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Thilo Sarrazin, Deutschland auf der schiefen Bahn, Langen Müller Verlag

Käse gegen Sauerkraut

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Olympiastadion, München, 7. Juli 1974, WM-Finale Deutschland-Holland. Nach fünf Minuten führt das „Oranje“ von Johan Cruyff durch einen Treffer von Johan Neeskens mit 1:0. Doch in der 22. Minute platzt der Traum vom Sieg des Kleinen über den Großen: Der Unparteiische gibt der deutschen Mannschaft einen Strafstoß. Deutschland verwandelt den Elfmeter und gewinnt schließlich mit 2:1 das Finale. Seit diesem Tag stehen Länderspiele der beiden Nationalmannschaften unter einem besonderen Stern. Dabei überschritt vor allem die von Rachegelüsten beseelte niederländische Mannschaft so manche Grenze. So wischte sich der Verteidiger Ronald Koeman nach dem gewonnenen EM-Halbfinale 1988 den Hintern mit dem Trikot eines deutschen Nationalspielers ab. Zwei Jahre später sorgte der niederländische Stürmer Frank „das Lama“ Rijkaard für Aufsehen, als er im WM-Achtelfinale die auch bei den Holländern maßlos beliebte Frisur Rudi Völlers verunstaltete. Die Bild-Zeitung titelte damals „Fliegende Deutsche überrannten spuckende Holländer“. Zwischen den Fußball-Knegeleien und der deutschen Besatzung in den Niederlanden von 1940 bis 1945 eine direkte Linie zu ziehen, das wäre nicht ganz richtig. Lange vor dem Zweiten Weltkrieg gab es das Herabsehen des großen Deutschland auf das niedlich-kleine Holland, wie es schon Heine beschrieb, und das ehrfurchtsvoll-neidische Aufsehen zum allmächtigen Großen. Dennoch hat sich nach 1945 das Verhältnis der Niederländer zu Deutschland grundlegend geändert. Nach dem niederländischen Schriftsteller Harry Mulisch steht man seit 1945 mit dem Rücken zu Deutschland. Vor dem Zweiten Weltkrieg orientierten sich viele Künstler und Intellektuelle am Nachbarstaat. In Amsterdam gab es einen Wagner-Verein, der Schriftsteller Menno ter Braak war ein kritischer Nietzscheaner, die deutsche Philosophie und Theologie galt als richtungweisend. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg schauten die Niederländer lieber nach Westen. Die anglo-amerikanische Welt lag näher. Dies galt auch für den Fußball. In den fünfziger und sechziger Jahren orientierten sich die Holländer nicht etwa am Weltmeister und großen Nachbarn im Osten, sondern suchten bewußt Anschluß an den englischen Fußball. Bei Ajax Amsterdam gaben sich englische Trainer die Türklinke in die Hand. Der steile Aufstieg des niederländischen Totalfußballs, an dessen Wiege der Trainer Rinus Michels mit dem Fußballgenie Johan Cruyff stand, erreichte seinen Höhepunkt dann 1974 im WM-Finale. Daß es ausgerechnet Deutschland war, das diesen Aufstieg beendete, gehört zur tragischen Ironie der niederländischen Fußballgeschichte. Die Niederländer haben es den Deutschen nie verziehen. Vier Jahre später sollte das Auftreten einer deutschen Mannschaft beim Abschied von Johan Cruyff Salz in die offene Wunde streuen. Ausgerechnet Bayern München hatte man zum Abschiedsspiel des nationalen Lieblings eingeladen. Das Lebewohl im Amsterdamer Olympiastadion wurde zu einem Drama. 60.000 Fans wohnten der Demontage des niederländischen Fußballs bei. Die Niederländer hatten eine wohlwollende Münchner Mannschaft erwartet. Doch die Bayern sahen das anders. Gleich am Anfang störte Gerd Müller die Festfreude – 1:0 für Bayern. Dabei blieb es nicht. Als das Endresultat von 8:0 an der Tafel stand, waren kaum noch 30.000 Fußballfreunde im Stadion. Verwundert mußten die Niederländer in den Neunzigern mit ansehen, wie die Deutschen sich mit „Antifußball“ – so die in Holland gängige Bezeichnung für den Defensivstil der deutschen Mannschaft – einen Erfolg nach dem anderen holte. Dazu kam noch der Frust: Jedes Mal zählt „Oranje“ zu den klaren Favoriten, von allen Seiten werden die Niederländer für ihr kreatives Offensivspiel gelobt. Verbittert stellte der niederländische Fußballkommentator Kees Jansma fest: „Deutschland holt mit Antifußball einen Erfolg nach dem anderen, wodurch deutsche Kommentatoren immer großspuriger werden, deutsche Brüste immer breiter – und ich immer anti-deutscher.“ Nicht wenigen Holländern war ein Sieg gegen Deutschland wichtiger als die gewonnene Europameisterschaft. Als die unsterblichen Fußballgötter der beiden Nationen vor zwei Jahren nach den Gründen für die Rivalität der beiden Nationalmannschaften gefragt wurden, antworteten sie: „Weil wir Nachbarn sind und, was Spielstil und Mentalität angeht ,sehr unterschiedlich“ (Franz Beckenbauer). „Selbstverständlich hat die Niederlage von 1974 und die Niederlage von Deutschland 1988 viel damit zu tun. Und natürlich der Unterschied in der Mentalität – sowohl auf als neben dem Rasen“ (Johan Cruyff). Die Holländer sind oft mutiger und kreativer, aber auch weniger diszipliniert. Ein Niederländer spielt Fußball wegen des Spiels, ein Deutscher, um zu gewinnen. So sehen zumindest viele Niederländer das. Für beide Mannschaften ist das Spiel am 15. Juni bei der EM in Portugal ihr erstes Gruppenspiel. Fußballerisch sind die beiden Mannschaften sich alles andere als grün. Jerker Spits promoviert derzeit an der Universität Leiden in den Niederlanden. Foto: Fußballer in der Kommunikation: Frank Rijkaard bringt Rudi Völlers Frisur durcheinander

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