Wieder einmal hat Jürgen Möllemann sein politisches Gespür unter Beweis gestellt. Im buchstäblich letzten Moment, bevor der Irak-Krieg dauerhaft alle anderen Themen in den Hintergrund zu drängen droht, trat er spektakulär aus der FDP aus. Über konkrete Schritte hinsichtlich seiner politischen Zukunft schweigt er bislang beharrlich. Allerdings ließ er in seiner Presseerklärung am Montag keinen Zweifel daran, daß er weiterhin politisch tätig sein wird: „Eines werde ich nicht tun: Aufgeben – weder meine Ziele noch das Engagement für diese.“ Ferner kündigte er an, sein Landtags- und sein Bundestagsmandat behalten zu wollen. Seine Ziele habe er in seinem Buch „Klartext. Für Deutschland“ klar umrissen, so Möllemann weiter. Das Tuch zwischen ihm und der Partei ist zerschnitten Nach 33 Jahren in der FDP hat er wohl einsehen müssen, daß die einhellige Front seiner Gegner nicht mehr zum Einlenken zu bewegen war. Zuletzt war der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der Liberalen permanent das Opfer einer Mobbing-Kampagne. Langjährige Weggefährten bezeichneten ihn öffentlich als „geisteskrank“ (Lambsdorff), „durchgeknallt“ (Westerwelle) oder „Quartalsirren“ (Solms). Die „Hetz- und Treibjagd“ hindere ihn daran, sich den politischen Mißständen in der Innen- und Außenpolitik zu widmen. Mit der Vorstellung seines Buches hat Möllemann vergangene Woche allerdings selbst das Tuch zwischen sich und der Partei endgültig zerschnitten. Er offenbart darin so viele menschliche und politische Schwächen führender FDP-Politiker, daß eine Verständigung ausgeschlossen ist. Auch in der nordrhein-westfälischen Landtagsfraktion der Liberalen wurde der Druck auf die Abgeordneten verschärft, Möllemann doch noch auszuschließen. Da Möllemanns Ausschluß nur an einer Stimme gescheitert war, wäre es der Berliner Parteiführung mit ihren finanziellen Ressourcen leicht gefallen, die notwendige Mehrheit doch noch zusammenzuzimmern. Also trat Möllemann die Flucht nach vorn an. Nun fordern seine ehemaligen „Parteifreunde“ um den Vorsitzenden Andreas Pinkwart auch noch, daß Möllemann seine „über die NRW-Landeslisten erworbenen Mandate in Bundestag und Landtag“ niederlegt. Aus der Bevölkerung erhält er, wie man auf seiner Internetseite sehen kann, beträchtlichen Zuspruch. Und er ist augenblicklich ein gern gesehener Gast in Fernsehsendungen. Die Voraussetzungen für die Gründung einer neuen politischen Formation könnten besser kaum sein. Aus dem Streitgespräch mit Gabi Bauer in der letzten Woche ging er als Sieger hervor. Allerdings bekam er schon während seines Auftritts in der ARD-Sendung zu spüren, daß er nicht mehr zum etablierten Establishment gehört. Höflichkeit und Respekt müssen Fernsehmoderatoren vor einem Ausgegrenzten wie Jürgen Möllemann nicht mehr haben. So konfrontierte die sonst zurückhaltende Gabi Bauer ihn mit Fragen wie „Haben Sie nie darüber nachgedacht, daß Sie in den Knast kommen könnten?“ Am Tag seines Austritts aus der FDP bekam er die Blockadehaltung der Medien noch stärker zu spüren. N-tv lud ihn kurzfristig aus der Sendung „Der Grüne Salon“ wieder aus. Zur Begründung sagte die Moderatorin und ehemalige Grünen-Ministerin Andrea Fischer, er habe nicht über seinen Austritt reden wollen. Statt dessen trat der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerhardt auf. Für jemanden, der wie Möllemann immer im Rampenlicht der Medien gestanden hat, ist die Ausgrenzung aus dem öffentlichen Diskurs sicher eine neue Erfahrung. Möllemann möchte eine Konkurrenzorganisation Möllemanns Austrittserklärung legt den Schluß nahe, daß er nun eine Konkurrenzorganisation gründen wird. Es zeichnen sich zwei mögliche Varianten ab, falls er diesen Schritt wagt: Entweder er tritt bereits zur Landtagswahl in Bayern an. Dafür müssen am 23. Juni die Kandidaten in möglichst allen Wahlkreisen aufgestellt worden sein. Dies wäre ein Kraftakt, der selbst mit großen finanziellen Mitteln kaum zu leisten ist. Allerdings könnte diese Partei die ohnehin schwache Bayern-FDP am Einzug in den Landtag hindern. Denkbar ist aber auch, daß er die nächste Europawahl 2004 nutzt, um mit einer populistischen Organisation Stimmen zu sammeln. Im Jahr darauf sind die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Unabhängig vom Zeitpunkt einer Parteineugründung ist dies ein schwieriges Unterfangen. Bisher haben nur vereinzelt FDP-Mitglieder ihre Bereitschaft zum Bruch mit ihrer Partei erklärt. So traten zum Beispiel in der letzten Woche acht Mitglieder im bevölkerungsreichsten Bundesland aus der FDP aus. Daß gegen ein „verdientes Parteimitglied wegen des Aussprechens der Wahrheit Repressalien“ eingeleitet würden, wollten die FDP-Mitglieder nicht länger mittragen, teilten sie in einer Erklärung mit.