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Der Spatz in der Hand

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Drei Monate nach den Parlamentswahlen, die der christdemokratischen ÖVP ein Traumergebnis von über 42 Prozent und dem Regierungspartner FPÖ einen katastrophalen Absturz von 27 auf 10 Prozent brachten, steht Österreich genau dort, wo es vor den Wahlen stand: eine Fortsetzung der schwarz-blauen Koalition, diesmal allerdings mit gründlich veränderten Gewichten. Die Reste der FPÖ, an deren Spitze Sozialminister Herbert Haupt steht haben sich der siegreichen Volkspartei seit Monaten als Koalitionspartner „mit Rabatt“ angedient, wurden aber von Kanzler und ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel zunächst in gebührender Distanz gehalten. Der siegreiche Schüssel, der noch unlängst von eher Wohlmeinenden als „kleiner Prinz“ (frei nach Antoine de Saint-Exupéry), von weniger Gutgesinnten aber als „Hietzinger Napoleon“ (Hietzing ist einer der Wiener Nobelvororte) bezeichnet wurde, erwies sich auch diesmal als gewitzter Taktiker. Er begann gleich nach der Wahl mit Sondierungsgesprächen – und zwar mit allen Parteien nacheinander. Wochenlang „sondierte“ er mit den Sozialdemokraten, deren Vorsitzender Alfred Gusenbauer sich offensichtlich Hoffnungen auf den Posten des Vizekanzlers machte. Auch die Grünen wurden von Schüssel – scheinbar – umworben und zu Marathongesprächen „verführt“. Grünen-Chef Alexander van der Bellen, im Zivilberuf Universitätsprofessor, hing offenbar gleichfalls der Illusion an, als „Vize“ in ein Kabinett Schüssel einzutreten und damit die österreichischen Grünen, die sich bisher im Gegensatz zu ihren deutschen Gesinnungsfreunden mit der Oppositionsrolle begnügen mußten, endlich regierungsfähig zu machen. Während die Verhandlungen mit der SPÖ ganz im Rahmen großkoalitionärer Hoffnungen und Befürchtungen abliefen – schließlich war die Große Koalition in Österreich jahrzehntelang gewissermaßen ein Selbstläufer -, war die Kombination „Schwarz-Grün“ eine Sensation. Noch kurz zuvor hatte die ÖVP vor den linksradikalen Elementen in der grünen Bewegung gewarnt und von „Chaoten“ gesprochen. Plötzlich saßen die biederen Christdemokraten mit eben diesen Leuten am Verhandlungstisch und streuten ihnen Blumen. Schüssel habe mit allen nur Scheingespräche geführt Da hörte man aus dem Munde führender ÖVP-Politiker die Behauptung, die Kombination „Schwarz-Grün“ habe einen besonderen „Charme“ und könne eine Wende in der europäischen Politik darstellen. Der neugewählte Parlamentspräsident Andreas Khol, der als einer der „Hardliner“ in der ÖVP gilt, lobte plötzlich die Grünen-Politikerin Andrea Glawischnig als „wunderschöne Marxistin“. Maßgebliche Grünen-Politiker ließen während der Sondierungspausen gegenüber Journalisten anklingen, die ÖVP sei durchaus „vernünftig“ und akzeptiere grüne Ideen, wie etwa die Ökosteuer ohne Widerspruch. Skeptiker allerdings äußerten die Vermutung, der „Charme“ von Schwarz-Grün sei auf eine Art Konspiration der ÖVP-Landwirte und Biobauern mit den progressiven Umweltschützern zurückzuführen. Allerdings – so berichtete später Peter Pilz, einer der Links-Grünen par excellence: Solange man mit den ÖVP-Leuten allein verhandle, sei alles gut gelaufen. Kaum aber sei Schüssel aufgetaucht, sei alles wieder aufgehoben worden. Das nährte den Verdacht, der schlaue „kleine Prinz“ habe nur Scheingespräche geführt. Er habe die „Roten“ so lange hingehalten, bis die Sozialdemokratie innerlich zerrissen zwischen Koalitionären und Anti-Koalitionären vor ihm lag. Dann habe er die Grünen hofiert, um deren rechten Rand für die ÖVP zu gewinnen. Am Ende sei Schüssel dann zu denen zurückgekehrt, die es für ihn am billigsten machen: zu den von Haider im Stich gelassenen Freiheitlichen. Deren neuer Vorsitzender Haupt hatte immer wieder betont, die FPÖ sei der gegebene Partner für Schüssel. Die Situation entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie: wegen der „Unzuverlässigkeit“ der FPÖ hatte Schüssel im vergangenen Jahr die Koalition aufgekündigt und Neuwahlen ausgeschrieben. Der bisherige FPÖ-Finanzminister Karlheinz Grasser lief zu Schüssel über und wird als „parteiloser“ Finanzminister der kommenden Regierung angehören und am Kabinettstisch seinen ehemaligen FPÖ-Parteifreunden gegenübersitzen, die ihn – wie schon aus Haiders Munde zu hören war – als „Verräter“ bezeichnen. Haider sagte dieser Tage süffisant, Grasser würde, hätte ihn die Partei nicht in jungen Jahren nach oben gehievt, heute in Klagenfurt Autoverkäufer sein. Bleibt die Frage, was in einer Partei vor sich geht, die Autoverkäufer zu Ministern macht. Wahl zwischen Koalition oder dem politischen Nichts Den auf eine Zehn-Prozent-Partei reduzierten Freiheitlichen bleibt aber gar nichts übrig, als sich Schüssel in die Arme zu werfen. Denn von allem anderen abgesehen, steht die FPÖ heute am Rande der Pleite und kann nur durch Regierungsbeteiligung hoffen, wenigstens einen Teil der schweren finanziellen Verluste wieder einzuspielen, die ihr aus der Niederlage erwachsen. Nach allen demoskopischen Umfragen ist ein Ende der FPÖ-Talfahrt nicht in Sicht. Bei kommenden Landtagswahlen in Nieder- und Oberösterreich sind weitere Verluste zu erwarten. Zwar ist ein schwacher Partner für Schüssel ein bequemer Partner, aber für den jetzigen und künftigen Kanzler bleibt ein Restrisiko. Die weitgehend heterogene, in einen nationalliberalen Flügel (sprich: die Reste der einstigen blauen „Gesinnungsgemeinschaft“) zerfallene FPÖ kann selber zerrissen werden. Das wäre das denkbar schlimmste Szenario. Schüssel hofft auf das Gegenteil: daß die FPÖ-ler, wohl wissend, daß sie sonst ins politische Nichts absinken würden, diesmal bei der Stange bleiben und ihre Posten genießen. Was nutzt dem Vaterland ein toter Held? Manchmal gewinnt man den Eindruck, der Meistertaktiker Schüssel habe die ganzen Gespräche mit anderen Parteien nur geführt, um am Ende als einzig Übriggebliebener zu erscheinen, der zu (fast) allem bereit war – nur die anderen wollten nicht. „Wozu haben wir überhaupt gewählt?“, lautet die Frage der Schüssel-Kritiker. Die Antwort könnte lauten: Damit Schüssel, nachdem er seinen bürgerlichen Konkurrenten FPÖ bereits abgeräumt hat wie einen Weihnachtsbaum, nun auch aus dem Wählerpotential der anderen Mitbewerber einige Stimmen mitnehmen kann. Am Ende stünde dann bei der nächsten Wahl eine absolute Mehrheit für ihn und die ÖVP. Dann hätte das Sondieren und Taktieren ohnedies ein Ende. Die verschmähten Liebhaber von Rot und Grün mögen schmollen. Der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider, der Schüssel anfangs gewollt, dann aber ungewollt zu dessen Triumph verhalf, mag schimpfen wie ein Rohrspatz und dem Kanzler die Rache der Geschichte und der Wähler an den Hals wünschen: auch in diesem Falle ist nichts so erfolgreich wie der Erfolg – und nichts so erfolglos wie der Mißerfolg. Dieser aber ist (einstweilen) nicht Schüssels Problem. Foto: Kanzler Wolfgang Schüssel mit Maria Rauch-Kallat, Elisabeth Gehrer: Gestärkt in die nächste Runde

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