In Berlin ist derzeit ein seltenes Schauspiel zu beobachten: SPD, PDS und Grüne haben die Deutungshoheit über die Geschichte verloren. Jedenfalls über einen kleinen, aber für die Hauptstadt nicht zu überschätzenden Teil. In der Frage, wo und in welcher Form an die Mauer und deren Opfer erinnert werden soll, gibt seit November Alexandra Hildebrandt, die Leiterin des Mauermuseums am Checkpoint Charlie, mit ihrem eindrucksvollen Mauermahnmal den Ton an (JF 46/04): unüberhörbar und mit einem vielstimmigen Echo. Anders als bei fast allen Gedenkprojekten der vergangenen Jahre und Jahrzehnte sieht sich die Linke plötzlich in die Defensive gedrängt. Dem rot-roten Senat fällt wenig Konstruktives ein, was er dem Mahnmal aus zahlreichen originalen Mauersegmenten und mittlerweile 1.067 Holzkreuzen entgegensetzen kann. In der PDS bemüht man sich nicht einmal darum, die Ablehnung des ungeliebten Bauwerkes zu verschleiern. So hat sich Kultursenator Thomas Flierl (PDS) eindeutig gegen das Mahnmal ausgesprochen und bereits angekündigt, rechtlich dagegen vorzugehen. Ihm passe die „historisch falsche Verkleidung“ des gesamten Ortes nicht, ließ er auf eine Anfrage der CDU im Abgeordnetenhaus wissen. Auch die Berliner Sozialdemokraten konnten sich bislang nicht zu einem Bekenntnis zu Hildebrandts Projekt durchringen. Während sich die zuständige Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) darum bemüht, daß das Mahnmal pünktlich und planmäßig Ende des Jahres wieder aus dem Stadtbild verschwindet, äußern sich ihre Parteigenossen zumeist undeutlicher, aber in der Sache genauso bestimmt. Fieberhaft werden der Öffentlichkeit von Hildebrandts Gegnern immer neue Vorschläge für eine Mauergedenkstätte präsentiert, die an die Stelle des ungeliebten und vor allem unbequemen Selbstbau-Mahnmals treten soll. Brandenburger Tor als Alternative vorgeschlagen Während der Direktor des Deutschen Historischen Museums im Zeughaus, Hans Ottomeyer, in den kleinen Nebengebäuden des Brandenburger Tors an die Mauertoten erinnern will, spricht der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) vage von einem „Geschichtspfad“, der an die Stelle eines zentralen Mahnmals für die 1067 Toten von Mauer und Schießbefehl treten solle. Ein Pfad wohlgemerkt – kein Weg, und schon gar keine Straße. In einer Forsa-Umfrage für die Berliner Zeitung, die seit Wochen gegen das Mahnmal Front macht, sprachen sich in der vergangenen Woche 73 Prozent der befragten Berliner gegen eine neue Gedenkstätte aus – egal, ob nun ein Pfad oder ein Mahnmal in Hildebrandtschen Ausmaßen. Ihnen reicht offensichtlich die bisherige Gedenkstätte an der Bernauer Straße und einige kleinere Denkmäler, die über die ganze Stadt verteilt sind. Allerdings ist der Grad der Ablehnung offensichtlich eine Frage des Alters: Während sich nur 18 Prozent der über 60jährigen für eine zusätzliche Mauergedenkstätte aussprechen, sind es bei den Berlinern, die jünger als 30 Jahre sind, immerhin 39 Prozent. Von den politischen Widerständen weitgehend unbeeindruckt, arbeitet Alexandra Hildebrandt unermüdlich daran, aus dem derzeit noch zeitlich befristeten Mahnmal eine dauerhafte Einrichtung zu machen. Doch auch hier muß sie allerlei Klippen umschiffen. Die Eigentumsverhältnisse der beiden Grundstücke, auf denen das Mahnmal errichtet worden ist und die lediglich durch eine Straße voneinander getrennt sind, waren lange Zeit ungeklärt. Ursprünglich hieß es, die Flächen seien im Besitz der Berliner Volksbank, nachdem eine Investitionsgesellschaft, die an dieser Stelle zwei Bürogebäude errichten wollte, die Segel streichen mußte. Mittlerweile hat sich allerdings herausgestellt, daß die Bankaktiengesellschaft Hamm über die Grundstücke verfügt. Doch bislang kam nach Angaben Hildebrandts trotz aller Bemühungen noch kein Gespräch mit Vertretern der Bank zustande. Der Streit hat die Bundespolitik erreicht Dabei drängt die Zeit. Der Pachtvertrag, den Hildebrandt vor dem Bau abgeschlossen hatte, läuft nur noch bis zum 31. Dezember. Danach ist nach jetzigem Stand Schluß für die „Kunstinstallation“, wie das Mahnmal im offiziellen Sprachgebrauch genannt wird. Hildebrandt bemüht sich um eine Verlängerung des Pachtvertrages bis Ende 2005 – im Anschluß will sie die Grundstücke nach Möglichkeit ganz kaufen. Zu der Frage, wie sie den Kauf des lukrativen Baugrundstückes in der Mitte Berlins finanzieren will, wollte sie sich gegenüber der JUNGEN FREIHEIT nicht äußern. „Es gibt aber Sponsoren und Spender“, sagte sie. Schon zum jetzigen Zeitpunkt ist der Finanzbedarf für die private Gedenkinitiative beträchtlich. So müssen nach Angaben der Museumsleiterin für die Grundstücke monatlich 14.500 Euro Pacht an die Bank gezahlt werden. Mittlerweile hat der Berliner Mahnmalstreit auch die Bundespolitik erreicht. Anfang Dezember wird sich voraussichtlich der Bundestag mit dem in Berlin kontrovers diskutierten Thema beschäftigen. Die Abgeordneten Carl Ludwig Thiele (FDP), Stephan Hilsberg (SPD), Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne) und Werner Kuhn (CDU) haben einen fraktionsübergreifenden Antrag initiiert, der sich für einen „zentralen Ort des Erinnerns an die Berliner Mauer“ einsetzt. Innerhalb kürzester Zeit haben über 100 weitere Abgeordnete des Bundestages den Antrag unterschrieben, nach dem sich der Bund und die Hauptstadt bis zum 13. August 2005 auf ein „Rahmenkonzept zur Dokumentation und Erinnerung“ einigen sollen. Zumindest die Initiatoren des Antrages denken bei dem von ihnen befürworteten „zentralen Erinnerungsort“ offenbar nicht an den Checkpoint Charlie und das bestehende Mauermahnmal von Hildebrandt. „Die haben uns im Vorfeld nicht einmal zu einem Gespräch eingeladen“, beklagt sich Hildebrandt. Foto: Umstrittene Gedenkstätte für Maueropfer in Berlin-Mitte: Pachtvertrag für das Grundstück läuft aus
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