Vertrauen – der Menschen untereinander wie der Bevölkerung zu den politisch Verantwortlichen – ist der Sauerstoff des Gemeinwesens. Wo er fehlt, ist Atemnot und Krankheit die Folge, wie wir in diesem heißen Katastrophensommer – ökologisch wie politisch – mit Nachdruck belehrt werden. Die Verengung unserer politischen Agenda allein auf die ökonomischen Daten – Steuern, Renten, Gesundheit – ist symptomatischer Ausdruck unserer Krise. Wir werden ratlos bleiben, solange wir nicht an ihren Kern herangehen, die extrem pluralistische Ausfransung unseres gesellschaftlichen Gewebes in einer Ego-Gesellschaft, deren sauerstoffarme Blutkörperchen nur noch aus materiellen Faktoren zu bestehen scheinen. Wir stehen vor der Bilanz der falschen Rezepte und Wegweisungen, die wir uns seit Jahren einreden ließen: Individuelle „Selbstverwirklichung“, Vorrang der Rechte vor den Pflichten, der Ansprüche vor der Leistung, der multikulturellen Gesellschaft vor der Identität und den Traditionen der eigenen. Jetzt stecken wir im Sumpf fest, in dem sich die politischen Räder hilflos drehen: Die Fehlwege, die die Deutschen seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit pausbäckigem Fortschrittsoptimismus zu beschreiten begannen, mündeten in die hektische Ratlosigkeit unserer Tage. Wo kollektive, historisch-politische Identität und ihre Tugend-Voraussetzungen systematisch als „faschistisch“ madig gemacht wurden im angeblichen Gegensatz zu den Interessen des Individuums, mußte der Sauerstoff des Vertrauens in Gesellschaft und Politik schwinden. Zunehmend miese Geschäftsgebaren im gesellschaftlichen und ökonomischen Alltag und Mitgliederschwund von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen sind nur Symptome dieser kollektiven Anämie. „Diese Krise ist nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern auch und im Kern eine politisch-moralische Krise“, so immerhin Helmut Kohl in seiner ersten Regierungserklärung im Oktober 1982, eine Einsicht, aus der er dann bekanntlich nicht die Folgerungen einer „geistig-moralischen Wende“ zog. Sie ist heute so aktuell wie je. Hätte man damals Konsequenzen gezogen, wäre es nicht zum heutigen Sauerstoffmangel und Vertrauensschwund gekommen. Auch für Gesellschaft und Staat gilt, daß die richtige Diagnose die Voraussetzung wirkungsvoller Therapie ist. Der Kern der heutigen kollektiven Krise und Krankheit der Deutschen ist geistig-moralischer und historisch-politischer Natur. Das mag unseren heutigen Super-Realisten biedermeierlich-banal klingen, bleibt aber zutreffender als alle derzeitige Quacksalberei. Prof. Dr. Klaus Hornung ist Politikwissenschaftler und Präsident des Studienzentrums Weikersheim.