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Der schmutzige Krieg am Rande des Inselreiches

Der schmutzige Krieg am Rande des Inselreiches

Der schmutzige Krieg am Rande des Inselreiches

 

Der schmutzige Krieg am Rande des Inselreiches

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Seit dem 16. Mai herrscht wieder Krieg im Norden Sumatras, und keiner sieht richtig hin. Es geht um Ölinteressen, Islamismus, korruptes Militär, Folter, Deportationen, geplünderte Dörfer, verbrannte Schulen und möglicherweise den Anfang der Auflösung des indonesischen Inselreiches mit seinen etwa 230 Millionen Einwohnern verschiedener Völker. 50.000 Soldaten, Polizisten und Milizionäre bekämpfen 5.000 leichtbewaffnete Unabhängigkeitskämpfer der Provinz Aceh. Mehrere hundert Tote hat die Wiederaufnahme der Kämpfe schon gefordert, darunter auch einen älteren deutschen Fahrradtouristen. Zehntausende Zivilisten wurden vom Militär vertrieben und in Zeltlagern und Fußballstadien konzentriert. Die internationale Gemeinschaft, die USA und Australien voran, drückt ihr Bedauern über den Zusammenbruch des Friedensprozesses aus, ohne aber an den Sieg des Militärs zu glauben. Die Waffenstillstandsbeobachter aus Thailand, den Philippinen und Norwegen wurden nach der Ausrufung des Kriegsrechts am 16. Mai abgezogen. Die Erschießung des Deutschen Lothar Engel dient zum Vorwand, alle Ausländer und Beobachter aus der Kriegsprovinz zu verbannen. Seit 130 Jahren Kampf gegen Fremdherrschaft Seit 1873 kommt Aceh (ausgesprochen: Atscheh), die ölreiche Rebellenprovinz an der Nordspitze Sumatras mit ihren fünf Millionen Einwohnern nicht zur Ruhe. Aceh liegt am Rand der Republik Indonesien, etwa 2.000 Kilometer von der Hauptstadt Jakarta entfernt. Von der malayischen Halbinsel im Südosten ist Aceh nur durch die seichte, 200 Kilometer breite Straße von Malakka getrennt. Hier trafen sich die Handelsschiffe der Inder, Chinesen, Araber und Malaien auf ihrem Weg von Indien nach China und zurück. Schon im 11. Jahrhundert kamen die Acehnesen so mit arabischen Gewürzhändlern in Kontakt und wurden als erste im damals hinduistischen Südostasien islamisiert. Heute ist nur noch Bali hinduistisch. Der Santri-Islam in Aceh gilt als streng und weniger mit hinduistischen Elementen durchsetzt als der Glaube der meisten Indonesier. Als Sultanat und „Tor nach Mekka“ am Eingang der Malakkastraße war Aceh jahrhundertelang unabhängig. Vor 130 Jahren versuchten die Niederländer Aceh ihrem Kolonialreich einzugliedern, was ihnen erst 1910 nach 27 Jahren Guerillakampf, etwa 10.000 Toten und der Zerstörung der Hauptstadt Banda Aceh, die heute 370.000 Einwohner zählt, gelang. 1942 wurden die Japaner daher zunächst als Befreier vom europäischen Kolonialjoch begrüßt. Den Unabhängigkeitskampf Indonesiens 1945 bis 1949 trugen die Acehnesen unter großen Opfern mit. Doch als das von zentralistisch-laizistischen javanesischen Nationalisten dominierte Regime von Präsident Achmed Sukarno 1953 die religiösen und kulturellen Autonomierechte von Aceh abschaffte und die Provinz in die Verwaltungsregion Nord-Sumatra eingliederte, brach ein Aufstand unter Führung des bisherigen Provinzchefs Daud Beureueh los. Die Erhebung wurde 1962 wie viele der ethnischen Revolten des heterogenen Vielvölkerreiches mit seinen 13.000 Inseln erst nach jahrelangen Kämpfen niedergeschlagen. Seither werden die „Indonesier“ in Aceh als Besatzungsmacht ebenso gehaßt wie früher die Holländer. Der Sonderstatus galt als Farce. Der Ruf nach einem unabhängigen Aceh wurde besonders im Distrikt Pidie, der Heimat Teungku Hasan de Tiros, unterstützt. De Tiro entstammt der Sultansfamilie und lebte lange in den USA. 1976 gründete er mit damals 150 Kämpfern die Bewegung Freies Aceh (Gerakan Aceh Merdekah/GAM), und am 4. Dezember desselben Jahres rief er die Unabhängigkeit Acehs aus. Die Regierung in Jakarta zerschlug den Widerstand innerhalb von drei Jahren mit ebenso brutalen wie effizienten Polizei- und Militäraktionen. Einige GAM-Führer kamen ums Leben, andere flüchteten ins Exil. So auch de Tiro, der seit 1979 in Schweden lebt und dort eine Exilregierung gründete. Seit Ende der siebziger Jahre werden auf Aceh Öl und Erdgas gefördert. In der Folge siedelten sich um die Stadt Lhok Seumawe Petrochemie und andere Industrien an, die bis heute einen bedeutenden Anteil des indonesischen Bruttosozialprodukts erwirtschaftet. Pro Jahr beträgt der Wert der Öl- und Flüssiggasexporte etwa 1,5 Milliarden US-Dollar. Das meiste geht nach Japan. Der Gesamtwert der bisherigen Förderung beträgt 47 Milliarden US-Dollar. In Aceh ist von diesem Reichtum nichts geblieben. In der Industriezone wurden Arbeitskräfte rar, Bergbauern verließen ihre armseligen Felder, um in der Industrie zu arbeiten. Spätestens 2014 sollen die Öl- und Gasvorkommen, die sich im nördlichen Aceh sowohl auf dem Festland wie vor der Küste in der Straße von Malakka befinden, erschöpft sein. Die Raffinerien, Gasverflüssigungsanlagen und Ölleitungen der Ölstadt Lhok Seumawe werden von 3.000 Soldaten bewacht. Etwa 400 GAM-Guerillas operieren im Umland. Gewöhnlich entführen sie einheimische Techniker oder ganze Busse von Exxon-Arbeitern, die gegen Lösegeld wieder freigelassen werden. Gelegentlich sprengen sie Ölleitungen oder nehmen Tankwagen unter Feuer. 2001 legten sie nach dem Kappen der Stromleitungen die Gasverflüssigungsanlage vier Monate lang still. Dies brachte dem amerikanischen Exxon-Mobil-Konzern und dem indonesischen Staat einen Einnahmeausfall von 350 Millionen US-Dollar. Im August 2002 wurde Exxon vom International Labour Rights Fund in den USA verklagt, der Konzern habe von Morden und Folterungen seines Bewachungspersonals gewußt. Exxon entgegnete, nichts für das Regime zu können, wo sich seine Ölquellen befinden. Exxon sei nur Unterkontraktor der indonesischen Staatsfirma Pertamina, die sei für den militärischen Schutz und die Behördenkontakte zuständig – doch Exxon hat alle „Leistungen“ voll finanziert. Die Bush-Administration argumentierte, die Klage schade den strategischen Interessen der USA und ihrem Kampf gegen den Terrorismus. Diese haarsträubende Begründung entspricht nicht einmal der aktuellen Indonesienpolitik der USA. Paul Wolfowitz, derzeit US-Vizeverteidigungsminister, war zu Zeiten Ronald Reagans (1986 bis 1989) US-Botschafter in Djakarta. Damals trug ihm seine Nähe zum Ex-General und autoritären Präsidenten Mohamed Suharto und zu seinem Generalstabchef Wiranto, der später für die Massaker in Osttimor verantwortlich war, einen Karriereknick ein. Seither legt man in Washington auf einen Sicherheitsabstand zur indonesischen Bürgerkriegsarmee großen Wert. Die Militärhilfe wurde 1999 bis zur Aufklärung und Sühne der Massaker vom US-Kongreß gestrichen. Auch weiß man in Washington, daß die GAM Kontakte zu al-Qaida (im Gegensatz etwa zur Moro-Befreiungsfront auf der philippinischen Insel Mindanao) stets abgelehnt hat. Der GAM geht es um die Wiedererrichtung des Sultanats und die Nutzung des Ölreichtums für Aceh, nicht aber etwa um die Errichtung eines Gottesstaats in ganz Südostasien, wie es den Terroristen von Jemiah Islamiah, den Bombern von Bali, vorschwebt. Indonesien ist eines der korruptesten Länder der Welt. Die Einkünfte eines Generals kommen nur zu einem Hundertstel aus seinem Dienstgehalt. Der Rest besteht aus Schutzgeldern, dem Verleih seiner Truppe, dem Verkauf militärischen Geräts, aus Importlizenzen, dem Verschieben von Tropenholz und vielerlei Spenden. In Freetown auf Westpapua ließ das Militär im letzten Herbst einen Bus mit US-Schullehrern beschießen. Zwei kamen ums Leben. Jetzt fließen die Schutzgelder wieder pünktlich. In Lhok Seumawe bekommt natürlich auch die GAM, die über Mittelsmänner „Steuern“ eintreibt, ihren Anteil. Je blutiger die Feindseligkeiten, desto höher die Schutzgelder an beide Seiten. Dies erklärt die Friedenssehnsucht der USA. Zehntausende Tote und kein Frieden in Sicht 1989 in der Endphase des Suharto-Regimes flammten die Kämpfe in Aceh erneut auf. Die GAM hatte nun 5.000 Mann unter Waffen. Libysche Ausbilder, vermutlich saudisches Geld und der Drogenschmuggel brachten reichlich Schnellfeuergewehre, Raketenwerfer und Mörser ins Land. Militär, Polizei und ihre marodierenden Milizen kontrollierten mit ihren schweren Waffen die Städte, die Ölfelder und die Straße (mit ihren lukrativen Straßensperren) zwischen Banda Aceh und Medan, der Hauptstadt Nord-Sumatras, die GAM die Berge, den Dschungel und die Ortschaften. Wie in den anderen rohstoffreichen Unruheprovinzen des indonesischen Archipels (Westtimor, Westpapua, die Molukken, Borneo) operierten die Regierungstruppen nach einem Muster: Sie besetzen ein Dorf im Rebellengebiet, erschießen die männliche Jugend im Rebellenalter, und foltern diejenigen, denen die Flucht nicht gelungen ist. Danach wird das Dorf geplündert und angezündet. Dabei unterscheiden sich die disziplinierteren „Elite“-Einheiten, wie etwa die Adler-Kampfgruppen, nur graduell vom normalen schlecht ausgebildeten Militär und der Polizei. Die regulären Einheiten plündern und vergewaltigen eigentlich immer, während die Elitetruppe dies nur tut, wenn sie aus dem Ort zuvor beschossen worden ist. Die schmutzige Arbeit wird schließlich von „Milizen“ erledigt – vom Militär gedungene Räuber und Totschläger. Für die Jahre 1989 bis 1998 wurden bislang offiziell 800 zivile Tote in Aceh zugegeben. 12.000 Opfer wurden nach 1998, dem Sturz von Suharto, aus Massengräbern exhumiert. Viele waren lebendig verbrannt oder vergraben worden. Die Zahl der Vermißten beträgt jedoch noch 30.000 bis 40.000. In Summe fiel der gescheiterten Kampagne ein Prozent der Bevölkerung zum Opfer. 150.000 waren auf der Flucht. Nach dem Fall von Suharto im Zuge der Asienkrise schienen die Karten neu gemischt zu werden. Im August 1998 zog sich das Militär plötzlich aus Lhok Seumawe zurück. Darauf kam es sofort zu Krawallen und Plünderungen chinesischer Geschäfte. Wer die Gewalt organisiert hatte, bleibt unklar. Klar war jedoch die Botschaft der Generale. Nach seiner Wahl versprach Indonesiens neuer (gemäßigt-islamistischer) Staatspräsident Abdurrahman Wahid auch dem Fünf-Millionen-Volk der Acehnesen eine Abstimmung zur Selbstbestimmung. Das Versprechen wurde nie gehalten. Statt dessen folgten mehrere Waffenstillstandsabkommen, an die sich keine Seite hielt. Das Militär tötete im Dorf Beutong im Juli 1999 51 Zivilisten. Im Januar 2002 wurde der GAM-Kommandeur Syafic in seinem Dschungelversteck erschossen. Im Bereich Pidie wurden 120 Tote, davon 87 Folteropfer, sowie 460 Plünderungen dokumentiert. Im Sommer 2000 mußten die humanitären Helfer von US-Aid und Oxfam abgezogen werden, nachdem sie von der Polizei zusammengeschlagen wurden. Trotzdem wurde im Dezember 2002 durch die Vermittlung des Genfer Henri-Dunant-Zentrums für humanitären Dialog ein Friedensvertrag unterzeichnet. Bushs Sonderbeauftragter Anthony Zinni, ein pensionierter General, hatte zuvor mit beiden Seiten Klartext gesprochen. Präsidentin Megawati Sukarnoputri, die Nachfolgerin Wahids und Tochter von Staatsgründer Sukarno, versprach, ihre Generale im Schach zu halten. Die Exilführung der GAM beteuerte, sie habe ihre Guerillachefs unter Kontrolle. Der Vertrag sah eine verstärkte kulturelle und religiöse Autonomie für Aceh vor, einschließlich der Scharia als Strafrecht für Muslims (als Familienrecht gilt sie ohnehin in Indonesien), sowie das Verbleiben von 70 Prozent der Öl- und Gaseinnahmen in der Provinz. 2004 sollten freie Kommunalwahlen durchgeführt werden. Die GAM stimmte ihrer Entwaffnung und der Aufgabe ihrer Unabhängigkeitsforderung zu. Demilitarisierte Zonen sollten entstehen, denn auch das Militär würde sich aus Aceh zurückziehen. Doch keine der beiden Seiten hielt sich an die Bestimmungen. Das Militär hofft, mit dem Sieg über die Aceh-Separatisten seine seit der Unabhängigkeit Osttimors 2002 (siehe JF 51/02 und 23/03) angeschlagene Reputation und seinen nach dem Abtritt Suhartos verlorenen politischen Einfluß zurückzuerringen. Die örtlichen Kommandeure lockt auch die Aussicht auf Beförderung und Beute. Die GAM, hieß es, benutze den Waffenstillstand nur, um Personal zu rekrutieren, die Waffenbestände (aus Kambodscha und Thailand) aufzufüllen und für die Unabhängigkeit zu agitieren. Wie das Militär und die indonesische Politik ist die GAM zwischen Verständigungspolitikern und Scharfmachern fraktioniert. Als Guerillabewegung operiert sie dezentral. Viele ihrer Kampfgruppen sind wenig besser als schwerbewaffnete Räuberbanden, die wie Polizei und Militär von der allgemeinen Gesetzlosigkeit profitieren: Drogenhandel, illegales Schürfen, Fällen von Tropenholz, Abkassieren bei Straßensperren und Schutzgelder. Zur Deeskalation half es wenig, daß die Unterhändler der einheimischen GAM-Führung bei ihrem Versuch, zur letzten gescheiterten Friedensverhandlung nach Tokio zu fliegen, in Banda Aceh verhaftet wurden, wo ihnen mit 70 anderen arretierten angeblichen GAM-Führern und studentischen Aktivisten ein Hochverratsprozeß droht, an dessen Ende die Todesstrafe stehen kann. Trotz Friedensabkommen kein Waffenstillstand Seit Mai herrscht in Aceh erneut das Kriegsrecht. Der Militärgouverneur Generalmajor Suwarya übt jetzt die oberste militärische und zivile Macht in Aceh aus. Präsidentin Megawati hatte einmal mehr vor ihren Generalen kapituliert. Diese erhielten ein Extrabudget von 250 Millionen US-Dollar und schossen aus allen Rohren. Mit Granatwerfern wurden vermutete GAM-Stellungen angegriffen. 600 Fallschirmjäger sprangen telegen vom Himmel, und die Marine beschoß und stürmte einige Inselchen. Generalstabchef Endriartono Sutarto rief seine Soldaten auf: „Ich befehle Euch: Jagt sie nieder und löscht sie aus. Bringt sie um, denn dazu seid ihr ausgebildet.“ Dann brannten auf Aceh Hunderte Schulen und öffentliche Gebäude nieder. Das Militär behauptet, die GAM habe den kulturellen Einfluß von Djakarta sabotieren wollen. Die GAM wiederum beschuldigt die Polizei, sich als agent provocateur zu betätigen. Die ersten Massaker auf den Dörfern folgten prompt. Hauptzentrum der Kämpfe ist die Nordküste um die Stadt Bireun. Der offizielle Opferstand liegt bei mehreren hundert. Zur Taktik des Militärs zählt, die Bevölkerung aus den Distrikten mit hoher GAM-Aktivität in Zeltlagerstädte umzusiedeln, um ein freies Schußfeld zu bekommen. Diese Methode hatten die Engländer schon zu Zeiten der Malaysischen Aufstands der chinesischen Kommunisten auf der Halbinsel in den 1950er Jahren angewandt. In Indonesien hat sie noch nie funktioniert. Schon sind 25.000 Flüchtlingen in Lagern zusammengepfercht. Die versprochenen Hilfssendungen aus Djakarta kommen nie an. Mit insgesamt 200.000 Vertriebenen rechnet das Militär, das seine Kampagne in sechs bis zehn Monaten erfolgreich abzuschließen hofft. Die GAM dagegen erwartet einen langen blutigen Abnutzungkrieg. EU, USA und Japan riefen alle Beteiligten auf, den Friedensvertrag doch noch zu respektieren. Niemand will einen ölreichen islamischen Gottesstaat am Eingang der Malakkastraße, durch die der gesamte Schiffahrtsverkehr zwischen Europa, Arabien und Ostasien geht, der einen islamistischen Brückenkopf in Südostasien und den Anfang des Zerfalls von Indonesien darstellen könnte.

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