Minderheitenschutz durchzusetzen, schlug fehl, wie die März-Unruhen gezeigt haben. Diese Standards werden als Voraussetzung für die Klärung der völkerrechtlichen Statusfragen gesehen. Damit rückt eine Entscheidung über die Zukunft der Provinz in weite Ferne, auch wenn Struck meint, Außenminister Joschka Fischer sehe das Prinzip Standards vor Status nicht mehr so dogmatisch. Doch Fischer wird sich den Mißerfolg des Kosovo-Einsatzes nicht ans Bein binden lassen. Die Sache bleibt bei Struck kleben. Rüstungsprojekte kommen nicht voran Weitgehend übersehen wird auch, daß wichtige Rüstungsprojekte nicht vorankommen. Struck hatte noch im Frühsommer verlangt, daß es für die zweite Tranche des Kampfflugzeuges Eurofighter möglichst bald zu einer Entscheidung kommen müsse. Der Haushaltsausschuß des Bundestages versagte ihm die Gefolgschaft. Die Entscheidung hängt bis heute in der Luft. Inzwischen läuft ein weiteres Projekt aus dem Ruder. Beim Schützenpanzer „Puma“ ist von Kostensteigerungen bis zu achtzig Prozent die Rede. Allein die Eurofighter-Kosten sprengen in den nächsten Jahren den Verteidigungsetat, dessen Erhöhung Strucks Staatssekretäre nicht durchsetzen konnten. In Berlin fragen sich selbst politische Freunde von Struck, wie lange er das noch alles durchhalten kann. Seine Absicht, im Rahmen der Bundeswehr-Verkleinerung auf nur noch 252.000 Soldaten einhundert Kasernen zu schließen, dürfte ihm langanhaltenden Ärger mit mehreren hundert Wahlkreisabgeordneten einbringen, die um Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft in ihrer Heimat fürchten. Aber Peter Struck will noch einmal den starken Mann spielen: Für den 26. September kündigte er eine Tagesreise nach Afghanistan an. Selbst für kerngesunde Menschen gilt dieser Trip als Tortur.
- Gesellschaft