Veröffentlichungen soeben gestürzter Spitzenpolitiker sorgen oft schon vorher für helle Aufregung unter den Betroffenen. Zugeben mag dies natürlich niemand. So behauptete Franz Müntefering 1999, Oskar Lafontaines Buch „Das Herz schlägt links“ nicht gelesen zu haben. Vergangene Woche erklärten Cornelia Pieper und Guido Westerwelle unisono und gleichermaßen unglaubwürdig, sie würden keinen Blick in Jürgen Möllemanns Buch „Klartext“ werfen. Seit seinem Fall als FDP-Frontmann drohte Möllemann seiner Partei direkt und indirekt mit der Gründung einer Konkurrenzorganisation. Eines der Kapitel seines neuen Buches ist mit der Überschrift „FDP ade“ versehen. Und auch aus dem Kreis seiner engsten Vertrauten sickern immer wieder Anspielungen auf eine Parteineugründung durch. Als treibende Kraft gilt der ehemalige FDP-Bundesgeschäftsführer Fritz Goergen, der der Partei längst den Rücken gekehrt hat. Die Anstrengungen des Deutsch-Syrers Jamal Karsli, der ebenfalls bemüht ist, Möllemann für eine neue, eher linksliberale Partei zu gewinnen, spielen dagegen eine untergeordnete Rolle. Das Buch, das am Donnerstag in München veröffentlicht werden soll, dürfte den metertiefen Graben zwischen Möllemann und der Partei noch weiter aufreißen. Zwar hatte der Stern die Rechte für den exklusiven Abdruck von Auszügen, vergangene Woche kam dem Hamburger Magazin jedoch die FAZ zuvor. In zwei ganzseitigen Beiträgen wurden vorab zahlreiche Auszüge aus „Klartext“ analysiert. Die FAZ ging aufgrund ihrer Kenntnislage soweit zu behaupten, daß eine Parteineugründung durch Möllemann unmittelbar vor der Tür stehe. Dieser dementierte das allerdings laut und deutlich – mit der Glaubwürdigkeit Cornelia Piepers, wenn sie behauptet, das Buch nicht lesen zu wollen. Was Möllemann in dem Buch schildert, sind Erinnerungen, die bis zum Beginn seiner politischen Karriere zurückreichen. So beschreibt er, wie Walter Scheel die Bonner Wende von 1982 durchgesetzt habe, während Otto Graf Lambsdorff und Hans-Dietrich Genscher bis zum Schluß zögerten. Mit Genscher geht Möllemann besonders hart ins Gericht. Indirekt gibt er der Spekulation Nahrung, dieser sei 1992 deshalb so abrupt zurückgetreten, weil er vor prekären Details aus nachrichtendienstlichen Akten (Ministerium für Staatssicherheit der DDR) Angst gehabt habe. Für den Nachfolger Genschers scheint er nur Verachtung übrig zu haben: Klaus Kinkel habe wegen seiner Tochter die deutsche Nahost-Politik grundlegend verändert. Seit sie mit einem Mossad-Offizier verheiratet sei, habe Kinkel begriffen, „was Auschwitz bedeute“, so Möllemann. Die Hauptzielscheibe in den Möllemann-Enthüllungen jedoch bildet Otto Graf Lambsdorff. Nicht ohne Grund zeigt Jürgen Möllemann mit dem Finger auf den Aristokraten, der andere nur als „baltische Stiefelknechte“ ansehe. Lambsdorff ist schließlich ebenso wie Möllemann 1984 wegen einer Parteispendenaffäre in die Kritik geraten und mußte sein Amt räumen. Im Gegensatz zu Möllemann jedoch stellte sich damals die ganze Partei einhellig vor den Vorbestraften. Es kam noch besser: Der Graf wurde für würdig empfunden, Ehrenvorsitzender der Liberalen zu werden. Wie anders hat sich die ganze Partei gegenüber Möllemann verhalten? Sie hat die Spendenaffäre selbst inszeniert und ihn wie einen Sündenbock davongejagt. Die persönliche Ehrverletzung ist Möllemanns neue Antriebskraft. Der Mehrheitsmeinung zum Trotz erschien in der Welt sogar ein Kommentar, der eine Möllemann-Partei als ein chancenträchtiges Projekt einordnete. Daß das Buch in München vorgestellt wird, deutet vielleicht auch auf diese Option hin. In Bayern finden im Herbst Landtagswahlen statt.