Gegen politisch unliebsame Publikationen kann man auf unterschiedliche Weise vorgehen – es muß ja nicht gleich ein Verbot sein. Effektiver ist etwa, sie als "staatsfeindlich" zu stigmatisieren, als "politisch unverträglich" mit den Staatszielen und der Verfassung zu bezeichnen oder aber der Verbindung zu solchen Gruppen zu zeihen. Und wenn sich nicht genug inhaltliche Belege für diese Vorwürfe finden lassen, behauptet man, die verfassungsfeindliche Agitation des Blattes verlaufe "unter dem Deckmantel des Kampfes für Freiheit und Demokratie". Um Mißverständnissen vorzubeugen: Die Zitate stammen nicht von der Tagung zum Thema "Neue Rechte – Gefahr für die Demokratie", die am Mittwoch vergangener Woche, organisiert vom Amt für Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, in Düsseldorf stattfand; sie beziehen sich auch nicht auf die JUNGE FREIHEIT. Sie sind enthalten in einem wissenschaftlichen Gutachten über die Samisdat-Zeitschrift Grenzfälle, die von einer DDR-Oppositionsgruppe Ende der achtziger Jahre herausgegeben worden war und die unter tätiger Mithilfe von Mielkes Staatssicherheit am Erscheinen gehindert werden sollte. An dieser Stelle seien diese Zitate nur angeführt, um auf die parallel verlaufenden Argumente hinzuweisen und eine – so könnte man im Verfassungsschutzjargon formulieren – bedenkliche "Grauzone" zwischen dem Vorgehen eines totalitären und eines demokratischen Staates zu erhellen.
Negative Auswirkungen auf die demokratische Kultur
Der Schirmherr der Tagung, der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens (SPD), sagte in seinem Grußwort, die Neue Rechte stelle einen Angriff auf die politische Kultur dar. Durch sie werde die Trennungslinie zwischen demokratischem und rechtsextremem Spektrum verwischt. Wörtlich sprach der sozialdemokratische Politiker von einer "Erosion der Abgrenzung" zwischen Demokraten und Rechtsextremisten. Dabei bediene sich die Neue Rechte Verschleierungstaktiken, beispielsweise einer Kampagne gegen eben diese Tagung.
Der Politikprofessor Kurt Sontheimer referierte anschließend über antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, wies zwar auf Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Bundesrepublik insbesondere bis in die 1970er Jahre hin, äußerte sich jedoch kaum zur aktuellen Situation. In der anschließenden Diskussion, die sich nur am Rande auf Sontheimers Thesen bezog, stellte Harald Weber vom Zentrum Demokratische Kultur in Frage, ob die Rechte nicht zu sehr verfolgt werde, ob der Umgang mit ihr nicht zu autoritär sei, ob Verbote ein geeignetes Mittel seien und ob Tabuisierung als rechts angesehener Themen negative Auswirkungen auf die demokratische Kultur habe. Sontheimer sprach sich daraufhin für eine offene demokratische Diskussion aus. Auch im Hinblick auf die Verteidigung der Verfassung solle man behutsam dabei sein, mißliebige Meinungen zu unterdrücken.
In der folgenden Diskussion kritisierte der Geschäftsführer des Instituts für Staatspolitik, Götz Kubitschek, daß der NRW-Verfassungsschutz den Binnenpluralismus der Rechten nicht ausreichend berücksichtige, also zwischen verschiedenen rechten Organisationen und Publikationen nicht oder zu wenig differenziere. Außerdem gehe diese Behörde auch bei solchen Rechten, die sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen, davon aus, daß es sich dabei nur um Mimikry handle, was dem Prinzip der Unschuldsvermutung widerspreche.
In einer Entgegnung auf Kubitscheks Beitrag bedauerte der als Referent geladene Christoph Butterwegge, daß "solche Leute" nicht daran gehindert würden, bei dieser Tagung aufzutreten. Auf Kubitscheks Argumente wurde während der gesamten Tagung nicht eingegangen. Im Gegenteil: Kritische Nachfragen von Kubitschek zur linksextremistischen Vergangenheit einiger Referenten blieben unbeantwortet, was schließlich zu einem Eklat führte. Die Veranstaltung wurde unterbrochen und Kubitschek ausgeschlossen.
Lackmus-Test: Verhältnis zu Carl Schmitt
Wolfgang Gessenharter, Professor an der Bundeswehr-Universität in Hamburg, referierte über das Thema "Neue Rechte und demokratische Verfassung". Dabei konzentrierte er sich besonders auf die Menschenrechte, auf das Sozialstaatsprinzip und auf das Spannungsverhältnis zwischen individuellen Rechten und Kollektiven. Daß das Grundgesetz in seinem Grundrechtsteil zwischen Menschen- und Bürgerrechten unterscheidet, blendete Gessenharter dabei völlig aus. Auch zur hervorgehobenen Stellung des deutschen Volkes im Grundgesetz äußerte er sich nicht. Für Gessenharter sei der Lackmus-Test, ob ein Rechter Demokrat oder Extremist sei, sein Verhältnis zu Carl Schmitt. Wer sich positiv auf Schmitt beziehe, könne nicht zum Grundgesetz stehen.
Auf die mit einer solchen Annahme verbundenen Schwierigkeiten wies Gessenharter sogar selbst hin, da er die Widersprüche im Werk Schmitts erwähnte. Trotzdem sprach er sich gegen eine differenzierte Bewertung aus. Sontheimer kritisierte daraufhin, daß Gessenharter zwar Schmitt zitierte, jedoch kaum Äußerungen der Neuen Rechten selbst. Da diese das Thema seines Vortrags hätte sein sollen, lasse er den in seinem Referat geforderten Ernst im Umgang mit dem Phänomen Neue Rechte selber vermissen.
Thomas Pfeiffer, Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, gab in seinem Vortrag im wesentlichen die Thesen der von ihm verfaßten Broschüre des Hauses über die Neue Rechte wieder. Er betonte, daß er im Gegensatz zu Gessenharter die Neue Rechte, deren Ideologeme seiner Einschätzung nach bis in den Neonazibereich wanderten, insgesamt für rechtsextrem halte ("Avantgarde des Rechtsextremismus").
Nahezu jeder Referent sah ein anderes Kriterium als zentralen Dreh- und Angelpunkt der Neuen Rechten an. Aus Pfeiffers Sicht ist dies das Konzept des Ethnopluralismus, wobei er zugeben mußte, daß dieses Konzept nicht von der Höherwertigkeit einzelner Völker gegenüber anderen ausgehe. Bei seiner Argumentation ignorierte Pfeiffer, daß es trotz einer Gleichwertigkeit in der Realität diverse Unterschiede zwischen Völkern gibt (die auch von vielen Menschen als positiv wahrgenommen werden), deren Außerachtlassen gefährliche Folgen haben kann.
Mehrere Arbeitsgruppen gingen einzelnen Aspekten des Tagungsthemas nach. Über neurechte Einflüsse auf studentische Verbindungen referierte unter anderem der Wiesbadener Gesamtschullehrer Dietrich Heither. Anders als angekündigt, sprach Heither ausschließlich über die Deutsche Burschenschaft, wobei er seine grundsätzliche Gegnerschaft zu studentischen Verbindungen offen durchblicken ließ. An Heithers Vortrag, der mit zum Teil veralteten Fakten und falschen Behauptungen unterfüttert war, übten Vertreter mehrerer Verfassungsschutzämter Kritik.
Erwähnung in VS-Bericht ist eine Verrufserklärung
An der Abschlußdiskussion der Tagung nahmen Uwe Backes, Christoph Butterwegge, Hartwig Möller und Wolfgang Gessenharter teil. Der mitangekündigte "Enthüllungsjournalist" Gernot Moderi (alias Anton Maegerle), gegen dessen Teilnahme wegen seiner Nähe zu linksextremen Organisationen und Publikationen vielfacher Protest eingelegt worden war, hatte sein Kommen kurzfristig abgesagt.
Butterwegge sprach sich in der Debatte für eine Neudefinition des Begriffs Neue Rechte aus und steigerte damit nur noch die Verwirrung. Ein neuer Nationalismus trete als Standortnationalismus auf. Er warnte vor einer Mythologisierung von Markt, Leistung und Konkurrenz und verstieg sich zu der Behauptung, Thesen der Neuen Rechten hätten bereits Einzug in die politische Mitte gehalten.
Der Politikwissenschaftler Uwe Backes, stellvertretender Direktor des Dresdner Hannah-Arendt-Institutes, wies diese Verallgemeinerungen zurück und schlug vor, vom Begriff "Neue Rechte" zugunsten des Begriffs "Intellektueller Rechtsextremismus" Abstand zu nehmen. Dieser Begriff solle nur für entschiedene Gegner des demokratischen Verfassungsstaates verwendet werden. Seines Erachtens sollte man zwischen Gemäßigten und Extremen deutlich unterscheiden. Er sei besorgt, daß dies nur unzureichend geschehe. Nicht alles Rechte solle als außerhalb des Verfassungsbogens angesehen werden.
Zwar bestehe weitgehende Einigkeit bei der Einordnung der vom NRW-Verfassungsschutz erwähnten Organisationen und Periodika als rechtsextrem. Allerdings sollte die JUNGE FREIHEIT nicht im Verfassungsschutz erwähnt werden, so Backes. Sie sei kein Kampfblatt einer gefestigten Organisation, die eine gemeinsame Ideologie habe, sondern spiegle ein breites Meinungsspektrum wider.
Es sei nicht Aufgabe der Verfassungsschutzämter, über "Grauzonen" in ihren Veröffentlichungen zu berichten, sondern über eindeutige Beobachtungsobjekte. Man müsse bedenken, daß die Erwähnung in einem Verfassungsschutzbericht einer Verrufserklärung gleichkomme. Deswegen sei eine zu weite Auslegung des Beobachtungsauftrags bedenklich. Bei der Wahl dieser Objekte solle der Verfassungsschutz sich Zurückhaltung auferlegen. Backes befürchtet ansonsten eine Einschränkung der für eine offene und liberale Gesellschaft konstitutiven Meinungsfreiheit.
Verfassungsschutz-Chef Möller verteidigte sein Vorgehen mit dem Hinweis, daß mittlerweile auch das unionsregierte Baden-Württemberg die Neue Rechte in seinem Verfassungsschutzbericht kurz erwähnt. Er verschwieg die ablehnende Haltung anderer Bundesländer dazu in seinem Beitrag ebenso wie die fundierte und von nordrhein-westfälischen Unionspolitikern gestützte Kritik an dieser Tagung und einigen ihrer – wegen deren linksextremistischen Verbindungen – umstrittenen Referenten.