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Am Telefon bist Du nicht allein

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Cato, Palmer, Exklusiv

Mit am 27. Januar 2003 veröffentlichtem Beschluß hob der Bundesgerichtshof (NJW 2003,368) eine Verurteilung zu zehn Jahren Haft auf. Die Instanzgerichte hatten die fragliche Rechtmäßigkeit einer Abhörmaßnahme nicht ausreichend begründet. Das Urteil bestätigt den vernichtenden Befund einer Studie der Universität Bielefeld, wonach dies auf drei Viertel aller von den Wissenschaftlernuntersuchten richterlichen Abhörbeschlüsse zutrifft. Wie der BGH ausführte, muß der Ermittlungsrichter zumindest eine knappe Darstellung der den Tatverdacht begründenden Umstände und der Beweislage abgeben, so daß die Rechtmäßigkeit der Überwachung aktenmäßig überprüfbar ist. Der BGH-Beschluß und die Studie liegen auf derselben Linie wie Medienberichte der letzten Wochen über zunehmendes Abhören bei zweifelhaften rechtlichen Grundlagen. Von regierungsamtlicher Seite wird dagegen die Seltenheit und Effektivität der Telefonüberwachung gepriesen. So verlautbarte der nordrhein-westfälische Justizminister Wolfgang Gerhard in einer Presseerklärung vom 9. Dezember 2002, daß es im Jahre 2001 nur 475 Fälle von derartigen Abhörmaßnahmen gegeben habe, was einem Anteil von lediglich 0,048 Prozent aller Ermittlungsverfahren entspreche. In über 70 Prozent der Fälle sei die Überwachung „unmittelbar beweiskräftig“ gewesen, in nur 14 Prozent überhaupt nicht. Das zeige, so Gerhard, daß „mit diesem Instrument der Verbrechensbekämpfung klug und effektiv umgegangen wird“. Zugleich werde damit aber auch die Wichtigkeit dieser Maßnahmen unterstrichen. Im Ländervergleich habe NRW eine hohe Erfolgsquote bei einem nur geringen Anteil an Abhörmaßnahmen, so der Minister. Betroffen waren von dieser „behutsamen Anwendung“ nach Angeben seines Ministeriums 1.101 Personen. Die Mehrheit der Strafverfahren, in denen es zu Abhörmaßnahmen kam, wurden wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet (325 Fälle). Zu Recht erlaubt Paragraph 100a der Strafprozeßordnung unseren Verfolgungsbehörden, der Rauschgiftmafia, Kinderpornohändlern oder Bombenlegern heimlich zu lauschen. Geht es uns brave Bürger an, wenn Straftätergeflüster aufgenommen und von emsiger Polizistenhand in dicken Aktenordnern aufgeschrieben wird? Es geht, denn flächendeckend und oft rechtswidrig werden auch brave Bürger belauscht. Es berührt den Nerv des freiheitlichen Rechtsstaats Groß kann das Erstaunen sein, wenn eines Tages eine Anklageschrift im Briefkasten eines biederen Mannes liegt. Unsere Gesetze sind weitläufig formuliert, und rechtsstaatliche Sicherungen werden staatlicherseits nur lässig beachtet. Es kann jeden treffen und berührt den Nerv unseres freiheitlichen Rechtsstaats, wenn sich etwa kein politischer aktiver Leser dieser Zeitung bei irgendeinem Telefonat sicher sein darf, nicht abgehört zu werden, und sei es nur als zufälliger Gesprächspartner. Der Kreis der durch Telefonüberwachungen in Deutschland Abgehörten wächst lawinenartig an, und entgegen dem Gesetz machen sich Staatsanwaltschaften keine Mühe, die mitbelauschten zufälligen Gesprächspartner der Verdächtigen nachträglich zu informieren. An der Uni Bielefeld veröffentlichten im Dezember 2002 die Professoren Otto Backes und Christoph Gusy den Abschlußbericht zu ihrem großangelegten Forschungsprojekt „Wirksamkeitsbedingungen von Richtervorbehalten bei Telefonüberwachungen“. Ihrer Studie liegt die Aktenanalyse von 554 Telefonüberwachungen aus 173 Strafverfahren in drei Staatsanwaltschaften in NRW, sowie in einer eines Stadtstaates im Zeitraum von 1996 bis 1998 zugrunde. Auch wenn die Wissenschaftler betonen, ihre Studie sei nicht repräsentativ für das ganze Land, die Fälle dürften nicht „hochgerechnet“ werden: Sie bestätigt dramatisch die Einzelfallerfahrungen aus praktischer Strafverteidigung: Mit der richterlichen Prüfung und Kontrolle polizeilicher Abhörwünsche ist es nicht weit her. Gesetzlich müßte der Ermittlungsrichter eigenständig prüfen und begründen, welche Tatsachen den Verdacht einer in Paragraph 100a StPO aufgezählten Straftat begründen, und der richterliche Beschluß muß einzelfallspezifische Ausführungen zur der Frage enthalten, ob andere Ermittlungsmaßnahmen aussichtslos oder jedenfalls weniger erfolgversprechend sind. Nach der Studie von Backes und Gusy erfüllte nur ein Viertel der richterlichen Beschlüsse diese gesetzlichen Anforderungen. Den Wissenschaftlern drängte sich der Eindruck auf, daß das Unterschreiben des von der Staatsanwaltschaft gestellten Antrags, zumal wenn er vorformuliert war, für die meisten Richter nur eine Formsache ist. In den 307 untersuchten Fällen wurde einmal ein Antrag der Staatsanwaltschaft richterlich abgelehnt. 90 Prozent der vorformulierten Anträge sind von den Richtern wortwörtlich übernommen worden, womit sie auf eine eigenständige Kontrolle der Staatsanwaltschaften verzichteten. „Recht ist, was keine Arbeit macht“ Praktische Verteidigererfahrung lehrt die allzumenschlichen Gründe. Einem Justizsprichwort zufolge ist „Recht, was keine Arbeit macht“. Vielfach werden die Ermittlungsakten vom Richter nur auszugsweise gelesen. Die Studie resümiert: „In Übereinstimmung mit diesem Befund hatten einige Staatsanwälte schon in den Interviews geäußert, daß man von einem Richter jederzeit jeden Beschluß bekommen könne, wenn man den Antrag nur mit einem entsprechenden Beschlußentwurf versehe“. So verwundert es auch nicht, daß die meisten Staatsanwälte in der Befragung meinten, der Richtervorbehalt sei eigentlich „überflüssig“, nur ein bürokratisches Hindernis, daß die Verfahren verzögere. Nur wenige sehen ihre Rolle als Vertreter einer Partei, die sich erst gegenüber den unabhängigen Richtern durchsetzen müßte. Die Wissenschaftler bemängelten außerdem, daß nur in 3 Prozent der untersuchten Fälle die von den Abhörmaßnahmen Betroffenen ausdrücklich benachrichtigt worden seien. In 15 Prozent der Fälle sei aus den Akten nicht ersichtlich geworden, ob es überhaupt zu einer Anklage gekommen war. Die Überwachung von „Kontaktpersonen“ der Beschuldigten ist außerdem im Zeitraum zwischen 1996 und 1998 von 39 auf 65 Prozent gestiegen, was die ermittelnden Beamten mit dem praktizierten Tausch von Mobiltelefonen begründeten. Am Schluß der Studie fordern die Wissenschaftler eine grundlegende Verbesserung der eigenständigen richterlichen Kontrolle der Abhörmaßnahmen und deren Unverwertbarkeit bei einem fehlerhaften Zustandekommen. Mit Bezug auf die Studie erklärte die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündis90/ Die Grünen, Silke Stokar, daß die Telefonüberwachung in Deutschland eingeschränkt werden müsse. Entgegen den gesetzlichen Forderungen sei diese Maßnahme zur „Routineangelegenheit“ geworden, so Stokar in einer Pressemitteilung vom 20. Januar. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte „Kurskorrektur“ müsse nun vorangebracht werden: „Es ist künftig sicherzustellen, daß die Gerichte ihre Zustimmung zur Überwachungsmaßnahme begründen. Die Verantwortung für die Überwachung sollte bis zur Beendigung der Maßnahme an das anordnende Gericht gebunden bleiben“, so die Grünen-Politikerin.

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