Wenn Merkel kommt, müssen alle anderen gehen. So geschehen bei der mit Spannung erwarteten ARD-Sendung von Anne Will am Mittwochabend. Wo sonst mehrere Gäste über ein Thema mehr oder minder kontrovers diskutieren, saß gestern einzig die Bundeskanzlerin und stellte sich den Fragen Wills zur Asylkrise. „Können wir es wirklich schaffen, Frau Merkel?“, lautete die Fragestellung.
Bereits vor der Sendung twitterte Anne Will: „Wir schneiden übrigens nix, auch wenn wir kurz vorher aufzeichnen. Merkel kommt an, wir legen los. Also alles wie live.“ Wozu die Redaktion dann einen Vorlauf von 20 Minuten brauchte, erschließt sich nicht. Die 49jährige Moderatorin stellte dann auch prompt die erste Frage: „Im Moment bestürmt Sie alle Welt, zuzugeben, daß wir es doch nicht schaffen können. Haben die Recht?“
„Wir schaffen das“, wiederholte die Kanzlerin ihren neuen Leitsatz des Krisenmanagements. „Wir müssen die Regelungen in Deutschland besser treffen, der Bund muß den Kommunen besser helfen. Aber ich muß auch in Europa arbeiten, damit wir eine fairere Verteilung hinbekommen.“ Wo Merkel sonst wie ein Fähnlein im Wind weht, blieb sie diesmal ihrer Linie treu.
Eine Werbeveranstaltung
Seit der ersten Sendeminute war die Strategie der Kanzlerin klar: Optimismus. Merkel rechtfertigte diesen mit ihren vermeintlichen Erfolgen in der Finanz-, Euro- und Griechenlandkrise. Man könne nicht sagen, wir schafften das nicht. „Das geht doch nicht!“, sagt die Kanzlerin leger. Locker ist offenbar auch das Verhältnis zwischen ARD und Bundeskanzlerin. Die Fernsehanstalt sieht in ihrer journalistischen Arbeit nicht den Auftrag, Fragen zu stellen oder gar Kritik zu üben, sondern den Regierenden den Rücken zu stärken. Nach Will ging es denn auch bei den Tagesthemen fröhlich weiter mit Merkel und „Wir schaffen das“.
Die Bundeskanzlerin verstand es, nicht nur sich selbst und ihre Regierung, sondern auch die Deutschen zu lobpreisen. „Deutschland ist ein starkes Land, ein tolles Land.“ Es sei doch ein gutes Zeichen, wenn Millionen anderer Menschen Deutschland mögen würden. Diese Aufgabe zu lösen, gehöre zu ihrer Pflicht als Bundeskanzlerin. „Man kann mit Willen sehr viel schaffen“, sagte Angela Merkel, auch die vielleicht schwierigste Aufgabe seit der Wiedervereinigung.
Wie eine journalistische Sendung zur Werbeveranstaltung eines Regierungschefs gemacht wird, führte Anne Will vorbildhaft vor. Die rund einstündige Sendung handelte dann mehr vom Wohlbefinden Merkels, ihrem Rückhalt in der CDU/CSU oder ihrer Befähigung als Kanzlerin als vom eigentlichen Thema. Fragen, die Millionen Zuschauer beantwortet haben wollten, wurden gar nicht behandelt.
Kritische Fragen? Fehlanzeige!
Nur Sekunden spielt die Redaktion Bilder von Flüchtlingslagern in Hamburg, Nürnberg und Frankfurt ein. Menschen, die in Zelten untergebracht sind. Der Winter naht, wie geht es weiter? Nur kurz sehen die Zuschauer Zitate Horst Seehofers, der mit einer „Notwehr“ droht, weil sein Bundesland Bayern kurz vor dem Kollaps steht.
Diese besorgniserregenden Aussagen des bayerischen Ministerpräsidenten nahm Will selbstverständlich nicht zum Anlaß, Merkel damit zu konfrontieren, sondern sie zu fragen, ob sie der Bayernrebell nicht nerve. Eine Journalistin als Amtspapagei des Kanzleramts.
Wie auf einem vorgefertigten Fragebogen hakt Anne Will brav nickend und freundlich lächelnd Argument um Argument ab. Selbst als sich Merkel in Widersprüchen verhakt, wenn sie sagt, sie wolle an den Ursachen der Flucht ansetzen und die europäischen Außengrenzen besser kontrollieren, kontert die Moderatorin, die an diesem Abend eher einer Therapeutin gleicht, nicht. Dabei war es Merkel, die durch ihre „Wir schaffen das“-Rhetorik maßgeblich zu der Krise beigetragen hat, die sie jetzt lösen will und für die es immerhin einen „Plan“ gibt.
Nichts wird sich ändern
Abschließend fragt Will, was das für ein Land sein wird, wenn das alles geschafft sei? Ein Einwurf, der eigentlich die Leitfrage der Sendung hätte sein müssen. Für die Kanzlerin offenbar nicht wichtig, lautet die Antwort darauf ganz simpel: eine Gesellschaft mit denselben Merkmalen wie jetzt. Mit Grundgesetz, sozialer Marktwirtschaft, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und mit allem, „was uns stark und gut und auch liebenswert macht“.
Das also ist das „Wir“, von dem Merkel in ihrer einstündigen Therapiesitzung die ganze Zeit sprach.