Die Anschläge von Madrid haben zu den erwarteten Reaktionen geführt. Vertreter aller Parteien überbieten sich gegenseitig in ihren Rufen nach einer schärferen Gangart in Sachen Innerer Sicherheit. Kein Wunder, daß auch eine bundesdeutsche Besonderheit wieder im Mittelpunkt der Überlegungen steht. Aus allen politischen Lagern wurden in den vergangenen Tagen Rufe nach einer Neuordnung der Geheimdienststruktur laut. Unter dem Eindruck des blutigen Massakers in der spanischen Hauptstadt steigen die Chancen für eine seit langem ins Auge gefaßte Reform der Verfassungsschutzämter. Bisher sind Einsatz und Koordinierung der Schlapphüte Ländersache. Dies führte beispielsweise beim geplatzten NPD-Verbotsverfahren zu peinlichen Pannen. Frei nach dem Motto, daß die Linke nicht weiß, was die Rechte tut, wurschteln V-Männer nebeneinander her. Werden beispielsweise Anzeichen für eine terroristische Aktivität in Hannover festgestellt, so erlischt das Interesse des niedersächsischen Landesamtes, wenn sich der Gefahrenschwerpunkt ein Bundesland weiter verschiebt. Eine Meldung an die Kollegen sollte zwar die Regel sein, doch die Vergangenheit zeigt einen eklatanten Mangel. „Diese Kleinstaaterei ist nicht dazu geeignet, um Terror-Anschläge schon im frühen Stadium zu verhindern“, glaubt Jürgen Rüttgers. So will der nordrhein-westfälische CDU-Landeschef die Landesämter für Verfassungsschutz abschaffen. Künftig solle es demnach nur noch ein Bundesamt für Verfassungsschutz mit nachgeordneten Länderdependancen geben. In dem mit CDU-Experten im Bund und einigen Ländern abgestimmten Rüttgers-Papier wird auch eine Zusammenlegung von Bundeskriminalamt, Bundesgrenzschutz und Zoll zu einer einheitlichen Bundespolizei gefordert. Bei der SPD melden sich Bedenkenträger zu Wort Die neue Superbehörde solle unter anderem für Terrorismusbekämpfung und Organisierte Kriminalität zuständig sein. Auch die Grünen wollen das Bundesamt für Verfassungsschutz stärken. „Bei Terrorismus und überregionalem Extremismus sollte die Kompetenz auf Bundesebene liegen. Man könnte auf die eigenständigen Landesämter auch verzichten“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck. Doch mit diesen Aussagen könnte der rot-grüne Koalitionsfrieden gestört werden. Denn in der SPD melden sich Bedenkenträger zu Wort: „Wir haben in Deutschland eine bewährte Sicherheitsarchitektur“, warnte Innenexperte Dieter Wiefelspütz. Der für die Geheimdienste zuständige Staatssekretär im Kanzleramt, Frank-Walter Steinmeier, begrüßte die Überlegungen zu einer Neuorganisation des Verfassungsschutzes grundsätzlich: „Wenn es bei den Ländern Bereitschaft gibt, Kompetenzen beim Verfassungsschutz abzugeben, ist das ein diskutabler Vorschlag. Es gibt mehr Offenheit als früher bei der Frage, ob die Landesverfassungsschutzämter kleinerer Länder neue Formen von Kooperation finden können.“ Doch die Vertreter der großen Bundesländer winken ab. So wurde diese Idee beispielsweise vom bayerischen Innenminister Günther Beckstein und seinem NRW-Kollegen Fritz Behrens verworfen. „Wir lehnen es strikt ab, die Landesämter zu zentralisieren“, sagte Behrens. „Wir haben als größtes Bundesland einen leistungsfähigen Verfassungsschutz. Es sollte bei der grundgesetzlichen Aufteilung bleiben.“ Eine zentrale Bundesbehörde bedeute nicht automatisch eine Verbesserung. Ein Ministeriumssprecher sagte, amerikanische Erfahrungen mit der CIA hätten gezeigt, daß zu große Behörden möglicherweise vorhandene Informationen gar nicht mehr auswerten könnten. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hält eine Fusion des Berliner Verfassungsschutzes mit den Behörden anderer Länder dagegen für möglich. Sitz einer Regionalbehörde könne allerdings nur Berlin sein, sagte Körting dem Berliner Tagesspiegel. Die Stadt sei als Sitz der Bundesregierung in besonderem Maße von extremistischen Aktivitäten und Spionage betroffen. Auch das in Köln ansässige Bundesamt für Verfassungsschutz gehöre nach Berlin, um die Bundesregierung direkt und schneller beraten zu können. Anstoß nahm Körting auch an den Plänen von NRW-CDU-Chef Rüttgers. Die CDU habe „lautstark aufgeschrien“, als Bundesinnenminister Schily (SPD) die Verlegung der Abteilung Staatsschutz des Bundeskriminalamts aus dem rheinischen Meckenheim nach Berlin ankündigte. Doch beim Verfassungsschutz entdecke die CDU „ihr Herz für die Zentralisierung“, sagte Körting. Bislang haben alle Länder eigene Kommissionen Für eine Fusion mehrerer Landesbehörden sprach sich auch Baden-Württembergs Verfassungsschutzpräsident Helmut Rannacher aus: „Eine Zahl von 16 minus x wäre sicherlich effektiver.“
Bevor es zu regionalen Fusionen kommen könnte, wäre zu klären, wer die parlamentarische Kontrolle über eine Mehr-Länder-Behörde ausübt. Bislang hat jedes Landesparlament eine eigene Kommission. Vermutlich müßten die an einer Fusion beteiligten Länder Staatsverträge abschließen. Das gilt auch für die G-10-Kommissionen. Diese Parlamentsgremien entscheiden in jedem Einzelfall, ob ein Nachrichtendienst Telefon und sonstigen Postverkehr überwachen darf. Der Fusionsidee stehen nicht nur Sicherheitsexperten in Berlin und Baden-Württemberg, sondern auch in Brandenburg, Bremen und Niedersachsen aufgeschlossen oder zumindest nicht prinzipiell ablehnend gegenüber. Der Chef des Hamburger Verfassungsschutzes, Heino Vahldieck, empfahl hingegen, einzelne Länderbehörden könnten arbeitsteilig Schwerpunkte setzen. „Es ist jetzt nicht die Zeit, sich mit Eitelkeiten und dem reinen Auswechseln von Türschildern zu beschäftigen“, sagte der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU). Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Gottfried Timm (SPD) sagte dagegen, man habe „mit der dezentralen Verteilung der Verfassungsschutzbehörden in den Ländern bislang gute Erfahrungen gemacht“. Eine Abschaffung dieser Behörden sei nicht die richtige Antwort auf bestehende Defizite beim Informations- und Datenaustausch. Ein Sprecher des rheinland- pfälzischen Innenministers Walter Zuber (SPD) bezeichnete die derzeitige Debatte als „nicht besonders fruchtbar“. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) verwies zur Begründung seines Festhaltens an dezentralen Strukturen auf die Orts-, Sach- und Personenkenntnis der Verfassungsschützer am Ort. Sein schleswig-holsteinischer Amtskollege Klaus Buß (SPD) warnte, eine „Mammutbehörde“ des Bundes wäre weniger effizient und schlagkräftig.